Orthodox Weihnachten auf Russisch

Während die Adventsmärkte schon geschlossen haben, beginnen für Russisch-Orthodoxe nun die „Tage der Freude“. Frohe Weihnachten!

Von Sandra Reulecke 06.01.2017, 03:19

Halberstadt l Während die meisten Menschen in diesen Tagen ihre Weihnachtsbäume abschmücken und Lichterketten und Co. in den Keller räumen, steigt bei anderen die Vorfreude auf das Fest. Am 6. Januar ist Heiligabend für die Mitglieder der russischen-orthodoxen Kirche. Zu ihnen zählt die Familie Dantschew aus Blankenburg.

Die 17-jährige Sandra Dantschew ist in der Blütenstadt geboren und war selbst noch nie in Russland. „Aber die Traditionen aus meiner Heimat sind mir sehr wichtig. Ich fühle mich halb deutsch, halb russisch“, sagt die angehende Kinderpflegerin. Sie störe es deshalb nicht, länger auf die Feiertage zu warten, als es ihre Klassenkameraden müssen. Als Kind war sie sogar im Vorteil. Sie hat zwei mal Geschenke bekommen, um nicht traurig zu sein, wenn alle anderen von ihren Präsenten schwärmen, verrät ihre Mutter Natalia Dantschew.

Nach russischer Tradition findet die Bescherung nicht zu Weihnachten statt, sondern am 31. Dezember. Während Deutsche Raketen in die Luft schießen und sich „Ein frohes neues Jahr“ wünschen, packen viele Russen Geschenke aus. Sie begehen an diesem Tag das sogenannte Jolka-Fest. Jolka bedeutet Tannenbaum. Und darunter liegen die Geschenke, gebracht von Väterchen Frost, nicht vom Weihnachtsmann. Begleitet wird er von seiner Enkelin Snjegurotschka, dem Schneemädchen oder auch Schneeflöckchen genannt.

Familie Dantschew gehört zu einer Minderheit. Ihre Bescherung findet am 7. Januar statt. Viel wichtiger ist ihnen jedoch, dass die Familie zu Weihnachten zusammenkommt. Auch in der Küche. „Alle helfen bei der Vorbereitung mit“, sagt Natalia Dantschew. Statt eines Fettagsbratens werden viele verschiedene Salate und Gerichte zubereitet. Oft schon am Tag zuvor. Dabei muss den Köchen der Magen gewaltig knurren. Immerhin haben sie dann noch Fastenzeit. 40 Tage dauert diese – und liegt genau in der Zeit, in der die Weihnachtsmärkte geöffnet sind. Der Verzicht fällt da besonders schwer, sagt Alexander Dantschew, der Neffe von Natalia Dantschew. „In unserem Glauben gibt es über das Jahr verteilt vier Fastenzeiten. Besonders gemein ist es, wenn ich im Sommer den Grillgeruch von den Nachbarn rieche“, berichtet der 20-Jährige. Auch sein Job macht es nicht einfacher, auf Leckereien zu verzichten. Er ist Kellner.

Wobei Fasten nicht bedeutet, dass nichts gegessen werden darf, betont Natalia Dantschew. Es dürfen keine tierischen Erzeugnisse verzehrt werden. Gemüse, Kartoffeln und Salate sind dagegen kein Problem. Außerdem sei der Verzicht freiwillig, Kinder und Schwache seien ohnehin von der Diät ausgenommen. „Für mich hat Fasten nicht nur etwas mit Essen zu tun. Es geht auch darum, schlechte Angewohnheiten wie Fluchen und die Zeit, die man im Internet verbringt, zu reduzieren“, ergänzt ihre Tochter. Anfangs sei die Umstellung schwierig, aber man gewöhne sich daran.

Das Ende der Fastenzeit wird traditionell mit einem Gottesdienst am Abend des 6. Dezember eingeläutet. Dieser dauert mehrere Stunden und wird im Stehen abgehalten. Es gibt unzählige Kerzen, den Duft nach Weihrauch in der Luft und viel Gesang. „Es ist wunderschön“, schwärmt Alexander Dantschew. Er muss es wissen. Seit seinem zwölften Lebensjahr hilft er den Priestern. „Ich bereite zum Beispiel die Gottesdienste vor und lese Auszüge des Neuen Testaments auf Deutsch vor“, erläutert er.

Die Familie besucht Gottesdienste in Halberstadt. Die russisch-orthodoxe Gemeinde in der Domstadt besteht seit etwa zehn Jahren und kommt am Moritzplan 1 zusammen – in einer evangelischen Kirche, die den Mitgliedern zur Verfügung steht. Die Gemeinde umfasst rund 50 Personen, informiert Erzpriester Boris Ustimenko. Aus der Domstadt selbst, aus Wernigerode, Blankenburg, Quedlinburg und Alexisbad kommen die Gläubigen.

Boris Ustimenko betreut Gemeinden in Magdeburg, Celle, Stendal und Halberstadt. Bei diesem großen Gebiet ist es nicht möglich, in allen Orten am 6. Dezember Gottesdienste abzuhalten, sagt er. Deshalb feiert die Halberstädter Gemeinde am Sonnabend, 14. Januar. Das Treffen beginnt um 9.30 Uhr, der Gottesdienst eine halbe Stunde später. „Wer neugierig ist, wie bei uns gefeiert wird, ist herzlich willkommen“, lädt Alexander Dantschew ein. Zumal es mehrere Anlässe zum Feiern gibt: Gleichzeitig wird dem Namensgeber der Gemeinde, dem Heiligen Stephanus gedacht, ergänzt Sandra Dantschew. „Sein Gedenktag ist der 9. Januar und wir feiern alles zusammen.“ Reliquien des Heiligen gehören zum Halberstädter Domschatz.

Auch wenn der Gottesdienst erst Mitte Januar stattfindet, liegt er noch mitten in der Weihnachtszeit, informiert Ustimenko. Die „Tage der Freude“ voller Ausstellungen, Konferenzen und Lesungen enden am 19. Januar mit dem Fest der Taufe des Herrn. Vorher wird noch das russische Silverstfest begangen, am 13. Januar. „Das heißt bei uns ‚Altes Neues Jahr‘“, sagt Natalia Dantschew.

Dass die orthodoxen Feiertage im Vergleich zu den deutschen fast zwei Wochen „hinterherhinken“, liegt an einer unterschiedlichen Zeitrechnung. Die russisch-orthodoxe Kirche legt Feiertage nach dem alten julianischen Kalender fest, die römisch-katholische und die evangelische Kirche rechnen hingegen mit dem von Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 eingeführten gregorianischen Kalender. Die Differenz zwischen den Datumsangaben beträgt 13 Tage.