Kleintierzucht Ein Ende nach 70 Jahren

Von 50 Mitgliedern sind noch 16 übrig - nicht genug für eine Ausstellung. Darum machen die Kleintierzüchter aus Harsleben Schluss.

Von Sandra Reulecke 17.11.2018, 12:00

Harsleben l Routine. Jeder Handgriff sitzt. Die Männer wissen genau, welche Aufgaben sie zu erfüllen haben. Wo die Pokale sein müssen, damit sie bei der Siegerehrung griffbereit sind. Und, wie die am besten zur Geltung gebracht werden, um die es eigentlich geht: 450 Kaninchen, Tauben und Co.. Seit 70 Jahren laden Kleintierzüchter aus Harsleben Gleichgesinnte und Neugierige zu ihren Schauen ein. Doch damit ist nun Schluss. „Wir können das nicht mehr leisten“, sagt der Vereinsvorsitzende Siegfried Koch. „Das ist traurig, aber wir haben uns damit abgefunden.“

Lediglich acht der 16 Vereinsmitglieder können derzeit bei den Aufbauten und Vorbereitungen helfen. „Unser Durchschnittsalter ist hoch, Einige sind gesundheitlich angeschlagen“, erläutert der Vereinschef. Das jüngste Mitglied – mit Abstand – wurde 1968 geboren. Zu der Zeit war einer der ältesten Aktiven, der 83-jährige Gustav-Adolf Koch, schon fast 20 Jahre dabei. „Die Hoffnung, Nachwuchs zu gewinnen, haben wir aufgegeben“, sagt Bernd Ohnesorge. Seit zehn Jahren sei das nicht mehr wirklich gelungen.

Nicht, dass es der Verein nicht versucht habe, Kinder für das Hobby zu begeistern. Sogar in Schulen haben sich die Mitglieder präsentiert. Die Vorstellung, sich um niedliche Hasen oder Hühner, deren Gefieder in allen erdenklichen Farben glänzt, zu kümmern, habe die Kinder durchaus begeistert. Aber: „Die Eltern müssen schon mitmachen, allein schaffen Kinder das nicht. Zumal sie schnell ihre Begeisterung verlieren“, sagt Siegfried Koch. Oft fehle der Platz und die Zeit, sich um Tiere zu kümmern. „Es ist eine Aufgabe, die an 365 Tagen im Jahr erfüllt werden muss“, gibt der Vorsitzende zu bedenken. Hinzu kommt der Kostenfaktor – für Anschaffung, Futter und Tierarzt. Aus Sicht der Vereinsmitglieder ist zudem die Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten, die Mädchen und Jungen heutzutage geboten wird, eine Erklärung, warum sich nur noch wenige für das Hobby entscheiden.

Als die Männer selbst mit dem Hobby begannen, sah das anders aus. Im Fernsehen lief nachmittags nichts, Computer gab es nicht. Und Kinder mussten zu Hause bei der Arbeit auf dem Hof mit anpacken. „Früher hielt fast jeder auf dem Dorf Tiere. Wir sind damit aufgewachsen“, sagt Siegmar Leiste. Die Arbeit mit den Tieren bereite Freude und vermittle das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu haben, Verantwortung zu tragen.

Wie die meisten Mitglieder ist Leiste mit 14, dem damaligen Mindestalter, in den Verein eingetreten. 1969 war das. Zu der Zeit hatte der Verein weit mehr als 50 Mitglieder. „Und eine sehr aktive Frauenabteilung“, berichtet er. Heute ist nur noch eine Züchterin aktiv.

Stattliche Anreize, zum Beispiel für Geflügelzüchter, waren nur ein Grund, warum das Hobby zu DDR-Zeiten hoch im Kurs stand. In den Geschäften war die Fleischauslage oft sehr überschaubar. Wer einen Braten auftischen wollte, musste selbst dafür sorgen.

Dieser Aspekt erkläre auch, warum der Verein 1948, so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, gegründet wurde. „Jeder hatte Tiere, sie dienten der Ernährung“, erläutert Siegfried Koch. Was nicht bedeute, dass den Züchtern die Tiere nicht ans Herz wuchsen und besonders wohl geratene Exemplare bei Ausstellungen gezeigt wurden.

Bei solchen Gelegenheiten knüpften die Mitglieder Kontakte und Freundschaften zu Gleichgesinnten – über die Region hinaus. Sie präsentierten ihre Zuchterfolge zudem auf nationalen wie internationalen Ausstellungen, haben mehrfache deutsche Meister in ihren Reihen.

Mit den Schauen in ihrem Heimatort boten die Züchter Vereinen aus umliegenden Orten eine Plattform, um sich zu präsentieren. Denn einige von ihnen ereilte schon vor mehreren Jahren das Schicksal der Harsleber, berichtet Koch. Aufgrund zu weniger Mitglieder können diese Vereine ebenfalls keine eigenen Schauen mehr auf die Beine stellen. Nachwuchs ist in der Szene ein generelles Problem: Der Kreisverband der Rassekaninchenzüchter Harz zählte 2016 lediglich 20 jugendliche Mitglieder – und das für 22 Vereine.

Doch daran wollen die Harsleber im Moment nicht denken, sie wollen ihre Jubiläumsausstellung genießen – ohne Wehmut. „Es wird eine Schau wie jede andere werden“, sagt Siegfried Koch. „Und wir machen ja weiter. Der Verein wird nicht aufgelöst. Wir werden weiterhin züchten“, betont er. „Es ist ein richtig schönes Hobby“, ergänzt Bernd Ohnesorge.

Ausstellung „Kleintierzüchter Harsleben G 488 e. V.“ : Mehrzweckhalle Harsleben, heute von 9 bis 17 Uhr, Sonntag von 9 bis 14 Uhr