1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. HEX-Dilemma wird nun Chefsache

Nahverkehr HEX-Dilemma wird nun Chefsache

Die Kritik am öffentlichen Nahverkehr im Harz reißt nicht ab. Nun wird doch geprüft, ob Börnecke vom Ersatzbus angefahren werden kann.

Von Dennis Lotzmann 29.07.2016, 01:01

Halberstadt/Magdeburg l Den Verantwortlichen in der Kreisverwaltung Harz ist es zu bunt geworden: Aufgrund der aktuellen Unzuverlässigkeit und der vielen Pannen im öffentlichen Nahverkehr schalten sie sich nun direkt ein und bitten alle Beteiligten an einen Tisch. Im August soll es ein Treffen mit Vertretern der Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (Nasa) und den örtlichen Verkehrsträgern HVB und HVG geben. Das kündigten Dirk Michelmann, Ressortchef Strategie und Planung, und der Teamleiter für den öffentlichen Nahverkehr bei der Kreisverwaltung, Michael Wendt, am gestrigen Donnerstag an.

Michelmann skizziert gegenüber der Volksstimme das Ziel der Übung: „Wir haben aktuell nicht nur bei einem einzelnen Anbieter im Schienennetz akute Probleme, sondern auch andernorts. In Halberstadt beispielsweise gibt es viele Baustellen, sodass Busse und Straßenbahnen nicht mehr pünktlich unterwegs sind. Und nicht nur dort. Kurzum: Wir wollen mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen und gemeinsam schauen, wo wir im Harzkreis etwas optimieren können.“

Worauf die Initiative abzielt, liegt auf der Hand: Der Harz-Elbe-Express (HEX) hat bereits seit Wochen insbesondere auf der Strecke Halberstadt-Blankenburg akute Probleme, die Züge planmäßig fahren zu lassen. Nachdem immer wieder Verbindungen ausgefallen waren, läuft seit dieser Woche ein planmäßiger Ersatzverkehr mit Bussen.

Doch auch hier gibt es Kritik von Nutzern. Zum einen werden weder der Bahnhof Börnecke noch das Dorf Börnecke mit dem Ersatzbus angefahren. Die offizielle Ersatzhaltestelle befindet sich gut fünf Kilometer entfernt am Pfeifenkrug (die Volksstimme berichtete am Mittwoch ausführlich). Außerdem, so ein HEX-Nutzer aus Blankenburg, fahren die Ersatzbusse 15 Minuten früher in Blankenburg ab und enden 15 Minuten nach Fahrplanankunftszeit in Halberstadt. „Um meinen Arbeitsplatz in Magdeburg zu erreichen, muss ich eine Stunde früher los oder gleich mit dem Auto fahren“, so der Nutzer, der der Volksstimme namentlich bekannt ist.

Kritik, Hinweise und schlichter Unmut rund um den Nahverkehr – davon kann Verkehrsplaner Michael Wendt ein Lied singen: „Wir haben mehrere Dutzend Beschwerden querbeet aus dem Harzkreis auf dem Tisch liegen – so viele wie sonst nie.“

Über die Gründe muss Wendt nicht lange nachdenken. „Mit dem HEX ist eine Säule weggebrochen. Das hat Auswirkungen auch auf andere Angebote.“ HEX-Fahrer nutzten oft noch andere Verkehrsträger. Wer, wie der Mann aus Blankenburg, gänzlich aufs Auto umsteige, fahre auch nicht mit Bus oder Straßenbahn.

„Wir haben die Situation erkannt und wollen handeln“, begründet Wendt die Offensive. „Einfach nur zugucken und dahintrudeln lassen, geht nicht.“ Dafür sei ein funktionierender Nahverkehr im Harz zu wichtig.

Und was sagt Wendt zur heftig kritisierten Ersatzhaltestelle für Börnecke am fünf Kilometer entfernten Pfeifenkrug? „Muss ich das wirklich kommentieren?“, so seine rhetorische Gegenfrage.

