Weihnachtsbräuche Harz statt Heimat

Manche müssen zu Weihnachten arbeiten - weit weg von Familie und Freunden. Zu ihnen zählenTheaterleute in Halberstadt.

Von Sandra Reulecke 24.12.2016, 13:19

Halberstadt l Weihnachtsidylle pur: Ein 200-Seelen-Bergdorf in 1000 Metern Höhe, im Tal blinken Lichter, die Höhenzüge von pudrig weißem Schnee bedeckt. Das ist der Ort, an dem Curdin Caviezel sein Leben lang den Heiligen Abend verbracht hat. Luven in der Schweiz, zwei Stunden von Zürich entfernt. Im elterlichen Wohnzimmer der Weihnachtsbaum, den er und die drei jüngeren Schwestern geschmückt haben. Es gibt Fondue. „Ohne Käse.“ Der 23-Jährige lacht.

Ein wenig werde er heute die liebgewonnene Tradition – und vor allem den Schnee – vermissen, verrät er. Aus beruflichen Gründen schafft er es nicht in die Heimat. Curdin Caviezel ist Schauspieler am Nordharzer Städtebundtheater. Aktuell gibt er im Stück „Die goldene Gans“ den Johann. Gestern Abend stand er auf der Bühne, am zweiten Weihnachtsfeiertag geht es weiter. „Für die kurze Zeit lohnt sich der Weg nicht“, sagt der Mime.

Deshalb feiert er mit seiner Freundin in deren Wohnung in Halberstadt. „Sie arbeitet in der Schneiderei des Theaters – auch über Weihnachten“, berichtet Caviezel. Eine weitere Freundin, ebenfalls am Theater beschäftigt, feiert mit. Es wird ein kleiner Baum aufgestellt und jeder der Drei steuert etwas zum Drei-Gänge-Menü bei. „Das wird ganz anders als sonst. Aber ich freue mich da­rauf“, sagt Curdin Caviezel.

Während sein Heiligabend gemütlich zu werden verspricht, steigt bei dem gebürtigen Niederländer Gijs Nijkamp die Aufregung. Der Sänger hat am morgigen Sonntag Premiere. „Der Barbier von Sevilla“ in Quedlinburg. Die Vorstellung ist ausverkauft. „Die letzte Woche vor einer Premiere ist eine intensiv Zeit, vollgestopft mit Terminen“, sagt der 52-Jährige. Hektik statt Besinnlichkeit. Nicht einmal für eine Weihnachtsfeier sei Zeit gewesen.

Die hat sich das „Goldene Gans“-Ensemble dagegen genommen. „Wir haben Schrottwichteln veranstaltet“, sagt Curdin Caviezel. Was das ist, möchte Gijs Nijkamp wissen. „Du ziehst einen Namen und demjenigen musst du etwas schenken. Aber nichts Schönes oder Praktisches, sondern etwas, was du nicht mehr gebrauchen kannst“, erläutert sein Kollege. Er hat ein Mal-Set bekommen und eine Dose Fisch verschenkt.

Gijs Nijkamp lacht. „Eine tolle Idee.“ Das mit dem Losen kommt ihm bekannt vor. Vor dem Fest machen auch die Erwachsenen seiner Familie auf diese Art aus, wer wem etwas schenkt – und dazu ein Gedicht verfasst. „Aber nicht zu Weihnachten, das ist bei uns gar nicht so wichtig. Wir feiern Nikolaus groß“, sagt er. „Was hier der Advent ist, findet bei uns in den Wochen vor Nikolaus statt.“ Und in dieser Zeit dürfen sich die Kinder über kleine Aufmerksamkeiten zwischendurch freuen.

Sinterklaas, so wird der Nikolaus im Niederländischen genannt, reitet auf einem Schimmel über die Dächer und kommt mit seinem Helfer, Zwarte Piet (Schwarzer Peter), durch die Schornsteine in die Häuser, erzählt Nijkamp.

In seiner Heimat heißt der Gabenbringer Samichlaus, sagt Curdin Caviezel. In der Schweiz spiele der Nikolaustag ebenfalls eine wichtige Rolle. „Am Dorfbrunnen war Treffpunkt, dort haben wir auf den Nikolaus gewartet, der mit seinen Helfern aus dem Wald kam.“ Aus einem großen Buch wurde vorgelesen, welches Kind brav war und welches nicht. Gaben wie Süßigkeiten und Nüsse wurden verteilt – nicht im Schuh, sondern im Jutebeutel.

In den Niederlanden fallen die Geschenke größer aus und es gibt sie bereits am Abend des 5. Dezember. „Zu Weihnachten essen wir zwar gut und verbringen die Zeit mit der Familie, aber wirklich gefeiert wird nicht“, berichtet Gijs Nijkamp. Der Sänger aus Amsterdam lächelt. „Bei meiner Familie in Halberstadt konnte ich mich damit nicht durchsetzen. Immerhin haben wir uns dieses Jahr Schokoladenbuchstaben geschenkt.“ Ein verbreiteter Brauch in den Niederlanden.

Seit 2003 lebt Gijs Nijkamp in der Domstadt. Mit seiner Lebensgefährtin hat er eine dreijährige Tochter. Diese fiebert – typisch deutsch – dem Besuch des Weihnachtsmannes am heutigen Heiligen Abend entgegen. Allem Premieren-Stress zum Trotz, freue sich der Holländer auf Weihnachten. Am zweiten Feiertag steht der Besuch des Weihnachtsmarktes in Magdeburg und eines Konzerts in Halberstadt mit seinem Sohn aus einer vorherigen Beziehung auf der Agenda.

Mit seiner Familie in Holland wird er via Internet kommunizieren. „Bei Skype sieht man sich ja beim Sprechen – da kommen einem die Entfernungen gar nicht so groß vor“, sagt Gijs Nijkamp. Curdin Caviezel nickt zustimmend. Und er freut sich auf das neue Jahr. Im Januar hat er frei und dann wird das weihnachtliche Familientreffen im Schweizer Bergdorf nachgeholt.