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Stadtgeschichte 30.000 Seiten, 10.000 Fotos, 900 Nummern

Werner Hartmann ist ein Kenner Halberstädter Geschichte. Den Beleg dafür berabeitet Bianca Fürst: mehr als 30.000 Seiten Papier.

Von Sabine Scholz 31.03.2019, 00:01

Halberstadt l Sie ist eine von denen, die zum Studieren nach Sachsen-Anhalt kommen und gern hierbleiben wollen. Da kam die Suche des Städtischen Museums Halberstadt nach einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin gerade rechtzeitig. „Dass es nach dem Abschluss wohl erstmal auf eine befristete Stelle hinausläuft, war mir klar“, sagt Bianca Fürst. So erwirbt man als Historikerin Berufserfahrung, ohne die es kaum eine Festanstellung gibt.

Die junge Frau hatte sich nach dem Studium an der Martin-Luther-Universität in Halle bundesweit beworben, dass es mit Halberstadt geklappt hat, freut sie besonders. „Die Stadt war mir ein Begriff“, sagt die im südbayrischen Mittenwald Aufgewachsene. Denn parallel zum Geschichtsstudium studierte sie Kunstgeschichte. Ihre Professoren legten dabei großen Wert auf die regionalen Besonderheiten und Schätze. „Vom Halberstädter Dom hat unser Professor besonders geschwärmt“, erzählt die fröhliche junge Frau.

Nun sitzt sie im Schatten dieses beeindruckenden gotischen Kathedralbaus und ackert sich durch das Archiv von Werner Hartmann. Der Stadtchronist hat große Teile seiner Sammlung und seiner Manuskripte dem Städtischen Museum Halberstadt übergeben, nun muss dieser Schatz in den Sammlungsbestand aufgenommen und so aufbereitet werden, dass der Inhalt auch anderen Interessenten zugänglich ist. Was heutzutage heißt: Digitalisieren.

Das schont die Originale und trägt zugleich das Wissen, das Werner Hartmann zusammengetragen hat, in die Welt. „Wobei es schon Dinge gibt, die wir nicht komplett zugänglich machen“, sagt die junge Historikerin. Das betrifft zum Beispiel sehr private persönliche Korrenspondenzen, die Werner Hartmann für seine Sammlung bekommen hat. Wenn noch Angehörige der Briefschreiber leben, bleibt das Persönliche erstmal im Museum, aber nicht auf der digitalen Plattform. „Da muss man beim Archivieren schon aufpassen, dass Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben“, erklärt Bianca Fürst.

Nicht nur deshalb hat sie die 30.000 Blatt Papier, die die Manuskripte und Briefe Werner Hartmanns umfassen, alle gelesen. „Wird ein Sammlungsbestand übernommen, müssen die Inhalte ja erschlossen werden, das heißt, es braucht Schlagwörter, kurze Inhaltsangaben, ein nachvollziehbares Ordnungssystem“, erklärt Bianca Fürst. Als sie vor gut einem Jahr das erste Mal dem Konvolut aus Heftern, Mappen, Zeitungssausschnitten, Büchern, gegenübersaß, brauchte sie eine Weile, um sich ein System für die Erschließung zu überlegen und die bereits begonnene Arbeit sinnvoll fortzusetzen. „Wir haben ja unterschiedlichste Dinge von Werner Hartmann bekommen, den ich gleich am zweiten Tag meiner Arbeit hier kennenlernen durfte.“

Die Begegnungen mit dem 96-Jährigen beeindrucken die für ihren Job nach Halberstadt gezogene junge Frau immer wieder. „Er ist klar, fokussiert auf die Sache, kann toll erzählen und kommt nach einem kleinen Schlenker immer wieder sofort auf das Wesentliche zurück. Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten.“ Neben Fragen, die auftauchen, ist es die Vorbereitung einer neuen Sonderausstellung, die Bianca Fürst in Kontakt zu Werner Hartmann bringt. Im kommenden Jahr soll sein Archiv im Mittelpunkt einer Ausstellung stehen.