Kommentieren mag das derweil Klaus Rüdiger Malter, seines Zeichens Geschäftsführer der Nasa, dem Auftraggeber von HEX. Die Station am Pfeifenkrug sei seit mehr als 20 Jahren der Haltepunkt für Börnecke bei Schienenersatzverkehr. „Die Station ist langjährig etabliert – uns hat die aktuelle Kritik überrascht.“

Zumindest in diesem Punkt signalisiert Malter, der die jetzige Situation beim HEX für „inakzeptabel“ hält, Korrekturen: „Wir prüfen, ob wir den Ersatzbus vom jetzigen Endpunkt Blankenburg bis ins Dorf Börnecke verlängern können“, erklärte er am Donnerstag.

Auch das von Sabine Göricke, einer 65 Jahre alten Anwohnerin direkt am Bahnhof Börnecke, skizzierte Problem sieht Malter. Der Bahnhof liegt rund zwei Kilometer außerhalb von Börnecke, die Seniorin fährt nicht mehr Auto. „Eigentlich komme ich binnen weniger Minuten für 1,50 Euro mit dem Zug nach Blankenburg.“ Und jetzt – wie ist das mit Lebensmitteln? „Da muss ich meine weit entfernt wohnenden Verwandten bemühen“, so Sabine Göricke.

Kann das tatsächlich die Lösung sein? Der HEX-Ersatzverkehr mit Bussen ist nun bis 26. August verlängert worden. Und Branchenkenner haben große Zweifel, dass die Züge zwischen Halberstadt und Blankenburg dann wieder planmäßig rollen.

Zu den Zweiflern gehört Ralf Leitloff, seines Zeichens Geschäftsführer der Lokführergewerkschaft GdL in Mitteldeutschland. „Die akute Personalnot bei den Lokführern seitens der HEX-Geschäftsleitung auf hohen Krankenstand und die Urlaubszeit zu schieben, ist aus meiner Sicht nicht korrekt. Ich kann nach meinen Informationen einen überdurchschnittlich hohen Krankenstand jedenfalls nicht bestätigen“, so Leitloff. Damit zu argumentieren und die Ursache für die Pannen auf die Belegschaft abzuwälzen, sei kein guter Stil.

Doch was ist es dann? Eine Mischung aus vielen Faktoren, erklärt Leitloff. Einerseits der generelle Lokführermangel – bundesweit fehlen nach GdL-Angaben rund 1000. Bei HEX komme andererseits das Auslaufen der Verträge im Harz Ende 2018 hinzu. „Da ist es natürlich besonders schwer, noch jemanden zu finden.“

Und es gebe noch einen Aspekt: „HEX hat die Express-Linie Halle-Goslar übernommen. Damit es auf der imageträchtigen Linie trotz knappen Personals halbwegs rollt, wird die bittere Pille mit Strafzahlungen irgendwo im Harz geschluckt“, erklärt der Insider, der das Ganze „Lochstopf-Theorie“ nennt.

Loch hier und Loch dort – was bedeutet das nun aber für die Harzer? Sabine Göricke vom Börnecker Bahnhof skizziert einen Kompromiss: „Meinetwegen muss der Zug nicht stündlich fahren. Alle zwei oder drei Stunden würde doch völlig reichen.“

Klaus Rüdiger Malter hält sich mit Blick auf diesen Fall zurück. „Wir müssen schauen, ob wir hier etwas machen können.“ Null Spielraum und Kulanz sieht er indes bei der 16-jährigen Ferienjobberin, die eigentlich mit dem Zug von Langenstein nach Börnecke fahren und dann für die letzten zwei Kilometer ins Dorf aufs Rad umsteigen wollte. Eine Rückerstattung der 24 Euro für das Schülerferienticket werde es nicht geben.

Was wiederum verwundert, weil die Nasa beim HEX-Betreiber Transdev wegen der Pannenserie den Rotstift ansetzen will: „Da gibt‘s richtige Abschläge“, so Nasa-Chef Malter.