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Verfahren Trotz Urteils Sorgen im Sorgenfrei

Cannabis in der Pension "Sorgenfrei" in Sorge. Nun gab es vor dem Amtsgericht Wernigerode erste Urteile.

Von Dennis Lotzmann 01.12.2017, 15:04

Sorge/Wernigerode l Freispruch: Hans Dorrestijn kann aufatmen. Dem Niederländer ist nach Überzeugung des Amtsgerichts Wernigerode eine juristische Verantwortung für die in seiner Pension „Sorgenfrei“ betriebene illegale Indoor-Plantage mit Cannabis-Pflanzen nicht nachzuweisen. Die Zucht, so gestanden die beiden mit Hans Dorrestijn angeklagten Beschäftigten der Pension im Oberharz-Dorf Sorge am Donnerstag vor Gericht, sei ohne Wissen des Besitzers aufgebaut und betrieben worden. Dafür kassierten Dorrestijns Bruder sowie ein Deutscher die Quittung: Sie wurden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu jeweils einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Die Haftstrafen wurden für je drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Werden die beiden Urteile rechtskräftig, wäre unter das Kapitel ein juristischer Schlussstrich gezogen. Zwar blieb am gestrigen Donnerstag offen, ob die beiden Täter Urteil und Strafmaß akzeptieren. Da sie vor Gericht geständig waren und das Urteil nach einem sogenannten Rechtsgespräch zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft gefallen ist, darf davon zumindest ausgegangen werden. Zudem folgte Richter Klaus Tesch sowohl mit dem Freispruch für Hans Dorrestijn als auch mit den beiden Bewährungsstrafen punktgenau dem Antrag des Staatsanwaltes.

Das Trio hatte im Herbst 2015 für einige Schlagzeilen gesorgt. Zunächst mit positiven, weil Hans Dorrestijn zusammen mit seinen Mitstreitern das Land unterstützte. Als im August/September Tausende Flüchtlinge und Asylsuchende ins Land strömten und die Zentrale Anlaufstelle (Zast) in Halberstadt völlig überfüllt war, nahm Dorrestijn in seiner Pension Flüchtlinge auf und sorgte so für allumfassende Sorgenfreiheit.

Schließlich war die Unterbringung für die etwa 160 Syrer ein Glücksumstand. Mussten andere Flüchtlinge in der Zast teilweise in Zelten campieren, fanden sie im „Sorgenfrei“ vergleichsweise komfortable, menschenwürdige Bedingungen.

Bis zum 29. Oktober 2015. An diesem Tag kamen Ermittler des Landeskriminalamtes unangekündigt zum Hausbesuch nach Sorge. Bei der Durchsuchung, die auf konkreten Hinweisen basierte, wurden sie fündig. In einem abgeschotteten und versteckten Bereich der Pension stellten sie rund 500 Cannabis-Stecklinge sicher, wie es nun vor Gericht hieß. Der Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) wurde nach polizeilicher Analyse vor Gericht auf insgesamt 350 Gramm beziffert.

Das hatte für Hans Dorrestijn und seine beiden Mitstreiter nicht nur juristische Konsequenzen, sondern für sie und die Flüchtlinge weitreichende Folgen samt negativer Schlagzeilen. Das Land quartierte die Asylsuchenden, die teilweise unter Tränen das „Sorgenfrei“ verließen, anderenorts ein und kündigte den mit Dorrestijn geschlossenen Vertrag.

Ein Fakt, an dem sich der 51-jährige Pensionsbetreiber bis heute stößt. Er liegt nach eigenen Worten bis heute mit dem Land im Streit. Zum einen mache er Schadenersatzforderungen wegen Beschädigungen während der Beherbergung auf. Zum anderen sehe er keinen Grund für die vorfristige Vertragskündigung seitens des Landes. Über die Höhe der Forderungen mag Dorrestijn keine Angaben machen. Er fühle sich jedoch vom Land hingehalten, erklärte er am Donnerstag.

Auch über den Freispruch hält sich seine Freude in Grenzen. Schließlich habe ihm die Sache insgesamt sehr geschadet. „Meine Firma ist fast zugrunde gegangen“, so der Unternehmer mit niederländischen Wurzeln, der den ganzen Wirbel um die Cannabis-Plantage nicht nachvollziehen kann. „Auf jeden Fall ist jetzt vor Gericht bestätigt worden, was ich immer gesagt habe“, betont der 51-Jährige. Er wolle nun mit seinem Anwalt beraten, ob und wie er gegenüber dem Land weiter vorgeht. Schließlich sei der Schaden beträchtlich.

Wie sich das Land zu den Forderungen positioniert, ist unklar. Eine Anfrage an das Innen- und das Finanzministerium blieb am Donnerstag zunächst unbeantwortet. Die Finanz- verwies auf das Innenressort. Immerhin: Selbst wenn Dorrestijn nicht von der Plantage wusste – werden die beiden auf Geständnissen beruhenden Urteile rechtskräftig, ist die Existenz der Plantage in seiner Pension juristisch gesehen unstrittig belegt.

Vor diesem Hintergrund habe das Land kaum anders handeln können, als den Unterbringungsvertrag vorfristig zu kündigen, meinen Juristen. Nun bleibe abzuwarten, ob sich Dorrestijn in einem Zivilstreit durchsetzen könne.

Und: War er wirklich so ahnungslos? Offenbar ja, wurde in der Verhandlung deutlich. „Die Frage, ob er von der Plantage Kenntnis haben musste, war Gegenstand der Ermittlungen und der Verhandlung“, so der Richter. Ergebnis: Der Zugang dorthin befand sich versteckt hinter alten Möbeln. Außerdem gebe es weder DNA-Spuren noch Fingerabdrücke vom Pensionschef in diesem Bereich. Soll heißen: Wahrscheinlich agierte das geständige Duo wirklich allein. Gleichwohl bleibt – egal, aus welcher Position man den Sachverhalt betrachtet – die letztliche Verantwortlichkeit als Pensionsbetreiber.

Dorrestijn will nun wieder durchstarten. „Wir hatten eine sehr, sehr schwere Zeit. Es war für uns ein Überlebenskampf“, berichtet er. Nun gehe es langsam wieder aufwärts, berichtet der Niederländer, der nach eigenen Worten seit Februar fest in Sorge lebt. Gleichwohl dürfte es noch dauern, bis es im „Sorgenfrei“ wieder sorgenfrei zugeht.