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Kulturscheune Hessen Letzter Nagel in Hessen in 3,65 Kilometer Balken

Auf dem Schlossgelände Hessen ist Richtfest für ein Millionenprojekt gefeiert worden: Auf dem 700 Jahre alten Gemäuer der neuen Kulturscheune thront ein Dachstuhl.

Von Mario Heinicke Aktualisiert: 14.06.2021, 12:55
Blick von der Bundesstraße auf die künftige Kulturscheune. 52 Meter lang, zwölf Meter breit und über 15 Meter hoch wird das Gebäude.
Blick von der Bundesstraße auf die künftige Kulturscheune. 52 Meter lang, zwölf Meter breit und über 15 Meter hoch wird das Gebäude. Mario Heinicke

Hessen - Nur fast fertig präsentierte sich der riesige Dachstuhl zum Beginn des Richtfests am Freitagnachmittag. „Ein Nagel fehlt noch“, meinte augenzwinkernd André Hauke, der Polier der Quedlinburger Werkstätten für Denkmalpflege mit Blick zu Klaus Bogoslaw. Man merkte dem Vorsitzendes des Schloss-Fördervereins an, es war nicht sein erster letzter Nagel, den er auf dem Areal in ein Gebälk schlug. Er schaffte es mit wenigen Schlägen.

Millionenschweres Wagnis für kleinen Verein

Seit 27 Jahren besteht der Förderverein Schloss Hessen, seitdem sind mehrere Dächer neu errichtet und Gebäudeteile saniert worden. Doch dieses bisher Steinscheune genannte Gemäuer ist das größte und teuerste Vorhaben des Fördervereins – ursprünglich 2,2 Millionen Euro schwer und durch die in diesem Jahr extrem angezogenen Materialpreise sehr wahrscheinlich noch etwas teurer.

„Man fühlt es, wer mit Freude baut“, sagte André Hauke in seinem Richtspruch, der nicht von der Stange war, sondern auf Verein und Schloss zugeschnitten. Und Klaus Bogoslaw bekannte, dass dies ein sehr bewegender, ja historischer Moment sei.

Es ist schließlich ein kleiner Verein, der dieses Wagnis einer Millionen-Investition eingeht. Um wetterunabhängig Kultur ins Dorf zu bringen, um der Nachwelt von der besonderen Geschichte des einst fürstlichen Schlosses mit Familienbanden zu Königshäusern zu berichten und den einzigartigen, aber mit den Jahrhunderten untergegangenen Renaissancegarten durch ein multimediales Erlebniscenter visuell erlebbar zu machen.

100 Kubikmeter Holz im Dachstuhl

Zwei Wochen haben die Zimmerleute der Denkmalpflegewerkstätten benötigt, um den Dachstuhl zu montieren. In einer Dimension, die es mit großen Kirchendächern aufnehmen kann. 100 Kubikmeter Holz wurden in Hessen verbaut. Würde man alle Balken aneinanderlegen, würden diese bis zu den Nachbarorten Deersheim, Veltheim oder Rohrsheim reichen, hat Architekt Helmut Urbisch verglichen. Die Balken ergäben eine Länge von 3,65 Kilometern. Ein Dachstuhl, dessen Bau selbst für die erfahrenen Quedlinburger Zimmerleute eher eine Ausnahme ist.

Sieben Meter hoch ist das Gebälk. Wenn am heutigen Montag die Dachdecker ihre Arbeit beginnen, werden sie 1000 Quadratmeter Ziegel darauflegen. Die Scheune wird mit Dach insgesamt über 15 Meter hoch sein.

2,3 Millionen Euro Gesamtkosten

Angesichts der voraussichtlich 2,3 Millionen Euro Gesamtkosten, die zum Großteil über die Europäische Union gefördert sind, hören sich etwa zehn Prozent Eigenmittel nicht viel an. Doch diese Summe von 220.000 Euro muss solch ein kleiner Verein erst mal zusammenbekommen. Fünf Jahre haben die Vorbereitungen gedauert. Bei den Eigenmitteln halfen Stiftungen und der Bund.

Handicap für den Verein war und ist dabei die Corona-Pandemie. Denn dadurch sind seit vergangenem Jahr keine Veranstaltungen mehr möglich, deren Erlöse bisher stets das Eigenmittelkonto aufgestockt haben. Darunter als Highlight die jährliche Schloss- und Gartennacht mit meist um die 1500 Besuchern, die jetzt am zweiten Juni-Wochenende stattgefunden hätte. Verein und Publikum müssen somit weiter auf die ersehnte zehnte Jubiläumsauflage warten.

