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Stadtsanierung Leben im einst verwaisten Fachwerkhaus

Über 300 Jahre alt ist das Fachwerkhaus Grudenberg 8 in Halberstadt. Das Deutsche Fachwerkzentrum Quedlinburg saniert das Denkmal.

Von Jörg Endries 23.04.2017, 15:12

Halberstadt l Eine Erfolgsgeschichte wird in Halberstadt fortgeschrieben. Mit traditionellen Handwerkstechniken und altbewährtem Baumaterial Fachwerkhäuser retten – ressourcen- und energieeffizient. Derzeit zieht nach dem Konzept schrittweise Leben in das über 300 Jahre alte Haus Grudenberg 8 ein. Jahrzehnte des Leerstands und schnell fortschreitenden Verfalls stoppen Mitarbeiter das Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg im Auftrag der Eigentümerin Stadt Halberstadt. Eine große Rolle spielen dabei erneut junge Leute.

Unter der Regie von alten Hasen, also Fachleuten wie Maurern und Tischlern, sind Mitarbeiter der Jugendbauhütte des Fachwerkzentrums erneut in die umfangreichen Arbeiten zur Rettung des Denkmals Grudenberg 8 mit eingebunden. Dabei geht es international zu. Nicht nur Jugendliche aus Deutschland legen mit Hand an, sondern junge ­Frauen und Männer aus aller Welt – in den meisten Fällen Studierende. „Aus 25 Ländern haben bislang Jugendliche an den verschiedenen Projekten mitgearbeitet“, berichtet Claudia Hennrich, Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg. Aber auch Flüchtlinge, die seit einigen Monaten und länger in Halberstadt und Umgebung Asyl gefunden haben, bringen sich begeistert mit ein. Für sie bietet das Deutsche Fachwerkzentrum praxisorientierte Seminare zum Erhalt national wertvoller Kulturgüter an. „Wenn Flüchtlinge auf diese Weise integriert werden, ist das eine tolle Sache“, begrüßt Jens Klaus, Fachbereichsleiter Stadtentwicklung, die Bildungsarbeit des Fachwerkzentrums. Wie gut das funktioniert, davon überzeugten sich am Donnerstag Schüler des Martineums.

In der zurückliegenden Woche nahmen junge Männer aus Guinea-Bissau, Mali, Eritrea und Niger am Seminar „Maler- und Putzarbeiten“ teil, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der Commerzbank-Stiftung finanziert wird. Sie lernten unter anderem das traditionelle Arbeiten mit Lehm, mit dem die Wände im Inneren des Fachwerkhauses neu entstehen oder ausgebessert werden beziehungsweise das Ausmauern alter Gefache mit ­Lehmziegeln. Aber auch filigranere Tätigkeiten wie das Sichern von 300 Jahre altem Lehmputz aus der Bauzeit des Grudenbergs 8 gehörte dazu. Auf einigen Restflächen findet sich immer noch Originalfarbe aus dem 17. Jahrhundert. Der Restaurator Dirk Knüpfer ist angetan davon, dass die Bemalung trotz des starken Verfalls erhalten geblieben ist. „Hatschi, ein junger Mann aus Eritrea, bewies Fingerspitzengefühl beim Freilegen der alten Putzschichten, die sich unter neueren Farbschichten verbargen“, erzählt Dirk Knüpfer. Mit flüssigem Lehm werden die problematischen Stellen, wo die Ablösung von der Wand droht, gesichert. „Leider funktioniert das Verfahren nicht in jedem Fall“, bedauert der Fachmann.

Jean-Pierre aus Guinea-Bissau ist mit 18 Jahren der Jüngste in der Runde. Er absolviert seit Dezember 2016 einen Freiwilligendienst im Fachwerkzentrum und zeigt sein erworbenes Können beim Restaurieren alter Lehmwände im Grudenberg 8. Maurer Klaus Mehlhorn steht Jean-­Pierre und den anderen mit Rat und Tat zur Seite. „Die Arbeit ist eine Herausforderung, vor allem, wenn die jungen Menschen Deutsch noch nicht so gut sprechen. Dann arbeiten wir mit Händen und Füßen und es klappt“, so Klaus Mehlhorn.

„Es ist spannend zu sehen, was die jungen Leute können und lernen“, sagt Claudia Hennrich. Die Schüler der AG „Soziale Kälte“ des Martineums zeigen sich beeindruckt vom Engagement der Flüchtlinge, die ihnen stolz das im Seminar Erlernte demonstrieren. Die Gymnasiasten unterstützen soziale Projekte wie das ­Rauhe Haus, die Wärmestube und den kulturellen Austausch.

Faulende Holzbalken, Spinnweben, bröselndes Mauerwerk, herausgeschlagene Fensterrahmen bestimmen mittlerweile nicht mehr das Bild am und im Grudenberg 8. In den zurückliegenden Monaten ist der extreme Schwammbefall bekämpft worden, die Gründungsarbeiten am Fundament sind fast abgeschlossen, berichtet Claudia Hennrich. Außerdem ist das Fachwerk mithilfe einer Fachfirma instand gesetzt worden. „Mit dem Ausmauern der Gefache wurde begonnen. In der Werkstatt des Fachwerkzentrums Quedlinburg werden die alten Fenster und Türen restauriert“, informiert die Geschäftsführerin. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt die Sanierung des Grudenbergs 8 großzügig. Eines von insgesamt 520 Projekten, das die private Denkmalstiftung dank Spenden und Geld der GlücksSpirale, der Rentenlotterie von Lotto, allein in Sachsen-Anhalt bislang fördern konnte.

2015 übergab Claus Mangels, Ortskurator Magdeburg der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, einen Förderscheck über 62.000 Euro an Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke). Dabei handelte es sich um eine zweckgebundene Spende der Commerzbank-Stiftung. Die hat bereits im Jahr zuvor 63.000 Euro für die Instandsetzung der Außenwände des denkmalgeschützten Bürgerhauses zur Verfügung gestellt.

Von Anfang an stand fest, dass ausgewählte Abschnitte im Rahmen des Bildungsauftrages des Fachwerkzentrums als Jugendprojekte umgesetzt werden. Die zweigeschossigen Gebäude Hühnerbrücke 4 und Grudenberg 8 mit ihren Krüppelwalmdächern entstanden zeitgleich 1697 im typischen Barockstil. Bis 1820 beherbergten die beiden Bauten mit der Städtischen Lateinschule den ältesten erhaltenen Schulkomplex in Halberstadt. Dann wurden sie zu Wohnzwecken genutzt.