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Restauriert Neues Leder für altes Fahrrad

Im Städtischen Museum Halberstadt gibt es viel zu entdecken. Doch Altes muss konserviert und repariert werden, soll es ansehnlich bleiben.

Von Armin Schulze* 29.08.2017, 04:00

Halberstadt l Gerade mal 200 Jahre ist es her, dass Karl Freiherr von Drais 1817 das Laufrad erfand und damit den Startschuss für den flächendeckenden Individualverkehr gab. Damals noch mit Muskelkraft. So, wie es heute wieder sein soll, wie Sozialromantiker empfehlen. 1817 traute man sich einfach noch nicht, die Beine von der Straße zu nehmen. Es gab da das leidige Problem mit dem Gleichgewicht. Aber dann ging es doch!

Die nächste Entwicklungsstufe war das Hochrad. Ungleich schneller, aber auch ungleich abenteuerlicher. Riesen Vorderrad und sehr kleines Hinterrad. Mit sehr viel Schwung war von hinten aufzuspringen. Sofort musste der Fahrradartist im Gehrock und Zylinderhut in die Vorwärtsbewegung kommen. Die Pedalen des Vorderrades waren umgehend kräftig zu treten, denn Treten verhinderte Stillstand. Der hätte unweigerlich den sofortigen Abstieg und sicher viel Häme des staunenden Publikums bedeutet.

Gott sei Dank gab es noch keine Ampeln. Hochradfahrer hätten es im heutigen Halberstadt schwer. Ständig Halt, mit gefahrvollem Abstieg und kräfteraubendem Aufstieg, alle 500 Meter. Und die Damenwelt war natürlich von dieser neuen Art der Fortbewegung ausgeschlossen. Ihr blieb weiterhin nur die Kutsche, das Pferd mit Damensattel oder eben, wie seit Jahrtausenden, der Fußmarsch. Viel zu unanständig diese Radfahrerei in den Augen der sittenstrengen Obrigkeit und der Kirchen.

Zu den Ausstellungsstücken des Städtischen Museums gehört solch ein Hochrad aus der Zeit um 1870. Ein englisches Produkt. Die Briten waren in dieser Zeit die Erfinder- und Industrienation Europas, wenn nicht der Welt. Deutschland noch der Kopierer. „Made in Germany“ war als Warnung gedacht – noch.

Vor 30 Jahren ist das Hochrad des Museums restauriert worden, kam zuvor, in den 1950er Jahren, noch bei Umzügen zum Einsatz. Das Metall war gut erhalten. Probleme bereiteten die dünnen Vollgummireifen und der Ledersattel, das einzige Bauteil, das federte, das es gut meinte mit dem Hintern des bewunderten Veloziped-Lenkers. Bei der Wiederherstellung der Reifen half damals die Teguma, die „Gummibude“ in Halberstadt. Eine bis heute haltbare Lösung. Die Klebekraft der Lederreparatur des über Jahre hart beanspruchten Sattels hat allerdings in den Jahren nachgelassen. Eine fachgerechte Reparatur war nötig.

Seit Anfang 2016 betreibt der aus Köln stammende Kurt Littwien eine Lederwerkstatt in der Voigtei. An industriehistorischer Stelle, hinter dem Haus 52 befanden sich ehemals die Fabrikationsgebäude der Firma Dehne.

Kurt Littwien nahm sich der Reparatur des Sattels an. Wie vor 30 Jahren wurde das verbliebene Originalstück des 150 Jahre alten Sattelleders erhalten. Das überarbeitete Stück sieht jetzt wieder gut und vertrauenswürdig aus. Danke für die Reparatur, die für das Museum kostenlos war.

Man könnte, wer sich traut, gleich wieder losfahren mit dem alten Hochrad. Wenn es da nicht noch immer das Problem mit dem Gleichgewicht gäbe.

* Armin Schulze ist der Direktor des Städtischen Museums Halberstadt