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Stolberg-Hütte „Verrückt“ nach Eisenkunstguss

Die Fürst-Stolberg-Hütte in Ilsenburg schließt an vergangene Glanzzeiten an. Zu verdanken ist das dem neuen Eigentümer.

Von Regina Urbat 01.01.2018, 08:11

Ilsenburg l Wie verrückt muss man sein? Mit dieser Frage wird Christian Eggert oft konfrontiert. Der Ilsenburger hat im Oktober 2012 die ein Jahr zuvor in Insolvenz gegangenen Fürst-Stolberg-Hütte samt des heruntergekommenen Betriebsareals gekauft. Zum einen, um dort seine 1996 gegründete Bauelemente-Firma, in der heute 22 Mitarbeiter beschäftigt sind, anzusiedeln und Wirtschaftsförderung zu betreiben, zum anderen, um eine Vision zu verfolgen. Für Eggert steht die Hütte für eine einzigartige Handwerkstradition, die vom Modellbau über die Bildhauerei bis zum Kunstguss reicht. „Das muss man doch für die kommende Generation erhalten“, betont der 57-Jährige und engagiert sich seither sehr zielstrebig und erfolgreich dafür.

1530 wurde von Graf Botho zu Stolberg der Grundstein für die Fürst-Stolberg-Hütte gelegt. Weltruhm erlangte das Unternehmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Herstellung von Eisenkunstguss und gusseisernen Öfen mit kunstvoll gearbeiteten Ofen- und Kaminplatten. Künstler wie Dürer, Schinkel, Mucha, Albin und Müller schufen für die Hütte Modelle und Vorlagen für Eisenkunstgussmodelle.

Zu DDR-Zeiten wurde aus der Fürst-Stolberg-Hütte das Ilsewerk, das auf Industrieguss ausgerichtet war. Rund 600 Beschäftigte produzierten Gehäuse für Motoren, Gullideckel, Straßenlaternen, Poller und Guss-Säulen. Nach der Wende wurde die Gießerei 1993 privatisiert, etwa 25 Mitarbeiter waren in der neuen alten Fürst-Stolberg-Hütte beschäftigt.

„Der Anfang war hart“, erinnert sich Christian Eggert, als er 2012 die 27.000 Quadratmeter große Industriebrache erwarb. „Bis Mitte 2013 haben wir nur entkernt; tonnenweise Müll und alte Maschinen mussten aus Hallen und Gebäuden entsorgt werden.“ Stück für Stück nahm der Handwerkerhof Gestalt an. Zufahrtsstraße, Stromversorgung, Wasser- und Abwassersystem – alles ist neu. Mittlerweile haben sich 18 Unternehmen auf dem Hof angesiedelt, mehr als 70 Arbeitsplätze sind entstanden, berichtet Eggert stolz. Sein Ziel: „2030 sollen sich 30 Firmen angesiedelt haben.“

Stolz sei er auch auf den Ausbau und die Modernisierung des einstigen Verwaltungsgebäudes. Neben dem Firmensitz der Zimmerei und Tischlerei von Christian Eggert befinden sich hier eine liebevoll eingerichtete Heimatstube, in der Hütten- und auch Sportgeschichte dokumentiert sind, ein Jazz-Boden für Kleinkunstveranstaltungen, ein Hüttencafé und kleines Restaurant sowie eine Zahnarztpraxis. Das lange Klinkergebäude ist wieder belebt, ebenso wie Leben in die Gießereihalle eingezogen ist.

Ob Schaugießen, Rockkonzerte, Schauspiele oder Klassikkonzerte, Akteure wie Besucher waren stets von der Veranstaltungsstätte begeistert, „trotz des morbiden Charmes“, sagt Eggert und fügt schmunzelnd hinzu: „Jeder, der die Halle das erste Mal betritt, staunt und ist total angetan.“ Zuletzt waren es Bogenschützen aus vielen Teilen Deutschlands, die einen Wettkampf in der Halle austrugen. „Sie kommen wieder“, sagt der Ilsenburger. Für 2018 sei der Kalender schon gut gefüllt, das Nordharzer Städtebundtheater wie auch Firmen wollen Veranstaltungen ausrichten. Er selbst, beziehungsweise seine Frau Susanne, habe die Idee, ein Autokino anzubieten. „Die Halle ist groß genug.“

Für die Verbindung von Tradition und Moderne hat Christian Eggert mit Gleichgesinnten einen Förderverein für die Fürst-Stolberg-Hütte gegründet. So konnte er neben Privatkapital auch Fördergeld vom Land für die Sanierung nutzen. „Drei Jahre lang wurden wir gut bedient“, sagt Eggert. Anträge für die weiteren Vorhaben sind gestellt. „Wir müssen dran bleiben.“

Als nächstes soll die große gelbe Ofenhalle, die zu DDR-Zeiten gebaut wurde und keine Verwendung mehr hat, abgerissen werden. „Dort können Parkplätze für Besucher und Touristen geschaffen werden.“ Die angrenzende historische Gießereimanufaktur braucht eine Dachsanierung, das Seitenschiff muss verklinkert, der 3.000-Quadratmeter-Hallen-Fußboden asphaltiert werden.

Eggert – nun ganz Präsident des Ilsenburger Fußballvereins – ist nicht zu bremsen und berichtet von seinem Acht-Punkte-Plan, der bis 2020 umgesetzt werden soll: „Die bodentiefen Fenster müssen neu gegossen und dann in die neue Fassade eingebaut werden. Ein hoher Ofen soll mit Rogensteinen neu gebaut werden.“ Für das Großraummuseum in der Gießereihalle werden zudem Glasvitrinen gebraucht. Der Firmenchef schätzt die Gesamtinvestitionen auf rund 2,8 Millionen Euro. Eine stolze Summe, gibt Eggert zu, doch würde sich der finanzielle Aufwand wegen des „Vermögens“ lohnen: „Rund 700 Modelle aus vier Jahrhunderten stehen für den Kunstguss zur Verfügung.“

Mit dem Konzept des Fördervereins und Eigentümers der Fürst-Stolberg-Hütte hat der Ilsenburger im Sommer dieses Jahres die Eisenkunstgussfreunde bei ihrem 5. Internationalen Treffen in Polen begeistert. „Spontan entschieden sie, dass wir den Zuschlag für die Weltausstellung 2019 bekommen“, sagt Eggert. Bereits auf der Rückreise habe er begonnen, den Plan für das 6. Internationale Treffen zu schmieden. Rund 200 Gäste aus zahlreichen Ländern werden erwartet, sagt der Ilsenburger. Es seien alle Sammler von Kunstgussteilen „und genauso verrückt wie ich“. Seitdem der Bauunternehmer die Stolberg-Hütte gekauft habe, sei er der Sammelleidenschaft verfallen und kaufe „am liebsten Ilsenburger Guss“.