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Halberstadt Mit Courage Entführung vereitelt

Zwei Halberstädter haben Mitte Juli mit ihrem couragierten Handeln eine Entführung einer Frau verhindert. Ihr Einschreiten würdigt die Polizei.

Von Dennis Lotzmann 27.07.2015, 21:00

Halberstadt l Ob sie es wieder tun würde? Diane Tengler zögert auf diese Frage hin nicht den Bruchteil einer Sekunde: „Na klar, immer wieder“, sagt die Halberstädterin. Und ihr Mann Hans-Jürgen untermauert die Reaktion seiner Frau mit einem Nicken, das unmissverständlicher nicht sein kann: „Aber sicher doch. Wir würden da keinen Moment zögern.“ Keinen Moment zögern, um einen Menschen aus einer brenzligen oder gefährlichen Situation zu befreien. Genau das haben die beiden Halberstädter am Abend des 17. Juli getan. Mit ihrem mutigen und unverzüglichen Einschreiten haben sie laut Polizei mindestens eine Freiheitsberaubung verhindert.

„Na klar – wir würden immer wieder so reagieren und handeln.“

Diane und Hans-Jürgen Tengler, couragierte Helfer

Dabei sollte jener Freitagabend eigentlich den gemütlichen Teil des Wochenendes einläuten. Der 54-jährige Hans-Jürgen Tengler, der auf Montage in der Baubranche tätig ist, hatte sein Wochenpensum erfüllt. Es geht auf 21 Uhr, als beide sich entschließen, schnell noch ein paar Einkäufe zu machen. Auf dem Parkplatz der Halberstädter Kaufland-Filiale passiert es dann: Während die beiden ihre Einkäufe im Auto verstauen, hören sie plötzlich eine Frau schreien. „Erst habe ich mir nichts weiter dabei gedacht. Als dann aber permanent gehupt wurde, habe ich genauer hingesehen“, erinnert sich Diane Tengler.

Die Bilder, die sie und ihr Mann wahrnahmen, machten binnen Sekundenbruchteilen klar, wie prekär die Situation war. In einem Pick up rangen ein Mann und eine Frau miteinander. Die Frau versuchte, das Auto zu verlassen, der Mann hielt sie fest. Obendrein habe ein zweiter Mann von außen versucht, die Frau ins Auto zurückzudrücken, ergänzt Hans-Jürgen Tengler.

Die beiden fackelten nicht lange. Während sich Diane Tengler kurzerhand dem stehenden Auto in den Weg stellte, kümmerte sich ihr Mann um die Frau. Der 54-Jährige, der schon allein von der Statur her Respekt erwartet darf, befreite die Frau und machte den beiden Männern eine unmissverständliche Ansage. Beide ließen von ihrem Opfer ab und entfernten sich. Tenglers nahmen die völlig geschockte Frau erstmal mit in ihren Wagen und brachten sie anschließend zur Polizei.

„Sie beide haben vorbildlich reagiert.“

Eckhard Gluschke, Kripo-Chef im Polizeirevier Harz

Dort laufen die Ermittlungen gegen die beiden namentlich bekannten Männer gegenwärtig auf Hochtouren, so Polizeisprecher Uwe Becker, der sich zum aktuellen Stand daher nicht im Detail äußern will. Der Hauptbeschuldigte, der 37  Jahre alte Ex-Freund des Opfers, werde in Kürze zum Tat- ablauf vernommen.

Zwar sei wegen der noch laufenden Ermittlungen bislang unklar, für welches Delikt sich die beiden Männer schließlich werden verantworten müssen, ergänzt Kripochef Eckhard Gluschke. „Sicher ist jedoch, dass sie die Frau aus einer sehr heiklen und gefährlichen Situation befreit haben.“

Schließlich war unmittelbar nach der Rettung der 43-Jährigen seitens der Polizei davon die Rede, dass ihr die Männer eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und ihr wechselseitig mit dem Tode gedroht hätten. Obendrein soll auch ein Bajonett im Spiel gewesen sein. Im Visier ist neben dem 37 Jahre alten Ex-Freund aus Eilenstedt wohl auch ein 35-jähriger Halberstädter.

Ungeachtet aller Details ist es der Spitze des Harzer Polizeireviers wichtig, das couragierte Verhalten von Diane und Hans-Jürgen Tengler zu würdigen. „Sie beide haben vorbildlich reagiert“, so Kriminaloberrat Gluschke, der die Ehrung im Auftrag von Revierleiter Dietmar Schellbach vornahm. Neben einer Belobigungsurkunde durften sich beide über Blumen sowie ein Radio freuen.

Der Polizeispitze ist es generell wichtig, couragiertes Handeln zu würdigen. „Wir registrieren hier in jüngster Zeit eine erfreulich-positive Entwicklung“, betont Polizeisprecher Becker. Dabei sei niemand aufgefordert, in brenzligen Situationen selbst ein persönliches Risiko einzugehen. „Oft reicht es schon, andere Passanten und Zeugen direkt anzusprechen und sie um Hilfe zu bitten“, so der Polizeihauptkommissar.

Je mehr Helfer und Zeugen sich dabei zusammentun, desto besser, so der Reviersprecher. „Wichtig ist es, dabei mögliche Helfer gezielt anzusprechen und sie um ganz konkrete Dinge zu bitten – beispielsweise das Alarmieren von Polizei und anderen Rettungskräften“, so Becker. Obendrein gelte das Prinzip der offenen Augen: Details merken – angefangen bei Kennzeichen, Typ und Besonderheiten von Fahrzeugen bis hin zu den Tätern. „Auch hier gilt: Je besser letztlich deren Beschreibung ist, desto besser für unsere Ermittlungen“, betont der Kommissar.

„Entscheidend und sehr hilfreich ist es schon, wenn man nicht wegschaut, sondern sofort die Polizei ruft.“

Uwe Becker, Sprecher des Polizeireviers Harz

Wenn darüber hinaus jemand mit cleveren Reaktionen und Aktionen den Tätern Einhalt gebiete, sei das um so besser. Beim Überfall auf ein Restaurant in Blankenburg hatte am Ostermontag eine Frau kurzerhand mit ihrem Auto den Fluchtwagen des mutmaßlichen Täters blockiert und diesen komplett aus dem Konzept gebracht. Der Mann hatte anschließend versucht, zu Fuß zu flüchten, war aber von anderen Zeugen geschnappt und der Polizei übergeben worden. Vergangene Woche ist der Mann vom Landgericht zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden (die Volksstimme berichtete).

„Das war sicherlich ein Idealfall. Um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen, ist aber niemand zu einem derart aktiven Handeln verpflichtet“, sagt Uwe Becker rückblickend. Zeugen sollten immer bedenken, dass Täter auch bewaffnet sein können oder extrem gewalttätig reagieren. „Entscheidend und sehr hilfreich ist es schon, wenn man nicht wegschaut, sondern sofort die Polizei ruft.“

Apropos wegschauen: Genau davon wiederum wussten Diane und Hans-Jürgen Tengler bei der Auszeichnung im Polizeirevier zu berichten. „In dem Moment, in dem schnell reagiert werden musste, waren wir plötzlich ganz allein. Als die Sache dann ausgestanden war, umringten uns auf einmal viele Menschen“, erinnert sich der 54-Jährige. Warum? „Viele sagten, dass sie das Ganze nicht mitbekommen hätten, weil sie zu weit weggewesen seien“, fügt Hans-Jürgen Tengler hinzu.