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Kunst Schätze auf dem Prüfstand

Beim Aufräumen lassen sich Schätze entdecken - oder Erinnerungsstücke ohne Wert. Das zu unterscheiden, fällt meist nicht leicht.

Von Sandra Reulecke 24.10.2017, 13:00

Halberstadt l Gespannt warten die Experten darauf, was Horst Dylla mitgebracht hat. Der Halberstädter zieht eine Enzyklopädie aus der unscheinbaren Plastiktüte. Mit seinen gut zwei Kilogramm Gewicht und mehr als 1000 Seiten Umfang ist der Wälzer alles andere als leichte Lektüre. „Die Frau als Hausärztin“ steht auf dem bordeauxroten Einband, der erhebliche Gebrauchsspuren aufweist. Das Buch ist offensichtlich alt. Aber ist es auch wertvoll? Diese Hoffnung hegt Horst Dylla zumindest.

In der Zeitung habe er erfahren, dass das Ostharzer Antiquitätenteam in die Kaffeerösterei Löper in der Vogtei in Halberstadt eingeladen hat. Umgeben vom Aroma frisch gerösteter Kaffeebohnen begutachten die Experten die Mitbringsel. Rarität oder nicht? Laien können das kaum unterscheiden.

Für Nicolle Nitsche ist das besonders schwierig einzuschätzen. Die Halberstädterin hat eine starke Sehschwäche. „Die Brosche habe ich vor 30 Jahren von meinem Opa bekommen“, berichtet die 42-Jährige. Bislang habe sie das Schmuckstück in einer Schatulle aufbewahrt und möchte nun erfahren, ob es kostbar ist.

„Es könnte sich um auslaufenden Jugendstil handeln, 1905 bis 1910 etwa“, schätzt Friedrich Häusser ein. „Ein sehr schönes Stück.“ Vermutlich gehörte es dann ihrer Urgroßmutter, rätselt Nicolle Nitsche, während Häuser testet, ob die Brosche aus Gold besteht. „Leider nicht“, stellt er fest. Er beziffert den Wert des Modeschmucks auf rund 30 Euro. Ganz anders am Nachbartisch: Das mitgebrachte Armband könnte für rund 1000 Euro den Besitzer wechseln.

„Es ist wie in der Sendung: Einfaches bis Ausgefallenes wird präsentiert“, bilanziert Häusser. Er spricht von „Bares für Rares“, der ZDF-Show mit Horst Lichter. Friedrich Häusser gehört seit der sechsten Staffel (2015/16) zu dem Händlerteam, das in der Sendung alte Kunst- und Alltagsgegenstände bewertet und darum bietet. In dieser Woche finden wieder Dreharbeiten in Köln statt, verrät Häusser, der ein Antiquitätengeschäft in Quedlinburg betreibt.

„Mit zwölf Jahren habe ich den Draht zu alten Sachen gefunden“, berichtet der gebürtige Baden-Würtemberger. Damals seien seine Eltern als Hausmeister angestellt gewesen. Wie ein Schloss sei ihm das Haus vorgekommen. Als eine der Bewohnerinnen, eine alte Dame, starb, wurden ihre Sachen in Kisten vor die Tür gestellt. „Es blitzte und glänzte mich daraus an“, verrät er und lächelt bei der Erinnerung. Bevor die Kisten im Abfall landeten, rettet er ein Geschirr im Jugendstil daraus.

Dinge, die kostbar sein könnten, vor dem Müll zu bewahren, hat er sich seitdem zur Aufgabe gemacht – nicht nur, um Geld damit zu verdienen. Die Beratungen in Halberstadt sind kostenlos. „Wir machen das ehrenamtlich“, so Häusser. Dass die Veranstaltungen gleichzeitig Werbung für sein Geschäft sind, räumt er schmunzelnd ein.

Ideengeber ist Karl-Heinz Schmahl. Der Halberstädter war Antiquitätenhändler und ist mittlerweile Rentner. „Aber der Beruf ist Leidenschaft. Wenn ich nur zu Hause sitze, fällt mir die Decke auf den Kopf“, sagt der 77-Jährige, der ursprünglich als Maurer tätig war. „1967 hatte ich einen schweren Motorradunfall“, berichtet er. Dafür habe er aus einer Versicherung „gut Geld gekriegt“, welches er gewinnbringend anlegen wollte – in Münzen. „Ich habe sie für 20 Mark das Stück gekauft und kurze Zeit später für 30 Mark verkauft – dafür hätte ich als Maurer lange schuften müssen.“ Und so fiel ihm der berufliche Wechsel nicht schwer.

Mit der Idee für das Ostharzer Antiquitätenteam hat sich Schmahl an Jens Ganso gewandt. Dieser ist als Organisator für Weihnachtsmarkt, Stadtfeste, Eisbahn und Co. bekannt. Privat habe er eine Schwäche für Antiquitäten und Kunst, besuche gern ausgiebig Museen. Der Halberstädter war es auch, der Kontakt zu Café-Besitzer Steven Löper hergestellt hat. Der Veranstaltungsort ist nämlich kein Zufall. „Früher gab es einen Antiquitätenhandel in der Vogtei, das Geschäft Niemann. Das ist vielen Halberstädtern heute noch ein Begriff“, so Ganso.

Der Erfolg des Ostharzer Antiquitätenteams, dass künftig vierteljährlich Bewertungen anbieten will, habe ihn überrascht: Zur ersten Veranstaltung im September kamen mehr als 80 Ratsuchende, bei der zweiten Auflage wurden etwa 30 gezählt. „Das ist eine gute Zahl. Da können wir uns mehr Zeit für die einzelnen Leute nehmen“, sagt Ganso.

Obwohl die nicht immer notwendig ist. Manchmal geht die Bewertung ganz schnell – wie im Fall der Enzyklopädie von Horst Dylla. „Davon gibt es noch viele“, sagt Häusser nach einem kurzen Blick auf das Buch. „Die Preise für Bücher sind schlimmer im Keller als die für Briefmarken. So schön es auch ist, es lohnt sich nicht, das Buch zu verkaufen.“

Ein wenig enttäuscht ist Horst Dylla schon. „Ich hätte gedacht, es ist mehr wert.“ Wegwerfen werde er die Lektüre dennoch nicht – immerhin stammt sie von seiner Großmutter.

„Dinge sind ja nicht nur deshalb wertvoll, weil sie einen finanziellen Wert haben“, betont Jens Ganso. Manchmal seien es die Geschichten dazu, die etwas kostbar werden lassen.