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Sparzwang Nachts wird es in Wegeleben zappenduster

Neuerdings wird es nachts in Wegeleben zappenduster. Der Stadtrat hat dies unter dem Spardruck beschlossen. Einwohner kritisieren dies.

Von Christian Besecke 10.11.2016, 12:08

Wegeleben l Den für die Bürger einschneidenden Beschluss des Stadtrates kritisiert Leser Udo Romankewitz in einem Schreiben an die Volksstimme-Redaktion. „Seit geraumer Zeit wird in der Stadt Wegeleben die Straßenbeleuchtung komplett ausgeschaltet. Das heißt, im ganzen Stadtbereich gibt es von 0 bis 2 Uhr keine Straßenbeleuchtung“, berichtet er vor. „Die Karnevalszeit, in Wegeleben sehr traditionsreich, steht vor der Tür und sehr viele Bürger haben Bedenken, nach den Veranstaltungen sicher nach Hause zu kommen.“ Für die Stadt an der Bode sei es mit Sicherheit keine gute Werbung, wenn Gäste aus anderen Orten die Veranstaltungen besuchen und dann durch eine Geisterstadt fahren müssten.

„Es betrifft ja nicht nur die Veranstaltungen zum Karneval, sondern auch die Heimwege, wenn man zum Beispiel den Abend bei einem Geburtstag oder einen gemütlichen Abend mit Freunden verbracht hat“, erinnert Romankewitz. „Beim ersten Schritt vor die Tür kommen Ernüchterung und Unbehagen auf. Erfahrungsgemäß und tendenziell wird auch den Langfingern mehr Möglichkeit gegeben, um noch nachtaktiver zu sein“, warnt er.

Auf Nachfrage beim zuständigen Bauamt der Verbandsgemeinde Vorharz habe man ihm gesagt, dass der Stadtrat Wegeleben diese Lösung zur Einsparung beschlossen habe. „Wir sehen ja alle ein, dass Kosteneinsparung und das Schonen der Ressourcen eine gute Sache sind, aber eine ganze Stadt im Dunkeln zu lassen ist schon krass“, findet Romankewitz. „Ich denke, da würde es auch andere Mittel und Wege geben. Kaum einer würde wohl meckern, wenn künftig nur jede zweite oder jede dritte Straßenlampe leuchten würde“, schlägt der Einwohner konkret vor.

Bürgermeister Hans-Jürgen Zimmer (CDU) versteht die Kritik des Wegelebers nicht nur, sondern teilt sie sogar: „Mit der Stromabschaltung sind wir nicht allein in Deutschland. In immer mehr Kommunen gibt es keinen finanziellen Spielraum mehr aufgrund der seit Jahren verfehlten Finanzpolitik des Landes und des Bundes gegenüber den Kommunen“, stellt er klar. „Im nur sieben Kilometer entfernten Gröningen brennt die Straßenbeleuchtung seit nunmehr zehn Jahren in der Zeit von 0 Uhr bis 4.30 Uhr nicht mehr.“

In Harsleben sei vor Jahren jede zweite Lampe abgeschaltet worden – als noch Geld für freiwillige Investitionen vorhanden gewesen war. „So etwas ist technisch auch bei uns möglich, bedarf aber einer hohen Investition, die die Stadt erstmal als Eigenmittel vorfinanzieren muss. Das dafür nötige Geld haben wir jetzt aber nicht“, erläutert Zimmer. „Wenn kein eigenes Geld vorhanden ist, muss ein Kredit aufgenommen werden. Der benötigt die Zustimmung der Kommunalaufsicht.“ Diese würde jedoch keinen Kreditantrag genehmigen, weil sich nach bundesweiten Berechnungen solche Investitionen erst nach rund acht Jahren auszahlen würden.

