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Halberstädter Wurst Tradition und Vier-Sterne-Charme

Vor 25 Jahren hat Ulrich Nitsch die Halberstädter Fleisch- und Wurstwarenfabrik übernommen. Er hat die Firma zukunftsfähig gemacht.

Von Jörg Endries 16.03.2017, 00:01

Halberstadt l Rasant war der Aufstieg der Marke „Halberstädter“ von der Gründung durch Friedrich Heine im Jahr 1883, dem Erfinder der Dosenwürstchen, bis 1913, als das Unternehmen als „größtes Fleischverarbeitungswerk Europas“ gefeiert wurde. Knapp 100 Jahre später, nach zwei Weltkriegen, Weltwirtschaftskrise und 40 Jahren DDR, stand das Traditions­unternehmen plötzlich vor dem Aus. Ulrich Nitsch, Unternehmer aus Niedersachsen, bewahrte die Firma vor der Schließung. Am 1. April 1992 kaufte er die Halberstädter Würstchen- und Konservenfabrik und führte die Marke erfolgreich in die Marktwirtschaft und damit in die Zukunft.

Ulrich Nitsch mag es nicht, wenn er als Investor bezeichnet wird. Für ihn hat dieses Wort einen Beigeschmack. Es suggeriert, dass es nur ums Geld geht. „Ich bin ein Unternehmer. Und wie das Wort es sagt, ich unternehme etwas“, betont er im Volksstimme-Gespräch. Im Fall von „Halberstädter“ hat er einen maroden Betrieb und Arbeitsplätze gerettet beziehungsweise neue geschaffen. „Ich wollte etwas zur ­Wiedervereinigung beitragen. Weil ich in Ostpreußen geboren bin und bei der Flucht während des Zweiten Weltkrieges in Nordhausen den ­Bombenangriff miterlebt habe. Das Unternehmen sollte liquidiert werden, obwohl es zwei Weltkriege und die Enteignung überstanden hat.“ Die Bilanz ein Vierteljahrhundert später kann sich sehen lassen.

Im Gesamtunternehmen der Halberstädter Würstchen und Konservenfabrik GmbH sind heute etwa 187 Mitarbeiter beschäftigt. Die Produktpalette umfasst rund 80 Erzeugnisse, zu denen neben den weltbekannten Würstchen auch Suppen, Fertiggerichte, vegetarische Produkte und sogar schweinefleischfreie Erzeugnisse gehören. Um das Werk für die Anforderungen der Zukunft fit zu machen, hat Unternehmer Ulrich Nitsch nach eigenen Angaben seit der Übernahme etwa 40 Millionen Euro investiert – mit Erfolg.

Die berühmten Halberstädter, die sich zu DDR-Zeiten gegen harte Währung auch der „Westen“ schmecken ließ, sind immer noch ein Renner. Sie werden in den unter ­Denkmalschutz stehenden Produktionshallen von 1913 hergestellt, deren Innenleben aufwendig saniert wurde.

45 Minuten bei bis zu 85 Grad Celsius hängen die Würstchen im Rauch. Seit 130 Jahren wird das Geheimnis, was eine Halberstädter ausmacht, mit Argusaugen gehütet. Dazu gehört die Gewürzmischung und das Räucherverfahren, das eine normale Wurst zu einer original Halberstädter adelt. Und natürlich das Heiligtum der Firma, die über 100 Jahre alte Rauchkammer. Die Würstchen sind mittlerweile so berühmt, dass sogar die Europäische ­Union die Marke zu einer geschützten ­geografischen Angabe erklärt hat.

Das Konzept von Ulrich Nitsch setzt jedoch nicht nur auf die klassische Marke „Halberstädter“. In der ehemaligen Fabrikantenvilla von Friedrich Heine, die 1918 fertiggestellt wurde, hat er 1999 das Vier-Sterne-Superior-Hotel „Villa Heine“ mit insgesamt 61 Zimmern, Suiten und modernem Wellness-Bereich installiert. Dazu gehört ein Restaurant mit regional-mediteraner Küche und einem eigenen Brauhaus. Der Komplex wird von Unternehmer-Tochter Silke Erdmann-Nitsch gemanagt. Sie will zu den Wurzeln der Firma zurückkehren, wie sie gegenüber der Volksstimme betont.

Dazu gehört unter anderem, dass das Brauhaus wieder stärker in den Fokus rückt. „Das haben wir in den zurückliegenden Jahren leider vernachlässigt.“ Bedeutet, man sparte an der Stelle des festangestellten Braumeisters und engagierte immer mal wieder per Zeitvertrag einen Fachmann. Das hat sich geändert. „Wir wollen das Brauhaus aus seinen Schlaf wecken.“ Seit Kurzem gehört wieder ein Braumeister zum Team. Ein Kanadier, der mit neuen Ideen das Biergeschäft beleben soll. „Wir haben uns vorgenommen, etwa 120.000 Liter Bier im Jahr zu brauen. Zum guten Essen gehört gutes Bier bei guten Gesprächen“, so die Geschäftsfrau.

34 Mitarbeiter stehen in Hotel und Restaurant in Lohn und Brot. Dazu gehören fünf Lehrlinge. Es waren einmal 18. „Wir wollen wieder mehr den eigenen Nachwuchs ausbilden, weil die Firma auf Langfristigkeit ausgelegt ist. Leider fehlt es an Bewerbern“, bedauert Silke Erdmann-Nitsch.

Überhaupt sieht es nach ihren Angaben schlecht beim Fachpersonal aus. Sie habe große Probleme, Stellen neu zu besetzen. Die Unternehmerin: „Wir suchen seit langer Zeit einen Restaurantchef. Bislang vergebens.“