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Icarus-Projekt Wie Rotmilane das Wetter vorhersagen

Im Rotmilanzentrum Sachsen-Anhalt wird nicht nur das Flugverhalten der Vögel untersucht. Die Tiere liefern wichtige Wetterdaten.

Von Sabine Scholz 20.03.2019, 00:01

Halberstadt l Rund 25 Gramm schwer, Solarzellen und eine Antenne, die ein starker Greifvogelschnabel nicht durchbeißen kann. So präsentiert sich ein Sender, der 2018 jungen Rotmilanen auf den Rücken geschnallt werden wird. Nun sind Sender auf Vögelrücken nichts Neues, Telemetrieverfahren werden schon seit Längerem genutzt, um Zugverhalten und ähnliches zu dokumentieren. Das Besondere an diesem Sender: Er wird mit einem Raumschiff kommunizieren.

Auf der internationalen Raumstation ISS ist bereits die Empfangsantenne installiert, „Sie muss nur noch angeschaltet werden“, sagt Martin Kolbe. Der Hallenser Biologe betreut das am Museum Heineanum in Halberstadt angesiedelte Rotmilanzentrum des Landes Sachsen-Anhalt, und das ist der erste Partner außerhalb des Max-Planck-Instituts, der Tiere für ein großes internationales Forschungsprojekt mit Sendern bestückt.

„Das Max-Planck-Institut in Radolfzell selbst stattet Amseln und Waldrappe am Alpenrand mit Sendern aus, in Namibia werden Löwen damit bestückt und wir dürfen die Greifvögel ausrüsten. Wir haben die Sender entwickelt, weil die bisher vorhandenen viel zu klein für die Milane sind“, sagt Kolbe. Acht Sender, jeder mehrere tausend Euro teuer, finanziert das Landesamt für Umwelt und Naturschutz Sachsen-Anhalt. Die im Sender gespeicherten Daten, die die ISS bei jedem Überflug abruft, fließen im internationale Icarus-Projekt zusammen.

Die Sender auf dem Vogelrücken erfassen dabei nicht nur GPS-Daten, die ein Bewegungsprofil für jedes Tier ermöglichen, sondern messen auch Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchte und Magnetfeldstärke. „Wenn irgendwann mal genug Sender in der Luft sind, ergibt das ein sehr detailliertes und umfassendes Bild zum Beispiel der Wetterverhältnisse, die dann in die Wetterprognosen einfließen sollen. Die sind dann deutlich genauer als bisherige Rechenmodelle“, ist Martin Kolbe überzeugt.

Doch bis die Vögel das Wetter vorhersagen, wird es noch eine Weile dauern, denn erstmal muss eine Datenbasis erfasst und die dann ausgewertet werden. Und natürlich müssen den Vögel die kleinen Technikrucksäcke erstmal umgeschnallt werden. „Das geht am besten, wenn die Jungvögel ein bestimmtes Alter erreicht haben und die Altvögel auch nach einer Störung wieder zum Nest zurückkehren“, erklärt der Biologe, der in dem vor vier Jahren gegründeten Landeszentrum die Fäden in der Hand hält. Was bei zweieinhalb Vollzeitstellen überschaubar klingt, angesichts der Aufgabenfülle aber schon eine Herausforderung ist. Denn nicht nur für ICARUS werden junge Rotmilane besendert.

Mehr als die Hälfte aller Rotmilane weltweit lebt in Deutschland, Sachsen-Anhalt wiederum ist mit rund 2000 Brutpaaren ein besonderer Hotspot dieser majestätischen Greifvögel, die auch Gabel- öder Königsweihe genannt werden. „Wir wissen immer noch nicht, woran die Rotmilane sterben, obwohl es seit gut 60 Jahren zum Rotmilan geforscht wird“, berichtet Kolbe.

Rotmilane sind Zugvögel, auf dem Weg in die Brutgebiete kann viel passieren. „Wir wissen, dass in einigen Ländern die Vögel trotz ihres besonderen Schutzstatus‘ geschossen werden, aber belegen konnten wir das bislang nicht.“ Deshalb gibt es jetzt ein europaweites Projekt, an dem wir uns beteiligen. Das Land Sachsen-Anhalt will den dafür erforderlichen Eigenanteil von 150.000 Euro aufbringen. „Deshalb rechnen wir nicht damit, dass die Projektförderung für das Rotmilanzentrum eingestellt wird“, sagt Kolbe, „auch wenn unsere Finanzierung erstmal nur bis Ende dieses Jahres gesichert ist.“

Träger des 9,8 Millionen teuren und über das LIFE-Programm der EU finanzierten Projektes ist ein österreichischer Naturschutzverein. Beteiligt sind alle Länder Europas, in denen der Rotmilan vorkommt. Das reicht von Portugal und Spanien bis Schweden und Polen. Für dieses Projekt erhalten 25 Jungvögel in diesem Jahr einen der herkömmlichen Sender, bei denen die Wissenschaftler mit Basisstationen in Nestnähe müssen, um die Daten auszulesen. Das ist mühsamer, dafür sind die Sender deutlich billiger als die für das Icarus-Projekt.

Dazu kommen neun Altvögel, die bereits in den vergangenen zwei Jahren einen Sender bekommen haben.