Neue Broschüre Zwischen den Frontlinien

Am 11. April wird der Befreiung des KZ Langenstein-Zwieberge gedacht. Für viele Häftlinge endete das Martyrium erst um den 21. April.

Von Sabine Scholz 05.05.2018, 06:00

Langenstein l Es ist ein besonderes Vermächtnis, das schmale Buch. Nicht nur, weil es sehr detailreich Auskunft gibt über ein wenig beleuchtetes Kapitel der Lagergeschichte Langenstein-Zwieberges, sondern auch, weil Mitautor Jean-Pierre Valantin im März in Straßburg gestorben ist. Er hat auf der Grundlage der Vorarbeiten von Michel Dricot das umfangreiche Kartenmaterial erarbeitet, das sich als Zugabe in der Broschüre „Der Todesmarsch der Häftlinge des Konzentrationslagers Langenstein-Zwieberge“ findet.

Dieses akribisch zusammengetragene Kartenmaterial versucht, die Wegstrecken zu rekonstruieren, auf denen die Kolonnen nach der Lager-Evakuierung am 9. April 1945 unterwegs waren. Bewacht von SS-Männern, bewegten sich die ausgemergelten Gestalten zwischen den Frontlinien des Zweiten Weltkrieges, der nach Deutschland zurückgekehrt war.

Die Recherchen Dricots und Valantins waren Grundlage für eine Infotafel, die auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers über den Todesmarsch Auskunft gibt. „Dabei haben wir festgestellt, dass es von den Besuchern viele Fragen zu diesem Marsch gibt“, sagt Dr. Nicolas Bertrand. Der Leiter der Langensteiner KZ-Gedenkstätte hat deshalb zahlreiche Aufzeichnungen von Überlebenden dieser Lager­evakuierung durchforstet und zusammengefasst. 2500 der 3000 evakuierten Lagerinsassen sollten diese letzte Tortur nicht überleben. „Die Häftlinge sind nicht einfach an Entkräftung gestorben. Wer nicht mehr weiterkonnte, wer zusammenbrach oder nicht mehr aufstehen konnte, wurde von den SS-Wachleuten erschossen“, sagt Bertrand und verweist auf die zahlreichen gleichlautenden Aussagen der wenigen Überlebenden dieses Marsches.

Es sind neben Akten der SS vor allem in der Gedenkstätte aufbewahrte Aufzeichnungen oder Publikationen von Vaclav Chocensky, Josef Vik, Louis de Wijze, Hans Neupert, Hélie de Saint Marc, Paul LeGoupil, ­Louis Bertrand, Rudolf John, Josef Traxler, Georges Petit, Lucien Gaben, Miroslav Riegel, Arno Lustiger, auf die Bertrand zurückgreift und die ein plastisches Bild zeichnen von dem Geschehen. So erfährt der Leser von den Hoffnungen und Gerüchten, die mit der Lager­evakuierung verbunden waren, von Gerüchten zu Beginn des Marsches, von der extrem schlechten Versorgung der Männer, die sich um die winzigen Stücke Brot auch schlugen. Während der eingelegten Marschpausen versuchten einige Häftlinge, aus Gras, Löwenzahn, Tannenzapfen eine „Suppe“ zu kochen. Oft wurden diese Versuche von den Wachleuten geduldet, so manches Mal aber auch unterbunden.

Reaktionen der Bevölkerung in den Orten, durch die die Kolonnen zogen, werden ebenso kurz beleuchtet wie das Verhältnis zwischen Häftlingen und Wachposten. Thematisiert wird der Überlebenskampf der Männer, bestehende Solidarität wie Diebstähle untereinander.

Geschrieben hat Bertrand in seiner Muttersprache, den Text aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hat Gesine Daifi. Abgerundet wird die Broschüre mit einigen Schwarzweiß-Fotografien. Herausgegeben hat sie die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, erschienen ist es im mvd Mitteldeutscher Verlag, ISBN 978-3-96311-000-9.