„Was bleibt also, wenn man den ständigen Forderungen der Kommunalaufsicht Folge leisten will und muss, um die Haushaltskonsolidierung fortzusetzen“, fragt das Stadtoberhaupt rhetorisch. „Wir müssen sparen, bis es weh tut – und das ist so ein Fall.“ Er habe übrigens vorgeschlagen, die Zeit von 4 bis 6 Uhr zu wählen. Das sei von der Verwaltung abgelehnt worden, weil es wegen der aufgehenden Sonne keine echte Einsparung mehr gebe.

„Egal, welche Zeit der Stromabschaltung gewählt wird. Es gibt immer eine Gruppe von Menschen, die den angesetzten Zeitraum kritisieren würde“, sagt der Bürgermeister. „Mir gefällt die jetzige Situation auch nicht. Und ich habe bereits der Tierärztin Sandra Günzke – die sich ebenfalls an mich gewandt hat – schriftlich signalisiert, dass der Stadtrat im Frühjahr 2017 das Problem noch einmal auf den Tisch bekommt.“

Die erzielte Einsparung bei nur bei zwei Stunden Abschaltung soll nach Berechnungen des Bauamtes bei rund 10 000 Euro im Jahr liegen.

„Es war die einzige Möglichkeit, andere freiwillige Leistungen beibehalten zu können“, verdeutlicht Zimmer das Dilemma. „Da bliebe die Schließung der Bibliothek. Eine private Betreibung ist nicht möglich, und eine Anbindung an die Grundschule, wie bereits vor Jahren von mir eingebracht, wurde von der Verbandsgemeinde aus Kostengründen abgelehnt.“ Er sei auch nicht geneigt, die Jugendarbeit komplett zu beenden. „Das will ich nicht und der Auf- schrei aus der Bevölkerung wäre nicht zu überhören“, unterstreicht der Bürgermeister. „Die kostenlose Nutzung aller städtischen Räume müsste entfallen. Die Vereine, die arm sind wie eine Kirchenmaus, würden ebenfalls protestieren.“

Seit dem Sommer werde schon für die Benutzung der Sporthalle gezahlt. Allerdings seien das nur 25 Prozent der tatsächlichen Kosten. „In anderen Städten gibt es seit Jahren Kostensätze für eine Hallennutzung, die sind jenseits von Gut und Böse, da spricht kein Mensch von“, redet sich Zimmer in Rage. „Es gibt leider keine Alternative zur Stromabschaltung. Die Einbruchszahlen sind, meines Wissens nach, in Gröningen wegen der Stromabschaltung nicht gestiegen.“

Es mache ihm als Bürgermeister keinen Spaß mehr. „Wenn man nur noch verwalten und nicht mehr gestalten kann, dann ist das deprimierend“, sagt er. „Wir fangen den Ärger aus der Bevölkerung ab und bekommen zusätzlich den Ärger von ,oben‘, wenn wir nicht handeln.“

Die Ursachen liegen laut Zimmer nicht in der Finanzpolitik der Stadt. „Die jährlich steigenden Kosten der Kreis- und Verbandsgemeindeumlage sowie die schlechter werdenden finanziellen Zuweisungen vom Land treiben uns in den Ruin. Vor zehn Jahren lagen wir mit Kreis- und Verwaltungsumlage zusammen noch bei knapp einer Millionen Euro – heute sind es bereits rund 1,8 Millionen Euro.“ Die Leistungen von Kreis und Verbandsgemeinde seien nicht größer geworden sondern eher weniger.

„Wo bleibt die viel gepriesene Selbstverwaltung der Gemeinden, wenn diese nicht mehr gestalten können“, fragt der Bürgermeister. „Ich erinnere mich an einen Brief vom Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU), den ich im Sommer auf eine Anfrage zur Situation hin erhalten habe.“ Haseloff habe verdeutlicht, dass man sich in den Städten und Gemeinden auf solche Verhältnisse einstellen müsse, weil das Solidarprinzip vom Bund ab 2018 nicht mehr angewendet werde.

Zappendustere Nacht in Wegeleben – es dürfte erst der Anfang sein.