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Winterdienst Gedrängelt, beleidigt, ausgebremst

Lange wird der erste Schnee nicht mehr auf sich warten lassen. Für freie Straßen sorgen dann die Landesstraßenbaubehörde und die Stadt.

Von Sandra Reulecke 04.11.2018, 08:00

Halberstadt l Ohne zu blinken, zieht der Kombi-Fahrer raus, überholt trotz durchgezogener Linie und schert, ohne zu blinken knapp vor dem Laster wieder ein. „Das ist typisch“, sagt Hung Weidling und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wir sind vielen zu langsam unterwegs. Aber sie saßen auch nie in so einem Lkw und haben keine Ahnung, wie das ist.“

Weidling ist bei der Landessstraßenbaubehörde tätig. Ab sofort in Sachen Winterdienst. Er muss dafür einen tonnenschweren Lkw manövrieren – samt Schneeschaufel und einem Anhänger, auf dem sich bis zu fünf Kubikmeter Salz befinden. Wie groß der Wendekreis des Gefährts ist und wie viel Platz es in engen Kurven benötigt, können Autofahrer nur schwer abschätzen. „Lkw-Fahrer sind da anders, sie nehmen Rücksicht, halten an, um mich durchzulassen.“

Mit Beginn dieses Monats startet für den gebürtigen Viet­namesen – bis zu seinem 19. Lebensjahr kannte er keinen Schnee – und seine Kollegen die Räumdienstzeit. Nicht der einfachste Teil ihres Jobs – von der Kälte und der Frühschicht, die mitten in der Nacht beginnt, ganz abgesehen. Sie werden beleidigt, gedrängelt, ausgebremst, ihnen wird der Vogel gezeigt, berichtet Wolfgang Schleichert. Er koordiniert den Winterdienst der Straßenmeisterei in Halberstadt und saß selbst fast zehn Jahre am Steuer eines Räumfahrzeugs.

Er appelliert an die Autofahrer, mehr Rücksicht zu nehmen, ihre Fahrweise an die Witterungsbedingungen anzupassen und darauf zu achten, dass ihre Autos entsprechend gerüstet sind. „Der erste Wintereinbruch sorgt immer für Überraschungen. Nicht jeder hat dann schon Winterreifen aufgezogen“, ergänzt Stefan Hörold, Regionalbereichsleiter der Landesstraßenbaubehörde. „Es dauert erfahrungsgemäß eine Weile, bis sich nach dem ersten Schnee alles eingependelt hat.“ Auch beim Team des Winterdienstes laufe nicht alles gleich rund. „Es passiert immer etwas Unvorhergesehenes.“ Trotz aller Wartung und Prüfung könne eines der Räumfahrzeuge ausfallen, ein Streuer defekt sein oder ein Mitarbeiter erkranken.

17 Personen sind bei der Landesstraßenbaubehörde im Winterdienst tätig. Hinzukommt Personal von Fremdfirmen, das dafür sorgt, dass die Bundes- und Landesstraßen im Altkreis Halberstadt möglichst schnell von Schnee und Eis befreit werden. 216,1 Kilometer Strecke sind es insgesamt. Bis die einmal komplett geräumt ist, dauert es etwa drei Stunden. Fünf Fahrzeuge sind vom Land im Einsatz, sechs weitere von Unternehmern, die feste Verträge mit der Landesstraßenbaubehörde haben.

Sie alle sind mit viel Technik ausgestattet. Mit der können die Fahrer zum Beispiel regeln, wo, wie weit und wie viel Salz gestreut wird. Das Trockensalz wird beim Aufbringen auf die Fahrbahn mit Sole – in Wasser aufgelöstes Natriumchlorid – besprüht. „So bleibt das Salz besser auf der Straße haften und kann dort wirken, wo es benötigt wird“, erläutert Hörold.

