Kultur Lutheraner in Amerika

Bei der jüngsten Lesung im Halberstädter Gleimhaus steht ein Lutheraner in Nordamerika im Fokus.

Von Renate Petrahn 13.10.2016, 16:21

Halberstadt l Seit 2011 befinden sich Eberhard Görner und Gojko Mitic auf Lesereise. Am Mittwoch machten sie Sta­tion im total „ausverkauften“ Gleimhaus und stellten das Buch „In Gottes eigenem Land. Heinrich Melchior Mühlenberg – der Vater des amerikanischen Luthertums“ von Eberhard Görner vor.

Mühlenberg (1711-1787), in Amerika hoch verehrt, in Deutschland kaum bekannt, verbrachte Kindheit und Jugend in Einbeck und Claus­thal, studierte in Göttingen Theologie und kam 1738 in Franckes Schulstadt in Halle. Von dort wurde er 1742 nach Pennsylvania geschickt, um das „Chaos“ (Görner) bei den deutschen Kirchengemeinden zu beenden und ein geordnetes lutherisches Kirchenwesen zu etablieren. Wie beeindruckend der Kirchenmann auf seine Mitmenschen gewirkt haben muss, beschrieb Benjamin Franklin: „Ich bewundere ihn. Er hat ganz bewusst einen kopflosen Ameisenhaufen übernommen. Das waren die Lutheraner, bevor er hier ankam.“

Mit leichter Hand und viel Gespür für Dramatik wie Komik zeichnet der Hochschullehrer und Filmschaffende Görner (Drehbuchautor unter anderem für Polizeiruf 110, Nikolaikirche) das Leben und Wirken von Mühlenberg in Pennsylvania nach. Als Grundlage dienten ihm Reiseberichte und vor allem Briefe des Pastors, die dieser nach Halle schrieb. Laut Görner soll diese die umfangreichste Korrespondenz eines deutschen Auswanderers nach Nordamerika sein. Durch die geschickte Textauswahl gewannen die Zuhörer einen ersten Eindruck von der tiefen Frömmigkeit, von dem Humor und der Strenge des Gottesmannes. In seinem facettenreichen Buch beschreibt Görner auch die vielfältigen Konflikte, gegen die sich Mühlenberg bei der Strukturierung der deutschen Gemeinden durchsetzen muss.

Trotz aller Würdigung der Meriten von Mühlenberg schlug das Pendel der Publikumsgunst, zwar taktvoll, aber deutlich in Richtung der Ureinwohner Nordamerikas aus. Das lag an Gojko Mitic, der „Inkarnation des Indianer­films der DEFA“. Auch er ist älter geworden, das tut seiner Ausstrahlung indes keinen Abbruch. Mit konzentriertem Blick durch die Lesebrille und modulationsfähiger Stimme verlieh er dem Delaware- Häuptling Fliegender Pfeil, den eine Männerfreundschaft mit Mühlenberg verbindet, Stimme und Charakter. Dabei sollte der Indianer in dem Roman zunächst nicht vorkommen. Doch Görner machte Druck, wie er im Gleimhaus erzählte: „Entweder es gibt einen roten Mann im Manuskript oder es kommt zu keinem Buch!“

Neben dem Freundschaftsbeweis für Mitic, dem er diese Figur widmete, war die Einführung dieses Gegenpols zur Hauptperson eine dramaturgisch geschickte Entscheidung für die Widerspiegelung der komplexen Situation im Nordamerika des 18. Jahrhunderts. Nach der einstündigen Lesung mit verteilten Rollen gab es noch ein PS. Es wurde von Gojko Mitic gestaltet. Er zitierte Überlegungen von nordamerikanischen Indianern, die die Unterschiede in der Weltanschauung, im Normen- und Wertesystem bei Ureinwohnern und weißen Kolonisten deutlich machten. So das aus der Sicht der Indianer fragwürdige Fortschrittsdenken der Weißen, das für sie, die Indianer, nur Landraub, Unterdrückung und Ausrottung bedeutete. Ein Denken, das die konzentrierteste Antwort der Indianer in dem Satz gefunden hat: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Gedanken, die Betroffenheit und Nachdenken bei der Zuhörerschaft auslösten. Sie mussten aber für den Nachhauseweg verschoben werden, da aufgrund der anstehenden Rückfahrt von Mitic und Görner nach Berlin beziehungsweise Dresden die knappe Zeit für ein Autogramm und ein ganz kurzes Gespräch vor allem mit Mitic genutzt wurde. Als Trost für alle, die gern mehr Zeit mit Mitic und Görner verbracht hätten, kündigte Gleimhausdirektorin Ute Pott an, dass es eine erneute Gelegenheit dazu geben werde.

Die Lesung im Gleimhaus vermittelte nicht nur ein interessantes Historienbild des Nordamerikas im 18. Jahrhundert, sondern kann als Beitrag zum aktuellen Themenjahr der Lutherdekade „Reformation und die Eine Welt“ gelten. 2016 soll „die globale Dimension des Ereignisses von Wittenberg 1517“ verstärkt ins Bewusstsein gerufen werden.

Leben und Wirken von Heinrich Melchior Mühlenberg, dem „Vater des amerikanischen Luthertums“, finden hier einen besonderen Platz.