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Museum Heineanum Halberstadts verborgene Schätze

111 Jahre gibt es das Heineanum als Museum in Halberstadt. Corona ließ eine Sonderschau platzen, doch auf Besucher warten Überraschungen.

Von Sabine Scholz 30.12.2020, 00:01

Halberstadt l Es ist dieser eine Satz eines Braunschweiger Professors, der wohl am besten beschreibt, was Rüdiger Becker antreibt: „Wir müssen das Heineanum aus dem Dornröschenschlaf wecken.“ Diesen Satz sagte Prof. Dr. Ulrich Joger, Leitender Museumsdirektor des Staatlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig. Über einen Ur-Halberstädter entstand der engere Kontakt zwischen den naturkundlichen Museen in Halberstadt und Braunschweig.

Denn auch wenn der Schwerpunkt des Heineanums in Halberstadt auf der Vogelwelt liegt, konnte man den Braunschweigern doch mit seltenen Saurierknochen für eine große Ausstellung helfen. Und bekam im Gegenzug für die 2018 in Halberstadt gezeigte Urzeit-Ausstellung eine Replik des Plateosaurus. Von dem Urzeitriesen sind in Halberstadt um 1900 zahlreiche Knochen gefunden worden. Der Plateosaurus ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den zweibeinigen Fleischfressern und vierbeinigen Pflanzenfressern in der Saurierwelt.

Es sind solche unerwarteten Dinge, die das Heineanum zu einem spannenden Arbeitsort machen. Dass dieser eine Weile so bedroht war wie manche der hier zu sehenden Vogelarten, ist der zweite wesentliche Antrieb im Handeln des Museumsleiters Rüdiger Becker, der seit 2015 die Geschicke des Hauses lenkt. „Ich will, dass nie wieder jemand in der Stadt auf die Idee kommt, das Haus abzugeben oder zu schließen.“ Wobei Rüdiger Becker weiß, dass angesichts der Bedeutung der Sammlung hier durchaus Land und Bund mit ins Boot müssten, um die Schätze zu bewahren.

Dass Halberstadt mit dem Heineanum einen weiteren, ganz besonderen Schatz in seinen Mauern hat, ist vielen kaum bekannt. Ein Zustand, der sich ändern muss. Weshalb Rüdiger Becker in den vergangenen fünf Jahren viel Zeit in die Öffentlichkeitsarbeit gesteckt hat. Die Sonderschauen zu den Urzeit­riesen und die weltweit erste gemeinsame Ausstellung aller 15 existierenden Kranicharten sind dabei wesentliche Elemente gewesen, die über die Stadtgrenzen hinaus strahlten und zurecht Bestandteil der Marketingkampagne Halberstädter Schatzjahre waren.

So wie dieses Aktion nicht nur die Menschen außerhalb Halberstadts ansprechen sollte, sondern auch die Einwohner der Stadt, so ergänzen die Wiederbelebung der Arbeitsgemeinschaft Junger Ornithologen, Vorträge innerhalb der KinderHochschule und museumspädagogische Angebote für Kindergärten und Schulen die Bestrebungen des Heineanums für mehr Bekanntheit im lokalen Umfeld.

Hilfreich ist dabei die enge Zusammenarbeit mit dem Förderkreis des Hauses. Diese Kooperation ermöglicht die Vortragsserien mit renommierten Fachleuten und engagierten Laien ebenso wie den Erwerb von Präparaten oder den Druck wichtiger Publikationen.

Die Arbeit nach außen ist aber nur ein Mosaiksteinchen im Wirken des kleinen Heineanum-Teams. Auch innerhalb der Sammlung gibt es noch jede Menge zu tun. Vieles ist in den vergangenen Jahrzehnten liegengeblieben, manche Sammlungsbestandteile sind noch gar nicht richtig erforscht, manche Beschreibungen längst nicht mehr heutigen Anforderungen entsprechend.

Hieran zu arbeiten, sei wichtig, betont Rüdiger Becker. Als Museum ist das Heineanum Ort der Forschung. So kommen nicht nur Wissenschaftler, wenn sie Funde mit einem der in Halberstadt zu findenden Typusarten vergleichen oder wenn sie Einsicht in die umfassende Fachbibliothek nehmen wollen. Mittlerweile bietet die seit mehr als 170 Jahren bestehende Sammlung selbst genug Stoff für die Wissenschaftsgeschichte.

