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Störche in Gefahr Geburtenknick bei den Adebaren

Die Population der Störche im Harz ist gefährdet, sagt Weißstorchbeauftragter Fiedler. Wohl auch die Nilgans ist mit dafür verantwortlich.

Von Christian Besecke 28.01.2017, 12:04

Landkreis Harz l Die Daten des Fachmanns aus Rohrsheim sind durchaus brisant. Setzt sich der derzeitige Einbruch beim Nachwuchs weiter fort, fliegen spätestens im Jahr 2026 keine Jungstörche mehr aus. Georg Fiedler, ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter für den Weißstorch im Harzkreis und im ehemaligen Regierungsbezirk Braunschweig, hat sämtliche Beobachtungen und Erkenntnisse von den aktuell acht Storchennestern im Landkreis Harz in einer Statistik erfasst. Diese befinden sich allesamt im Vorharz- und Huyraum. Im Rest des Kreises gibt es keine weitere Population.

Über einen Zeitraum von 2010 bis 2016 lässt sich anhand der Daten die Entwicklung nachvollziehen. Ein deutlicher Abwärtstrend ist bei den nistenden Paaren mit Bruterfolg festzustellen. Bis zum Jahr 2011 war hier eine stabile Linie zu erkennen. Nach einem Einbruch 2013 mit nur fünf Paaren gab es 2016 nur vier Adebar-Familien, die sich über Nachwuchs freuen konnten.

In den besten Zeiten flogen 23 Jungstörche gen Süden, im vorigen Jahr waren es derer nur neun. „Auch wenn wir 2015 mit 22 jungen Weißstörchen ein gutes Jahr hatten, stimmt die Entwicklung doch bedenklich“, sagt Georg Fiedler. „Es sind einfach zu viele Unwägbarkeiten hinzu gekommen.“

Dazu zählten auch die mageren Nahrungsangebote für die Adebare, die diese im vorigen Winter in Afrika vorfanden. „Im Landkreis Harz haben wir in der überwiegenden Zahl Störche, die die sogenannte Ostroute über den Balkan nehmen“, erklärt Fiedler. „Sie kommen dann von Süd- oder Ostafrika zurück zu uns.“ In der Regel dauere dieser Flug entschieden länger als der über die Westroute. Diese führe über Spanien bis nach Nord- oder Zentralafrika. „Die Verlustrate ist auf der Ostroute sicherlich höher“, merkt der Experte an.

„Hinzu kommen dann im Harz besondere Umstände.“ Die Nilgans sei hier seit Jahren auf dem Vormarsch. Georg Fiedler weiß von Beobachtungen zu berichten, die diese Vögel als Brutkonkurrenten für die Adebare ausweisen.

„Ein Extrembeispiel ist das Storchennest in Adersleben“, führt er an. „Seit zwei Jahren torpedieren die Gänse hier die Brutversuche der Störche. Das hat zum Totalverlust des Nachwuchses geführt. Im vorigen Jahr wurde von einem Anwohner beobachtet, wie Nilgänse junge Störche getötet haben.“ Das bestätigt der sogenannte Storchenvater aus Wegeleben, Karl-Heinz Mau. „Derzeit halten diese Vögel das Nest sogar rund um die Uhr besetzt“, berichtet er.

Das Problem hat inzwischen in Expertenkreisen die Runde gemacht. Rüdiger Becker, der Leiter des Heineaneums in Halberstadt sagt dazu: „Im Jahr 2016 brüteten in Adersleben vermutlich zwei unterschiedliche Nilganspaare. Das erste hat sich wunderbar mit den Störchen arrangiert. Solch eine Situation ist sehr selten.“ Nilgänse seien in der Regel äußerst aggressiv. „Ein Jungstorch hat gegen sie keine Chance, während ein ausgewachsener Vertreter seine Stellung durchaus klarmachen kann“, erläutert er.

Karl-Heinz Mau verweist auf das vermehrte Auftreten von ganzen Nilgansscharen, die er und andere Bürger auf den Feldern und entlang der Bode beobachtet haben. Georg Fiedler hat dazu eine klare Meinung. „Es gibt eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen, die in Niedersachsen erfolgreich angewendet werden“, sagt er. „Speziell in Adersleben sollte aktiv gegen die aggressiven Gänse vorgegangen werden, die Population der Störche ist hier gefährdet.“

Das sieht Rüdiger Becker ähnlich, er spricht von aktiver Verschreckung. Fiedler und Mau empfehlen zudem eine Änderung des Jagdrechts in Sachsen-Anhalt, denn bislang darf die Nilgans nicht bejagt werden. Der Sache angenommen hat sich Lutz Gnade aus Schwanebeck. Er ist Naturfreund und Storchenfan. „Beim Sichten der Statistiken habe ich einen Schreck bekommen“, erzählt er. „Sollte sich nicht drastisch etwas an der Entwicklung ändern, haben wir – rein rechnerisch gesehen – ab 2023 keine nistenden Paare mit Brut- erfolg mehr.“

Seiner Meinung nach sei eine politische Lösung fällig. „Wir reden gerade über den Wolf und vergessen darüber den Weißstorch im Harz“, erinnert er. „Ich habe bereits die drei CDU-Landtagsabgeordneten Daniel Szarata, Gabriele Brakebusch und Bernhard Daldrup von der Situation unterrichtet.“ In den Schreiben seien jeweils die fundierten Angaben der Experten beigefügt gewesen. „Ich habe sie gebeten, sich für eine Änderung des Jagdrechtes stark zu machen“, erklärt Lutz Gnade.

Rüdiger Becker verweist auf die vorliegenden Zahlen aus Sachsen-Anhalt, die in einem Mitteilungsblatt des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) 2015 veröffentlicht wurden. Sie stellen die Situation im Jahr 2014 dar. „Da sehen wir eine andere Entwicklung. Aktuellere Statistiken sind mir nicht bekannt“, sagt er. „Die Zahlen von Georg Fiedler sind daher höchst interessant.“

Eine vergleichbare Erhebung über die Nilgänse gibt es nicht. „Es ist aber schon sehr augenscheinlich, dass diese sich in den letzten Jahren rasant vermehrt haben“, gibt Becker zu bedenken. Karl-Heinz Mau hat bereits Kontakte zum Storchenhof in Loburg und zur Vogelschutzwarte in Steckby geknüpft. In Loburg wird „die Anzahl von Nilgans-Bruten in Storchennestern zur Zeit noch als zu gering eingestuft“, um etwas dagegen zu tun. „Das verwundert nicht weiter, da wirklich aktuelle Zahlen dort womöglich auch nicht bekannt sind“, schätzt Mau ein.

Eine Beobachtung aus Gröningen (Kreis Börde) gibt den Experten im Landkreis Harz indessen Recht, denn auch dort machen sich derzeit Nilgänse auf dem Storchennest breit.