Bei der eingesetzten Menge verlassen sich die Fahrer auf ihre Erfahrung. „Sie kennen die Strecken genau und können abschätzen, wie viel notwendig ist. Das kann keine Maschine leisten.“ Für jeden Laster wird nicht nur die Strecke, die er fährt, dank GPS registriert. Ebenso wird gespeichert, ob nur geschoben oder auch gestreut wurde.

Rund 300 000 Euro kosten die Fahrzeuge bei der Anschaffung. Das Aufrüsten der Lkw von Fremdfirmen schlägt mit 100 000 Euro zu Buche.

Kurz vor Beginn der Winterdienst-Saison – bundeseinheitich dauert die vom 1. November bis zum 31. März – wurde die Technik noch einmal überprüft. Die Salzlager sind aufgefüllt, die Einsatzpläne organisiert. „Wenn es nach uns geht, kann der Winter kommen“, sagt Wolfgang Schleichert.

Sobald Schnee fällt, sind seine Mitarbeiter im Einsatz, um zwischen 6 und 22 Uhr für freie Straßen zu sorgen. Um das zu gewährleisten, beginnt die Frühschicht um 3 Uhr. Zudem gibt es Rufbereitschaften. „Wenn es nötig ist, sind wir 24 Stunden unterwegs“, so Schleichert.

Noch ist das nicht notwendig. Schnee gab es bislang nur im Oberharz. Untätig sind die Männer vom Winterdienst deshalb nicht. „In der vegetationsarmen Zeit verrichten sie vor allem Gehölzarbeiten“, informiert Stefan Hörold. Das ist auch der Hauptjob von Hung Weidling. Der 58-Jährige ist Baumwart.

Ähnlich verhält es sich beim Stadt- und Landschaftspflegebetrieb Stala, der von der Stadt Halberstadt mit dem Winterdienst beauftragt ist. Für diese Aufgabe stehen insgesamt 45 Mitarbeiter zur Verfügung. Bei milden Temperaturen kümmern sich die Mitarbeiter um Reinigungsarbeiten, Handwerkerleistungen, den Fuhrpark oder arbeiten im Grünbereich, informiert Annett Kröber von der Abteilung Stadtgrün.

Diesen Aufgaben gehen sie solange nach, bis die Winterdiensteinsatzleitung die Entscheidung trifft, dass ein Räumen oder Streuen notwendig ist. Das ist laut Annett Kröber wochentags um 2.30 Uhr und an Wochenenden um 4.30 Uhr der Fall. Wie bei den Verantwortlichen der Landesstraßenbehörde spielen dabei die Wettervorhersagen eine Rolle. Zudem finden regelmäßig Kontrollfahrten statt. Um bei einem Wintereinbruch schnell reagieren zu können, sind „drei Mitarbeiter des Stala abwechselnd in ständige Rufbereitschaft für Samstage, Sonn- und Feiertage sowie für den Fall einer eintretenden außerordentlichen Glatteisgefahr versetzt“, sagt Annett Kröber.

Stellvertretend für die Stadt ist die Stala für Straßen, Rad- und Gehwege, Plätze sowie Fußgängerüberwege im Stadtgebiet Halberstadt und den sieben Ortsteilen zuständig. Zum Beispiel in Langenstein sind zudem die vor Ort eingesetzten Gemeindearbeiter – insgesamt elf – mit dem Räumen betraut. Ihnen steht zusätzliche Technik zur Verfügung.

„Da es technisch und organisatorisch nicht möglich ist, alle Fahrbahnen und Gehwege gleichzeitig zu räumen und zu streuen, sind Straßen und Verkehrsflächen in der Reihenfolge ihrer Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit in Dringlichkeitsstufen eingeordnet“, erläutert Annett Kröber. Demnach sind zum Beispiel Haupt- und Zubringerstraßen, Kreuzungsbereiche sowie die Zufahrten zu Krankenhäusern zuerst dran.

Grundstückseigentümer dürfen bei Schnee und Eis nicht vergessen, dass ihnen per Straßenreinigungssatzung der Winterdienst auf Gehwegen und kombinierten Geh- und Radwegen übertragen ist, erinnert die Grünamtsmitarbeiterin.