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Landwirtschaft Summender, brummender Acker

Halberstädter Landwirtin Ina Schellbach und ihr Mann bringen Teile ihrer Äcker zum Blühen und kompensieren den Ertragsverlust mit "Blühpatenschaften".

Von Susann Gebbert 11.04.2019, 01:38

Halberstadt l Grün und Braun soweit das Auge reicht. Bisher ist noch nicht viel zu sehen auf der Ackerfläche nahe Ströbeck. Wenn es nach Ina Schellbach geht, wagen sich aber schon bald die ersten zarten Keimlinge aus der Erde. Und wieder ein paar Wochen später soll der Streifen in vielen Farben blühen. Bienen, Hummeln, Käfer und Mäuse sollen sich darin tummeln, den Ackerstreifen zum Leben erwecken.

Die Ströbecker Landwirte Ina Schellbach und ihr Mann Eckhard bewirtschaften 520 Hektar Land. Sie ernten Zuckerrüben, Raps, Weizen, Mais, Gerste, Futtererbsen und Hafer. Außerdem besitzen sie Dauergrünland und bauen Futter für ihre Tiere an. „Wir sind ein klassischer Ackerbaubetrieb“, erklärt Ina Schellbach. Zusätzlich hält die Familie eine kleine Mutterkuhherde und verkauft ihre Rinder nach zwei Jahren ‑ schlachtreif.

3,3 Hektar, knapp ein Prozent ihres Lands, stellt das Paar in diesem Jahr in den Dienst der Bienen und Käfer und verzichtet damit auf den Ertrag, den Mais und Co. brächten. Das Besondere dabei: Ina Schellbach und ihr Mann verkaufen Blühpatenschaften für ihre ungenutzten Ackerflächen.

„Dadurch, dass wir Blühpaten mit ins Boot holen, können wir es uns leisten, die Ackerfläche aus der Produktion zu nehmen“, erklärt die 49-jährige Landwirtin. Der finanzielle Druck aufgrund von Pachtzahlungen, Zinsen und Grundsteuer sei hoch und auch die Blühsaat koste. Es ist eine besondere Mischung aus Inkarnat-Klee, Perserklee, Alexandrinerklee, Buchweizen, Sonnenblumen und Bienenweiden. „Die deutsche Imkermischung“, erklärt Ina Schellbach. Jede Pflanze blüht zu einer anderen Zeit. So finden die Bienen lange Zeit Nektar auf Schellbachs Äckern.

Das Patenschaftsmodell der beiden Landwirte: 100 Quadratmeter blühende Ackerfläche kosten den Paten 40 Euro pro Saison, die bis in den Herbst reicht.

Kleinere Blühstreifen haben Schellbachs schon seit zwei Jahren an ihren Ackerrändern gepflanzt und dabei beobachtet, wie viele Insekten sich darin tummeln.

Was aber hat dazu geführt, fremde Leute finanziell daran zu beteiligen? Einen Anstoß war für Ina Schellbach das Volksbegehren in Bayern ‚Rettet die Bienen‘. Im Januar und Februar unterstützten 1,75 Millionen Wahlberechtigte den Antrag. Der sieht eine deutliche Reduzierung von Pestiziden im Freistaat vor. Außerdem sollen mehr Blühwiesen entstehen und der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft soll gesetzlich verordnet werden. Nach Medienberichten könnten die Forderungen in Bayern nun Gesetz werden.

„Außerdem bin ich es Leid, dass Landwirte allzuoft als Verursacher allen Übels verunglimpft werden,“ sagt Ina Schellbach und ergänzt: „Wir Landwirte machen schon ziemlich viel für die Umwelt.“

Um das der Öffentlichkeit zu zeigen, hat sich die Agraringenieurin das Patenprogramm einfallen lassen. „Ich finde, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Umwelt und speziell die Artenvielfalt zu schützen.“ Also ihre Idee: ein Verbund zwischen Landwirten und Bürgern.

Blühstreifen sind ökologische Vorrangflächen. Die wiederum gehören zum Konzept des „Greening“, einem Förderprogramm der Europäischen Union für Landwirte. Sie erhalten eine Prämie, wenn sie mindestens fünf Prozent ihres Lands als ökologische Vorrangfläche ausweisen. „Wir sind aber nicht verpflichtet Blühstreifen anzulegen. Es würde reichen, die Fläche einfach brach liegen zu lassen. Das kostet nichts extra“, erklärt Ina Schellbach. Laut der Landwirtin wäre es auch ausreichend, eine Zwischenfrucht wie Lupinen auszusäen, um danach doch noch geldbringenden Mais auf die Fläche zu pflanzen. Die Blühstreifen sind also eine Schippe drauf.

Nach einer Anzeige in der Zeitung, riefen knapp 30 Leute bei Ina Schellbach an, die Paten werden wollten. Ganz verschiedene Leute. Da war zum Beispiel eine Professorin aus Niedersachsen am Telefon, die davon gehört hatte. Oder Großeltern, die ihre Enkelkinder für Umwelt- und Artenschutz sensibilisieren wollen. Oder aber auch Spaziergänger, die sich an blühenden Landschaften erfreuen. Oder die Familie, die dem Opa zum 95. Geburtstag eine Blühpatenschaft schenken will. „Mir läuft immer noch ein warmer Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, mit wie viel Vertrauen mich fremde Leute angerufen haben“, erinnert sich die Ströbeckerin.

Ina Schellbach stammt aus Niedersachsen, ihre Wurzeln aber reichen in den Halberstäder Ortsteil. Vier Generationen ihrer Vorfahren bewirtschafteten den Hof in Ströbeck, bis ihre Eltern ihn zu DDR-Zeiten aus Angst vor Repressalien verließen. Nach der Wende wurde der Familie das Gut zurückübertragen. Seit 1992 führen Ina Schellbach und ihr Mann wieder das Landwirtschaftsunternehmen. Mittlerweile in fünfter Generation. Sie ist zuständig fürs Büro, er für den Acker.

Befinden sich Landwirtschaft und Umweltschutz in einem Konflikt? Ist die Kritik von vermeintlichen Umweltschützern an Landwirten gar berechtigt?

„Wir Landwirte sind gut ausgebildete Menschen, die oft in etlicher Generation ihrem Beruf nachgehen. Keiner von uns ist bösartig“, so Schellbach.

Es laste aber unheimlicher wirtschaftlicher Druck auf den Landwirten. Die Kauf- und Pachtpreise stiegen in die Höhe, immer neue EU-Verordnungen wie zum Beispiel zur Düngung fordern die Bauern heraus und Investoren drohen, sich in Betriebe einzukaufen. Kämen dann auch noch extrem heiße oder nasse Sommer wie in den Vorjahren hinzu, kämpfen Landwirtschaftsunternehmen unter Umständen um ihre Existenz. Gegen die Insolvenz. „Das Problem ist, dass wir heute globale Preise haben“, sagt Ina Schellbach. „Früher sind die Erzeugerpreise nach schlechten Saisons gestiegen, heute steigen sie nicht mehr automatisch.“ Fällt die Ernte hierzulande mager aus, kommt der Weizen halt aus China, Russland oder der Ukraine.

Trotz des Drucks, wirtschaftlich arbeiten zu müssen, ist Ina Schellbach sicher, dass es mittel- und langfristig für Landwirte keinen anderen Weg gibt als den Schutz der Umwelt mit voran zu treiben. Sie ist sich bewusst, dass ihre Blühflächen nicht die Umwelt retten, aber: „Wenn wir alle mitmachen, können wir ein bisschen etwas bewegen.“