Tiergarten Sorgenkind Wolf

Einsam, krank, eingepfercht: Über den Zustand des Wolfs im Halberstädter Tiergarten gibt es im Internet viel Kritik.

Von Sandra Reulecke 12.05.2017, 12:00

Halberstadt l Artgerechte Haltung oder Tierquälerei? Videos, die vom Wolf im Halberstädter Tiergarten ins Internet gestellt wurden, werden heiß diskutiert. Mehr als 50.000 Leute haben sich die Filme bislang angesehen. Viele bemängeln, dass der Wolf – ein Rudeltier – allein lebt, das Gehege zu klein und das Tier deshalb krank sei. Nun haben sich die Stadtverwaltung und das Veterinäramt des Themas angenommen.

Eine amtliche Tierärztin hat den Wolf am Mittwoch untersucht. „Er befindet sich in einem sehr guten Allgemeinzustand“, lautet ihr Urteil, teilt Ingelore Kamann, Sprecherin des Kreises, mit. Hinsichtlich der Größe und Ausstattung entspricht die Anlage den rechtlichen Mindestanforderungen.

Auch Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) weist die Kritik aus dem Internet zurück. „Im Halberstädter Tiergarten widmen sich seit Jahrzehnten sehr gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großem Engagement und Leidenschaft der artgerechten Haltung, Züchtung und liebevollen Betreuung des Tierbestandes“, betont er. Ein Beschwerde-Punkt wird seitens der Stadt und des Kreises jedoch bestätigt: Die Einzelhaltung sei nicht optimal.

Dabei ist es in freier Wildbahn nicht unüblich, dass Wölfe Einzelgänger sind, sagt Andreas Berbig vom Wolfskompetenzzentrum des Landes. Er betont, dass eine Auswilderung des Tiergarten-Wolfs, wie Facebook-Nutzer vorschlugen, nicht möglich ist. „Das wäre ein unkalkulierbares Risiko“, so Berbig. Zumal der Halberstädter Wolf in Gefangenschaft geboren wurde. Das Zentrum stehe mit dem Harzer Veterinäramt in Kontakt. Sie wollen den Tiergarten unterstützen, um eine bessere Lebenssituation für den Wolf zu schaffen.

Denn dass der zehnjährige Wolf einsam ist, steht auch für Zooinspektor Michael Bussenius außer Frage. „Seit knapp zweieinhalb Jahren ist das Tier allein“, informiert er. Fatma – so der Name des Weibchens – ist die letzte Überlebende eines Rudels, das im Tiergarten lebte. Die anderen drei Wölfe seien alters- und krankheitsbedingt verstorben. Einfach neue Partner ins Gehege zu setzen, würde nicht funktionieren. Die Integration des erwachsenen Tieres in ein bestehendes Rudel berge ein zu hohes Risiko bis hin zum Tod des Tieres, so die Einschätzung des Veterinäramts. Bussenius erläutert: „Wölfe legen ein starkes Revierverhalten an den Tag. Sie dulden keine Konkurrenz.“

Diese Erklärung hat er allein an dem Abend, an dem das erste Video veröffentlicht wurde, mehr als 50 Leuten gegeben. Bis spät in die Nacht riefen sie ihn an, berichtet der Tiergarten-Vize. „Zu 95 Prozent waren es konstruktive Gespräche mit Menschen, die an den Hintergründen interessiert waren. Manche wollten Tipps geben, zum Beispiel Biologen.“ Grundsätzlich seien ihm und den Tiergarten-Mitarbeitern Kritik und Fragen willkommen. „Aber ich hätte mir gewünscht, dass die Menschen zuerst das Gespräch mit uns gesucht hätten.“

Einige der Behauptungen, die nach Veröffentlichung des Videos erhoben wurden, seien schlichtweg falsch. Im Film sieht man die Fähe (weiblicher Wolf) an einem Gitter auf- und ablaufen. Der Käfig, zu dem die Gitter gehören, ist 100 Quadratmeter groß und stammt aus dem Jahr 1977. Damals wurden erstmals Wölfe im Halberstädter Tiergarten gehalten. Wie Bussenius betont, hat Fatma mehr Auslauf. Das Gehege wurde zuletzt vor fünf Jahren erweitert. Es besteht aus 800 Quadratmetern Freifläche – samt Waldboden, Aussichtpunkten, Hecken und Bäumen sowie einem Badebecken.

„Das Gehege kommt den natürlichen Instinkten des Tieres entgegen“, so Bussenius. „Aber: Tiergärten und Zoos können die freie Natur niemals ersetzen. Das größte Gehege kann nicht die Strecken hergeben, die Wölfe in freier Natur laufen.“ Deshalb lege Fatma zeitweise stereotype Bewegungsabläufe – wie Auf- und Ablaufen – an den Tag.

Aus diesem Grund will der Tiergarten keine Wölfe mehr aufnehmen. Stattdessen sei man bestrebt, ein neues Zuhause für die Fähe zu finden. Es gebe nur eine Möglichkeit, dass Wölfe zu einem neuen Rudel zusammengestellt werden können: in einer Einrichtung, die bislang keine Wölfe hat. So sind alle Tiere neu und keines hat Revieransprüche. „Wie es derzeit aussieht, ergibt sich bald eine Chance dafür, Fatma in einer solchen Einrichtung unterzubringen“, so der Zooinspektor.