Wenn Rüdiger Becker zweimal im Jahr zu einem Besuch ins Allerheiligste, das Magazin des Museums, einlädt, erfährt der Besucher viele spannende Details. Zum Beispiel, dass zahlreiche der Vögel, die der Brite Alfred Russel Wallace gesammelt hat, heute in den grauen Holzschränken lagern, die bis unter die Decke reichen.

Wallace war ein Zeitgenosse von Charles Darwin. Er bereiste unter anderem das malaiische Archipel und schilderte in seinen Aufzeichnungen bahnbrechende Beobachtungen, mit denen er die biogeografische Grenze belegte – heute bekannt als sogenannte Wallace-Linie. Auch er entwickelte wie Charles Darwin Ansätze für die Evolutionstheorie. Und in Halberstadt gibt es neben Präparaten von Wallace auch Etiketten, die der Forscher im 19. Jahrhundert selbst beschriftet hat.

Und auch von Johann August Ludwig Preiß, einem deutsch-britischen Naturforscher des 19. Jahrhunderts, hat das Heineanum Stücke in der Sammlung. Was gerade einen Forscher in Westaustralien auf das Halberstädter Haus aufmerksam werden ließ. „Wir bräuchten wirklich dringend einen wissenschaftlichen Volontär, der all diese Dinge aufarbeitet“, sagt Becker.

Doch nicht nur die für die Öffentlichkeit die meiste Zeit des Jahres verborgenen Schätze im Magazin benötigen einen fachlich fundierte Aufarbeitung. Die Präsentation der Sammlung selbst ist in die Jahre gekommen, die Ausstellungsbedingungen sind nicht gerade ideal zu nennen. Und unter den zahlreichen Präparaten fallen die besonderen Stücke kaum auf.

Mit Detlef Becker hat Rüdiger Becker einen engagierten Präparator an seiner Seite, aber allein kommt der Fachmann kaum mit der Pflege der Bälge hinterher, muss er doch ebenfalls neue Sammlungsstücke fachkundig aufbereiten. „Auch hier gibt es noch viel zu tun“, sagt der Museumschef. Und meint damit nicht nur den Erhalt der wertvollen Sammlung. „Wir müssen einfach mehr digitale Möglichkeiten nutzen“, sagt Rüdiger Becker. So könnte mithilfe des Fragments eines Riesenhirsch-Schädels oder der einzigartigen Saurierknochen eine virtuelle Reise in die Zeit der Urzeitriesen entstehen.

„Ganz dringend etwas tun müssen wir bei den Vogelstimmen“, sagt Becker, den diese Aufgabe schon seit einiger Zeit umtreibt. Die alte Technik ist sehr reparaturanfällig und es gibt kaum noch Ersatzteile. Manchmal treten Fehler auf, wenn die Besucher die Stimmen einer der zu sehenden Vogelart hören wollen, weil die alten Taster nicht mehr so richtig funktionieren. Solche Enttäuschungen laufen dem Bestreben, das Haus für Besucher attraktiver zu machen, natürlich komplett entgegen.

Wobei Becker Mechanik nicht ablehnt, im Gegenteil, Einer seiner Pläne für 2021 ist es, eine besondere Ausstellung nach Halberstadt zu holen. „Mechanische Tierwelten“ heißt sie und lässt die Naturkunde auf spielerische Art und Weise lebendig werden. Andere Sichtweisen reizen den Heineanumschef ohnehin. So könne er sich auch eine Ausstellung mit Bildern eines Berliner Sammlungsfotografen vorstellen, der in zahlreichen Museen unterwegs war und in Halberstadt angefragt hat.

„Natürlich werden wir, wenn es denn wieder erlaubt ist, unsere Reihe der Abendveranstaltungen fortsetzen“, kündigt Becker an. „Ich habe dafür für das kommende Jahr jedes Mal den Ratssaal gebucht.“ Nicht nur, weil man Corona-Abstände besser einhalten könnte. Der Saal bietet schlicht mehr Platz für wissbegieriges Publikum.