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Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung beraten heute zum Stand der Fusion Wie krank ist das Harzklinikum wirklich?

Von Ingmar Mehlhose 28.05.2013, 03:13

Nach der von Landrat Michael Ermrich (CDU) losgetretenen Diskussion um eine Privatisierung des Harzklinikums stellen sich heute im Aufsichtsrat viele Fragen: Es geht um Probleme bei der Fusion, die Verantwortung von Klinikchef Peter Redemann und die Kernfrage: Wie krank ist das Unternehmen wirklich?

Halberstadt/Quedlinburg/Wernigerode l Keine Frage: Für Klinik-Geschäftsführer Peter Redemann könnte in der heutigen Gremiumssitzung die Luft dünn werden und am Ende gar der Stuhl wackeln. Zu viele Fragen und Spekulationen ranken sich seit Monaten um das Anfang 2012 fusionierte Klinikum. Vieles ist unklar - sicher ist jedoch: Bei der Fusion knirscht es mächtig im Getriebe, die Bilanz des Klinikums "Dorothea Christiane Erxleben" scheint längst nicht so rosarot wie von den Verantwortlichen erwartet. Mit seinem lauten Nachdenken über eine Privatisierung des Klinikums hat der scheidende Landrat Michael Ermrich die Debatte zusätzlich befeuert.

Drang Ermrich gegen den Rat von Experten auf direkte Fusion?

Zwar hat der CDU-Politiker seine hinter verschlossenen Türen formulierten Gedanken zwischenzeitlich relativiert und jegliche konkreten Verkaufsabsichten dementiert - der Nachhall ist jedoch immens. Obendrein komme die Diskussion zur Unzeit und sei schon gar nicht von Ermrich zu erwarten gewesen, heißt es vielerorts kopfschüttelnd.

Schließlich ist die Fusion der beiden ehemals eigenständigen kommunalen Krankenhäuser in Wernigerode/Blankenburg sowie Quedlinburg vor allem eines: Ermrichs "Baby". So wie der CDU-Mann Mitte 2007 angetreten ist, die drei Kreise im Harz zum bevölkerungsreichsten Landkreis in Sachsen-Anhalt zu verschmelzen, wollte er auch mit den kommunalen Kliniken verfahren. Die beiden Häuser sollten nach Ermrichs Willen fusionieren. Notfalls auch gegen den Ratschlag von Experten.

Die sollen den Landrat schon weit vor der eigentlichen Fusion, die zum 1. Januar 2012 vollzogen worden ist, vor diesem radikalen Schritt gewarnt haben. Beide Kliniken seien strukturell wie finanziell zu unterschiedlich aufgestellt, um in einem Schritt zu fusionieren. Schon damals, plaudern Insider aus, sollen die Klinikchefs Peter Redemann (Wernigerode/Blankenburg) und Wolfram Kullik (Quedlinburg) versucht haben, Ermrich von einer "sanften" Verschmelzung in Etappen zu überzeugen.

Wäre es nach den beiden gegangen, hätte es wohl erst eine Holding gegeben, um die Standorte vor der eigentlichen Vereinigung anzugleichen. Quasi leichtes Lauftraining vor dem eigentlichen Start als Partner. Zumindest Kullik will sich heute nicht mehr zu den damaligen Entwicklungen äußern. Er und Redemann hätten aber mit ihrem Holding-Vorstoß bei Ermrich auf Granit gebissen, wird kolportiert.

Bilanzen 2011 weisen in beiden Häusern Überschüsse aus

Wohl auch deshalb, weil der Beteiligungsbericht für 2011 günstig ausgefallen war. Danach konnte das Klinikum Wernigerode/Blankenburg einen Überschuss in Höhe von 183 772,66 Euro erwirtschaften. Allerdings wurde die Euphorie gedämpft: "Die Liquidität des Unternehmens ist trotz der positiven Entwicklung noch immer angespannt", heißt es dort. Andererseits wird ein Persilschein ausgestellt: "Für das Jahr 2012 werden trotz der angespannten finanziellen Lage des Klinikums keine bestandsgefährdenden Risiken durch die Geschäftsleitung gesehen." Für eine Verschmelzung mit dem Klinikum "Dorothea Christiane Erxleben" in Quedlinburg sei das Haus "gut aufgestellt".