700 Jahre alt ist das Gemäuer der Steinscheune und somit das älteste Gebäude der Schlossanlage. Es wurden Zeitzeugnisse zusammengestellt, die in einer Schatulle ins Mauerwerk des Giebels eingelassen werden, wie Klaus Bogoslaw vorausblickte. Bis diese danach wieder ans Licht kommt, könnten vielleicht weitere 700 Jahre vergehen, „Leider können wir dann die Gesichter nicht sehen.“

Hessener Jugend gab einst den Anstoß

Klaus Bogoslaw vergaß nicht zu erwähnen, dass es ursprünglich Hessener Jugendliche waren, die 1998 mit einem Rockfestival den Fokus auf die Wiederbelebung der Steinscheune gelegt und erstes Geld dafür gesammelt hatten. Einige von ihnen, nun 23 Jahre älter, hatten sich auch zum Richtfest eingefunden. Wie es überhaupt ein „großer Bahnhof“ war von rund 70 Personen bis hin aus Magdeburg.

Aus dem Finanzministerium war mit Thorsten Kroll der Leiter der EU-Verwaltungsbehörde für die bei diesem Vorhaben genutzten Strukturfonds gekommen. Er hob hervor, dass die Kulturscheune für die Leaderregion rund um den Huy ein Referenzprojekt sein. Das Engagement für das Schloss, es nicht wie bis zur Wende verfallen zu lassen, mache ihn demütig.

Hessens Alt-Bürgermeister Günter Seetge erinnerte sich noch gut an die ersten Aktivitäten des 1995 gegründeten Fördervereins, der sich nicht erst jetzt mit der Scheune ein bleibendes Denkmal gesetzt habe. Als Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft steuerte er zum Richtfest 1000 Euro bei, um dem Verein zu helfen. Von einer riesigen Verantwortung des Vereins sprach respektvoll Osterwiecks Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko). Sie appellierte an die Hessener, den Förderverein weiter zu unterstützen.

Landrat würde in Hessen gern ein Harzfest sehen

„Die Gesellschaft lebt von Menschen wie Ihnen“, sagte Landrat Thomas Balcerowski (CDU) an die Mitglieder des Schlossvereins gerichtet. Er würde sich freuen, wenn sich Hessen eines Tages für ein Harzfest bewerben würde. „Zeigen Sie, was Sie geschaffen haben.“ Zumal Hessen bei den vergangenen beiden kreislichen Dorfwettbewerben jeweils einen ersten Platz belegt habe.

Bis zum Frühjahr 2022 soll die Kulturscheune fertig sein. Veranstaltungen des Vereins, die bisher in kleinen Räumen im Schloss, auf dem Innenhof oder wie die Gartennacht im Grünen stattfanden, können dann von vornherein oder bei schlechtem Wetter spontan unter dem Dach der Kulturscheune stattfinden. Im Winter sollen hier die Hessener Karnevalsveranstaltungen über die Bühne gehen.

Knapp 200 Plätze soll der Innenraum bieten, rund 150 ebenerdig und 50 auf einer Empore. Eine Bühne ist vorgesehen und von Schankbereich bis Sanitäranlagen alles, was man für das Ausrichten von Veranstaltungen benötigt.

Die Kindertagesstätte hat ihr Haus gleich neben der Scheune. Die Mädchen und Jungen ließen bunte Luftballons in die Luft steigen.
Die Kindertagesstätte hat ihr Haus gleich neben der Scheune. Die Mädchen und Jungen ließen bunte Luftballons in die Luft steigen.
Mario Heinicke
Klaus Bogoslaw (rechts) gab den Teilnehmern des Richtfestes viele Informationen zum Bauvorhaben und zur Geschichte der Schlossanlage.
Klaus Bogoslaw (rechts) gab den Teilnehmern des Richtfestes viele Informationen zum Bauvorhaben und zur Geschichte der Schlossanlage.
Mario Heinicke
Auch Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (4.v.l.) und Landrat Thomas Balcerowski (6.v.l.) gehörten zu den (coronagetesteten) Besuchern.
Auch Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (4.v.l.) und Landrat Thomas Balcerowski (6.v.l.) gehörten zu den (coronagetesteten) Besuchern.
Mario Heinicke