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Integration Calvörder heißen Flüchtlinge willkommen

Mit einem neuen Projekt versuchen engagierte Bürger, Flüchtlingen die Eingewöhnung in Calvörde zu erleichtern.

Von Anett Roisch 23.09.2015, 01:01

Calvörde l Im September sind Flüchtlinge in Wohnungen in Calvörde eingezogen. „Jenseits aller Kritik am Umgang der Europäischen Union und der Bundesregierung mit dem Zustrom von Flüchtlingen haben wir die Aufgabe für die Betreuung konkreter Menschen aus Weißrussland, Litauen, Albanien und Syrien angenommen“, erklärt Pfarrer Jürgen Dittrich. Mit „wir“ meint er engagierte Bürger aus der Gemeinde Calvörde, dem Heimatverein, der Sportgemeinschaft (SG) Calvörde, der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde und der für Calvörde zuständigen katholischen Pfarrei St. Christopherus Haldensleben, die eine Ökumenische Kooperative gegründet haben.

In Calvörde sind es Menschen wie Christa Merker, Vorsitzende des Heimatvereins, Gemeinderätin Heidemarie Schweickert, Gabi Veit vom Kirchenvorstand und Pfarrer Dittrich, die das Projekt mit Leben erfüllen.

„Der Anfang war für uns sehr schwer. Wir wussten gar nicht, wer wo untergebracht ist. Auf Eigeninitiative haben wir als Kooperative erste Kontakte aufgenommen. Wir haben rausgefunden, dass in den Wohnungen sehr wenig Möbel waren. Dem Jungen, der mit seinem Bruder aus Afghanistan gekommen ist, haben wir einen Schreibtisch besorgt, damit er ordentlich seine Hausaufgaben machen kann“, erzählt Christa Merker. Die Hilfsbereitschaft sei groß. Aber erst einmal sind die Asylbewerber mit Gebrauchsgegenständen versorgt.

„Bei einem Gang durch Calvörde haben wir den Neuankömmlingen gezeigt, wo zum Beispiel der Lebensmittelmarkt, die Apotheke und Bäcker ist, da haben wir uns auch die Kegelbahn angesehen. So entstand die Idee für dieses gemeinsame Kegeln“, erzählt Heidemarie Schweickert, die im Sozialausschuss der Gemeinde Calvörde mitwirkt. Pfarrer Dittrich hat für die Flüchtlinge ein Faltblatt mit wichtigen Informationen, Adressen von Einrichtungen und einem Ortsplan in vier Sprachen erstellt. Aber auch bei einem Waldspaziergang, den Forstmann Holger Träbert aus Klüden, durchführte, sind sich Menschen näher gekommen. Während Christa Merker russisch spricht, übersetzt Pfarrer Dittrich ins Englische. „Mir ist im Wald nur nicht eingefallen, was Borkenkäfer auf russisch heißt“, sagt sie schmunzelnd.

So kündigen Christa Merker und Jürgen Dittrich auch vor dem Kegeln den Bürgermeister Volkmar Schliephake auf russisch und englisch als Oberhaupt von Calvörde an. „Ich hoffe, sie haben sich schon ein bisschen eingelebt und fühlen sich bei uns wohl“, sagt Schliep-hake. „Und weil niemand von uns albanisch spricht, kegeln wir heute zusammen“, ergänzt der Pfarrer. Auch Dieter Schulze, Vorsitzender der SG, gehört zur Kooperative. Er stellte nicht nur seine Kegelbahn zur Verfügung, sondern seine Frau hat auch einen Kuchen gebacken.

„Vorbehalte abbauen und für ein positives Klima sorgen, ist das Ziel.“

Pfarrer Jürgen Dittrich

„Wir wollen den Neuankömmlingen zeigen, dass sie - unabhängig von der Entscheidung über ihren Asylantrag - als Menschen behandelt und respektiert werden“, betont Dittrich. Die Kooperative versuche, zum einen für Akzeptanz der Asylbewerber in der Bevölkerung zu sorgen, sagt Dittrich, und zum anderen, den Flüchtlingen die Eingewöhnung in der neuen Umgebung zu erleichtern. „Vorbehalte abbauen und für ein positives Klima sorgen, ist das Ziel“, beschreibt der Pfarrer. Die erste Bilanz fällt - trotz Sprachbarrieren - positiv aus. „Es ist ein Engagement gewachsen, das hoch löblich ist“, betont der Bürgermeister. Auch kleine Begebenheiten machen Mut. „So halfen auch die Nachbarn beim Anbringen der Gardinenstangen oder beschenkten die neuen Nachbarn mit Gebrauchsgegenständen“, erzählt Christa Merker, deren Mann gleich noch Fernsehgeräte anschloss.

Das Problem sei - nach den Ausführungen von Dittrich - nicht, dass materielle Dinge fehlen, sondern wichtig sei, dass sie etwas zu tun bekommen, einen Sprachkurs kriegen und integriert werden.

Bei den Flüchtlingen selbst kommt das verstärkte Engagement offenkundig sehr gut an. Olga Yagodka (26 Jahre) und ihr Ehemann Kostya Yagodka aus Weißrussland nehmen die Unterstützung gern in Anspruch. Seit sieben Monaten sind sie in Deutschland. Die Menschen in Calvörde seien sehr hilfsbereit und freundlich, sagen sie. Während sie in ihrer ersten Anlaufstation das Gefühl hatten, nur durchgeschleust zu werden, sei hier alles viel familiärer. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, hier zu bleiben“, sagt Olga Yagodka. Sawelija Schamulaitite kommt mit ihrem Sohn Sascha aus einem Ort bei Kaliningrad. Während sie noch schüchtern das Kegeln beobachtet, macht es der Großfamilie aus Albanien sichtlich Spaß, die schweren Kugeln über die Bahn zu rollen. Sie sind kaum zu bremsen, lachen und zeigen stolz ihre Muskeln bei gelungenen Würfen. Und auch Ajaz Hamid und sein jüngerer Bruder Nawaz aus Afghanistan zeigen ihr Können beim Kegeln. Und weil Sport hungrig macht, stärken sich alle bei Kaffee, Tee und Kuchen. Groß ist die Dankbarkeit.

Geplant wird bereits das nächste gemeinsame Treffen, ein Grillen. „Wir bräuchten noch Paten, die sich um die einzelnen Familien kümmern. Dazu sind keine Sprachkenntnisse nötig“, blickt der Pfarrer voraus.

Wer die ehrenamtlichen Kräfte unterstützen möchte, kann bei Pfarrer Dittrich unter Telefon 039051/259 weitere Informationen erhalten.