Gleiches wird den Quedlinburgern attestiert. Obwohl der erzielte Jahresüberschuss 2011 mit 1 006 300 Euro "deutlich geringer als im Jahr zuvor" ausgefallen war. Der augenscheinlich von oben verordneten Fusionseuphorie schien das freilich keinen Abbruch zu tun.

Mittlerweile dürfte den Verantwortlichen die Sektlaune gründlich vergangen sein. Aus gutem Grund: Die Bilanzen sind miserabel, die Klinik steckt laut Insidern in ernsten Finanzierungsschwierigkeiten. Obendrein ist die Stimmung beim Personal am Tiefpunkt angekommen.

Schuld sind daran unter anderem die Personalpolitik und die unterschiedlichen Ausgangspunkte beider Einrichtungen. Während in Wernigerode/Blankenburg seit Langem höhere Tarife gezahlt werden, haben die Quedlinburger Angestellten in der Vergangenheit mit Lohn- und Gehaltsverzicht ihr damaliges Kreiskrankenhaus in solidem wirtschaftlichen Fahrwasser gehalten. "Wir haben mit einem Haustarifvertrag gearbeitet, vorsichtig gewirtschaftet und brauchten keinen Kassenkredit", so ein Insider aus der Klinikleitung.

Die Folgen zeigten sich nach der "Hochzeit": Während die Quedlinburger dem Vernehmen nach mit sechs Millionen Euro "Speck" in die Zwangsehe gingen, brachten die Wernigeröder ein ebenso großes Defizit mit ein. Am Ende soll das Wernigeröder Loch mit dem, was die Quedlinburger auf die hohe Kante gepackt hatten, gestopft worden sein. "Weil das nichtärztliche Personal in Quedlinburg immer noch rund 15 Prozent unter dem Wernigeröder Tarifniveau entlohnt wird, braucht sich heute niemand zu wundern, dass die Stimmung am Boden liegt", sagt ein Quedlinburger Mitarbeiter.

Umstellung der Datentechnik sorgt bis heute für Probleme

Von Neid ist die Rede und von einer unangemessenen Zwei-Klassen-Behandlung vieler Beschäftigter. Und die würde - käme es jetzt zu einer Privatisierung - direkt fortgesetzt werden: Das Gros der Quedlinburger würde mit niedrigeren Tarifen an den Start gehen.

Folglich drängen die Quedlinburger auf eine Lohn-Angleichung. Diese Tendenz und die damit verbundenen deutlich höheren Ausgaben hat offenbar Klinikaufsichtsrat Ermrich zu den laut geäußerten Privatisierungsgedanken veranlasst.

Jenes Lohnniveau ist freilich nur ein Problem, das die Stimmung auf dem großen Klinikdampfer drückt. Auch die von der Verschmelzung erhofften Synergieeffekte wollen sich nicht so recht einstellen.

Nach Volksstimme-Informationen ist das wohl noch untertrieben. Allein die Fusion der bislang unterschiedlichen Daten- und Buchhaltungssysteme, die nach einjähriger Übergangszeit Anfang dieses Jahres umgesetzt wurde, soll geradewegs ins Computer-Chaos gemündet sein. "Wir konnten wegen der Datenprobleme über lange Zeit nicht einmal die erbrachten Leistungen gegenüber den Kassen abrechnen", plaudert ein Kenner aus. Konsequenz im Unternehmen: Das Harzklinikum läuft auf Volllast, kann aber keine Einnahmen generieren. Allein die Vorschusszahlung einer großen Krankenkasse soll zuletzt eine akute finanzielle Schieflage verhindert haben.

Fragen, die sich in der heutigen Versammlung von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung stellen dürften. Klinikchef Peter Redemann war im Vorfeld für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Auch in der Kreisverwaltung hielt man sich bedeckt. Eine Sprecherin bestätigte lediglich, dass beide Gremien heute zu einer länger geplanten gemeinsamen Sitzung zusammenkämen, um sich von Redemann über die Entwicklung im Klinikum informieren zu lassen. Und: "Ein Antrag auf Ablösung des Geschäftsführers ist in unserem Hause nicht bekannt."