1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Einhändig, Rennfahrer, Landwirt

Schicksale Einhändig, Rennfahrer, Landwirt

Andreas Pitt aus Schwanebeck fehlt seit der Geburt der linke Unterarm.Trotzdem fuhr er sechs Jahre lang Motorsport-Rennen.

Von Christian Besecke 07.07.2016, 12:00

Schwanebeck l Beim Volksstimme-Termin kommt ein fröhlicher junger Mann aus der Garage heraus und stellt sich mit den Worten vor: „Pitt, wie Brad Pitt!“ Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zeigt er auf seine Schwalbe. „Früher habe ich ganz andere Zweiräder gefahren, jetzt bin ich hauptsächlich mit dem Moped oder eben zu Fuß unterwegs“, sagt er.

Andreas Pitt ist ein Ur-Schwanebecker, er ist vor anderthalb Jahren in das benachbarte Krottorf gezogen. „Die Verbindung ist natürlich geblieben“, erklärt er. „In Krottorf habe ich aber eine Werkstatt mit einem Bekannten zusammen, außerdem habe ich hier eine gute Wohnung gefunden.“ Pitt ist Mitglied bei den Traktorfreunden Schwanebeck, die erst kürzlich beim Oldtimertreffen in der Vorharz-Stadt einen großen Auftritt hingelegt haben. Außer ihm gibt es in dem losen Zusammenschluss von Bastlern und Freunden alter Technik noch etliche andere Menschen aus der Westlichen Börde.

Andreas Pitt kommt ganz gut mit nur einer Hand zurecht. „Der linke Unterarm fehlt mir von Geburt an“, erzählt er. „Ich bin es nicht anders gewohnt. So gesehen ist das keine Behinderung für mich.“ In der Werkstatt oder bei seiner Arbeit als Landwirt beweist er Geschick und kommt mit Einfallsreichtum sehr weit. „Wenn etwas Sperriges zu bewegen ist, dann hole ich mir schon Hilfe“, versichert er. „Drei Hände tragen halt mehr als zwei.“

Er erzählt über Kindheit und Jugend in Schwanebeck. „Kurios ist es schon, dass mein Großvater im Krieg ausgerechnet seinen linken Unterarm verloren hat. Für ihn war das Leben sicherlich schwieriger als für mich“, findet er. Pitt berichtet davon, wie man ihm zu DDR-Zeiten eine Armprothese anpassen wollte. „Das hat nicht geklappt, denn das Ding war für mich eine echte Behinderung“, erläutert er. „Außerdem gab es da noch keine vernünftigen Modelle und ich wollte nicht wie ein Pirat mit einem Haken herumlaufen.“ Eine Prothese kommt für ihn auch heute nicht in Frage.

Die Liebe zum Rennsport entwickelte sich beim ihm schon in der Kindheit. Einem Freund, mit dem er gemeinsam in einer Motorsportzeitung blätterte, sagte er einmal: „So eine Maschine fahre ich später auch.“ Es war eine weiße KTM. Der Freund habe nur gelacht und mit dem Kopf geschüttelt. Andreas Pitt ließ jedoch nicht locker und bekam von seinem Vater eine Schwalbe, die allerdings nicht lief. „Die habe ich dann repariert, und mein Vater hat ganz schön gestaunt – er war ganz sicher auch ein wenig stolz auf mich“, berichtet er schmunzelnd.

1997 schaffte er sich sein erstes Motorrad an. „Es war eine 12er CZ, die war ständig kaputt“, sagt er. „Ein Jahr später hatte ich dann mein erstes Cross-Motorrad, eine 125-er Suzuki und dann wollte ich auch bei den Rennen mitfahren.“

Um die Lizenz zu beantragen, benötigte er eine Bestätigung vom Arzt, der stellte sich aber quer und hielt den Gedanken für keine gute Idee. „Ich bin dann wohl eine halbe Stunde auf Knien auf dem Praxisboden herumgerutscht, bis der Doktor sein Okay gegeben hat“, erzählt Pitt schmunzelnd. „Es bestand ja auch kein Grund, der hätte dagegen sprechen können. Eine Fahrerlaubnis und genug Erfahrung mit Mopeds und Motorrädern hatte ich ja vorzuweisen.“

Im Jahr 1999 war es dann soweit, Andreas Pitt fuhr sein ersten Rennen in Dolle (bei Colbitz). „Die Leute haben ganz schöne Augen gemacht“, erinnert er sich. Wenig später startete er für den MSC Wester­egeln. Insgesamt sechs Jahre nahm er an Rennen auf den bekannten Cross-Strecken in Sachsen-Anhalt teil. Immer wieder ergaben sich dabei kuriose Erlebnisse. Ein Rennarzt wollte ihn in Oranienbaum nicht starten lassen. „Da haben sich dann andere Fahrer und Bekannte von mir stark gemacht“, erklärt er. „Sie verwiesen darauf, dass ich ja zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Weile aktiv war.“ Letztendlich habe der Arzt dann kopfschüttelnd zugestimmt, als Pitt eine Proberunde extra für ihn absolvierte. Mit den Worten: „Junge, du hast eine Vollmeise“, gab er sein Einverständnis. Andreas Pitt lacht, als er sich an die Begebenheit erinnert.

„In der Zeit hatte ich dann schon vier KTM gefahren und mir lief wirklich der Freund aus den Jugendtagen über den Weg, dem ich von meinem großen Traum erzählt hatte“, sagt er. „Der hat nicht schlecht gestaunt, als ich ihm das alles berichtete.“ Heute fährt Andreas Pitt keine Rennen mehr. Jetzt ist er mit seiner blauen Schwalbe unterwegs und denkt manchmal an die Rennzeit zurück. „Ich gehe voll in meinem Beruf auf“, erläutert er. „Ich wollte schon immer in der Landwirtschaft arbeiten.“ Eine Zeit lang war er für einen Gartenbaubetrieb tätig. „Da habe ich viel über Pflanzen gelernt, das hat mir auch Spaß gemacht“, versichert er. „Nun kann ich aber endlich in der Landwirtschaft arbeiten, das macht mich froh.“

Sein Arbeitgeber hat extra einen Traktor Fendt Vario angeschafft, den man bequem mit der rechten Hand bedienen kann. „Zudem kenne ich meinen Chef schon aus Kindertagen, das Arbeitsklima ist toll und auch familiär“, sagt Andreas Pitt. Als Kind fuhr er immer einmal auf den Mähdreschern mit, nur sein jetziger Seniorchef hatte Bedenken. „Jetzt fahre ich auch die großen Mähdrescher, von denen wir seinerzeit nur geträumt haben“, erzählt der 37-Jährige stolz. „Auch Bagger und Raupen habe ich schon bewegt.“

Dann ist da noch sein Hobby als Bastler. Insgesamt vier Traktoren stehen in der Werkstatt, die er mit seinem Freund unterhält. „Wir basteln an den alten Maschinen und arbeiten auch damit“, sagt er. „Es kommen auch Reisen zu etlichen Treffen dazu. Wir gehen in dem Hobby auf.“ Außerdem unterhalte er sich gern mit den anderen Mitgliedern der Traktorfreunde Schwanebeck. „Viele haben ein unglaubliches Fachwissen über Traktoren und Motoren, da kann man wirklich noch einiges lernen.“ Die Bastler wissen sein handwerkliches Geschick zu schätzen.

„Es gibt immer mal wieder Leute, die mich zum ersten Mal sehen und die sich Gedanken machen, ob ich das alles packe“, berichtet Andreas Pitt. „Denen zeige ich dann, dass alles in Ordnung ist und ich gut klarkomme.“