Bis dahin ist noch einiges zu tun. Zwar hat sie die fast 30.000 Seiten eigener Arbeiten Hartmanns durchgeackert, alte Heftklammern gelöst, jedes Blatt aus Folienhüllen herausgenommen, für das Einscannen aufbereitet. „Manchmal hat er auf alles, was Papier war, geschrieben. Da interessiert die Rechnung, die darunter hängt, nun nicht unbedingt“, erzählt die 27-Jährige lachend. Der Großteil der Texte wird von einer Firma eingescannt und so digital zugänglich gemacht – wenn sie mit den dazu erforderlichen Informationen seitens des Museums versehen sind, da können dann schon mal 150 Indexbegriffe zusammenkommen. „Das alles ist Teil des Projektes, für das es ja Fördergeld gab“, berichtet Bianca Fürst.

Kurze Notizen, erste Entwürfe und druckfertige Fassungen umfasst das Archiv, dazu kommen die gut 1.000 Bücher, die Werner Hartmann zu seinen Themen gesammelt hat, die nicht digitalisiert, aber in den Sammlungsbestand aufgenommen werden. Zum Archiv gehören auch einzelne Objekte wie Lebensmittelkarten, Plakate und ähnliches. 630 Inventarnummern gibt es allein für die persönlichen Manuskripte, 900 sind es insgesamt. Dazu kommen rund 10.000 Fotos. „Die bearbeitet Simone Bliemeister, sie kennt sich als Halberstädterin besser mit den Dingen aus, die darauf abgebildet sind. 8.700 der Bilder hat sie bereits digitalisiert“, erzählt Bianca Fürst. Alles in allem hat man inzwischen ein Datenvolumen von 61,6 Gigabyte erreicht. „Im Archiv sind ja auch Regalmeter eine Messgröße. Die Sammlung Hartmann umfasst bislang 31,5 Regalmeter.“

Bianca Fürst ist begeistert davon, mit ihrer Arbeit viel zu lernen über Halberstadt und seine Geschichte. „Das spannend an solchen Sammlungen ist ja, dass hier Mikrogeschichte erlebbar wird“, sagt Fürst und verweist auf Hartmanns Arbeit „Halberstadt unterm Hakenkreuz“. Über die Zeit des Nationalsozialismus sei viel geforscht und publiziert worden, doch wie das Alltagsleben war, das erschließe sich in solchen heimatgeschichtlichen Arbeiten.

Manches berührt sie besonders, bei anderen werden plötzlich persönliche Bezüge erkennbar. Als Beispiel nennt sie die Aufzeichnungen Werner Hartmanns über Dieter Kober, der Halberstädter war nach Chicago emigriert, leitete dort das Philharmonie-Orchester. „Mein Vater ist Geigenbauer, er war einige Jahre in Chicago“, berichtet Bianca Fürst, „aber Dieter Kober ist er wohl nie begegnet.“

Noch eine andere Anekdote gibt sie preis. Werner Hartmann hatte sich unerwartet entschlossen, auch seine Theatersammlung ins Museum zu bringen. 18.000 Seiten Programmhefte und ähnliches, fast alles zum Halberstädter Theater seit dem Bau eines Stadttheaters 1905. „Da fand ich plötzlich ein Programm zur Aufführung des Stücks ,Heimkehr nach Mittenwald‘. Ich wusste nicht mal, dass es ein Theaterstück gibt, in dem meine Heimatstadt eine Rolle spielt. Mittenwald ist ziemlich klein.“ Liegt dafür direkt am Karwendel, die hohen Berge findet sie hier im Harz natürlich nicht. Aber Wald, viel Wald, und der ist eng mit ihrem Heimatgefühl verbunden.

Noch fast ein Jahr kann sie an der Übernahme des Hartmann-Archivs in den Sammlungsbestand des Städtischen Museums Halberstadt arbeiten, darauf freut sie sich. Und darauf, dass sie bei der Konzeption der Hartmann-Sonderausstellung aktiv mitwirken kann.