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Archäologie Alte Scherben in Rätzlingen entdeckt

In Rätzlingen wurden Scherben aus dem 15. und 16. Jahrhundert entdeckt. Die Fundstelle ist auf dem Gelände des einstigen Pfarrhauses.

13.10.2019, 23:01

Rätzlingen l „Im Mai fand Baggerfahrer Dietmar Klopp von der Firma Philipp aus Trippigleben auf der Baustelle im Stallbereich des einstigen Pfarrhauses an der Lindenstraße alt aussehende Scherben. Man hat mich über den Fund verständigt“, erinnerte sich Ortschronist Günter Riedel. Er zeigte die Fundstücke bei der Ausstellung in den Bibliotheksräumen auf dem Gelände der Grundschule erstmals öffentlich. Riedel hat den Vorsitz des Geschichtsvereins Rätzlingen 1191.

„Ich habe Frau Doktor Fritsch, Gebietsreferentin der Archäologie aus Halle, die für unseren Bereich zuständig ist, angerufen. Am gleichen Tag reiste Dr. Barbara Fritsch vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt an. „Sie hatte fernmündlich einen Baustopp ausgerufen. Dann gab es eine Begehung und die Bergung dieser Scherbenfunde wurde durchgeführt“, erklärte der Rätzlinger den Besuchern der Ausstellung.

Mit Hacke, Harke, Schaufel, Pinsel, Wasserflasche und anderen Gerätschaften für Ausgrabungen ausgerüstet, begann die Suche auf den Aushubhügeln und in der offenen Baugrube. „Laien hätten die feuchten und verschmutzten Scherben gewiss übersehen, so unscheinbar lagen sie dort. Es handelt sich um Gefäß-Fragmente, die Schüsseln, Trinkbechern und Töpfen aus dem 15. und dem 16. Jahrhundert zugerechnet werden konnten“, beschrieb der Ortschronist. Die Fundstücke lagen etwa 1,50 Meter tief.

„Doch wie kamen die Scherben in den Grundmauerbereich des Stallgebäudes?“, fragte ein Besucher. „Als man damals die Grundmauern aushob, hat man die unbrauchbaren Scherben einfach in die offene Grube geworfen. Findet man heutzutage Scherben beim Pflügen auf dem Acker, die aus früheren Jahrhunderten stammen, wurden diese zusammen mit dem Stallmist ausgebracht“, weiß Riedel von anderen Fundstellen.

Barbara Fritsch bezeichnete die Scherben auf dem Pfarrhausgrundstück als einen „Wegwerffund“. Nach ihren Ausführungen hatten die Menschen damals noch keine Töpferscheiben. Die Gefäße wurden mit Boden und Würsten aus Ton zusammengesetzt und verstrichen. Zu dieser Zeit wurde meist eine Grube ausgehoben, mit Stroh und Ästen ausgelegt und die Gefäße zum Brennen hineingestellt. „Man hat also ein großes Feuer entfacht. Als nur noch Glut drin war, hat man die Gefäße mit Erde bedeckt, damit sie abkühlen konnten“, erklärte Riedel.

Die Fundstücke aus dem 15. Jahrhundert sind unglasiert. Einige Scherben weisen Schmuckornamente auf. „Während die älteren Stücke durch den Brand unregelmäßig dunkel gefärbt sind, weisen andere Gefäßteile keinerlei Brandspuren auf“, beschrieb der Ortschronist.

Alle Scherbenteile wurden in Halle auf Millimeterpapier gelegt, fotografiert und dokumentiert. Nach dem Sichern der Funde wurde der Baustopp aufgehoben. Inzwischen gehören die Scherben zu den Schätzen der Ausstellung des Geschichtsvereins, der sieben Mitglieder hat. Birgit Pätz, die zu den Geschichtsfreunden gehört, stellte eine ver- schließbare Vitrine zur Verfügung.

„Wir wissen ja, dass Rätzlingen 1191 das erste Mal erwähnt wurde. Aber in den Aufzeichnungen hieß es schon damals, dass es hier eine Kirche gab. Welches kleine Dorf hatte denn schon so eine große Kirche wie in Rätzlingen, wenn man nicht schon Jahrhunderte davor existiert hat“, betonte Riedel. Er denkt, dass Rätzlingen genau so alt sei, wie Etingen. Die Bewohner von Etingen feierten 2011 das 1050-jährige Bestehen ihres Dorfes.

„Alle Ingen-Dörfer, angefangen von Weferlingen über Everingen bis nach Etingen, hat man um diese Zeit auf den Erhöhungen , die 60 oder 70 Meter hoch waren und von der letzten Eiszeit über waren, errichtet“, vermutet Riedel.

Der Scherbenfund sei eine weitere Bestätigung dafür, dass Rätzlingen zu den ältesten Dörfern der Region gehört. „Die Scherben sind für uns viel mehr wert als Gold und Silber. Viele Besucher fragen, ob sie die Scherben mal anfassen dürfen. Es ist ehrfürchtig, so einen Fund aus dem 15. Jahrhundert in den Händen zu halten“, weiß Riedel, der sichtlich stolz auf den Fund ist.