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Behinderung Dank Job wieder mitten im Leben

Michael Temme aus Oebisfelde hat viel dafür getan, einen Job zu bekommen. Er sitzt seit seit seinem 14. Lebensjahr im Rollstuhl.

Von Anett Roisch 22.02.2020, 05:00

Weferlingen l „Ich war eineinhalb Jahre arbeitslos“, verkündet Michael Temme, gelernter Bürokaufmann mit Handicap. Der 31-jährige Oebisfelder weiß, dass viele Unternehmen zwar sagen, dass sie gern Menschen mit Behinderung einstellen, aber am Ende sei es – nach seinen Erfahrungen – nicht so. Im Gegenteil, immer wieder gäbe es in Unternehmen Vorurteile gegenüber behinderten Menschen.

Vor seiner Arbeitslosigkeit hat Temme jahrelang für eine Zeitarbeitsfirma gearbeitet. „Unsere Firma wurde von größeren Zeitarbeitsfirmen immer mehr in die Enge getrieben. Mitarbeiter mussten entlassen werden, da gehörte ich dazu“, erzählt der kaufmännische Angestellte. In den vergangenen Monaten habe er viele Enttäuschungen erlebt. Dabei wolle er doch einfach nur eine Chance, ein normales Leben zu führen.

Einen festen Job hat der junge Mann nun im Unternehmen MedProH, in dem medizinische Produkte vertrieben werden, am Steinweg in Weferlingen gefunden. „MedProH ist auch ein Dienstleistungs-unternehmen, das unter anderem betriebliches Gesundheitsmanagement anbietet“, erklärt Inhaber Robert Heinrich, der sich als Vorsitzender der Wirtschaftsjunioren im Landkreis Börde unter anderem mit dem großen Thema „Arbeit der Zukunft“ beschäftigt. Die Wirtschaftsjunioren sind eine Vereinigung junger Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich für ihre Region und darüber hinaus engagieren wollen.

„Herr Heinrich hatte Personalbedarf. Auf Nachfrage hat er mir signalisiert, dass sein Unternehmen auch für eine Beschäftigung schwerbehinderter Menschen offen wäre“, erinnert sich Eveline Bläß vom gemeinsamen Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit Magdeburg und des Jobcenters Börde. Sofort habe die Vermittlerin an Michael Temme gedacht. „So haben sich Herr Heinrich und Herr Temme gefunden. Es kam eine Probebeschäftigung zustande“, erzählt Eveline Bläß. „In dieser Zeit hatten beide Beteiligte die Chance, sich kennenzulernen und zu schauen, ob die Arbeitsprozesse passen“, ergänzt Georg Haberland, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Magdeburg.

Der 36-Jährige erklärt, dass ihm als Unternehmer durchaus bewusst sei, dass er vielleicht mehr Aufwand bei einer Einstellung eines behinderten Menschen habe. „Die Förderung ist nicht mein Antrieb gewesen. Meine Frau hat auch eine Behinderung. Deshalb weiß ich, wie schwierig es für einen Menschen mit Handicap ist, eine Arbeit zu finden“, sagt der junge Unternehmer. Wichtig sei für ihn, die Stelle an jemanden zu vergeben, der wirklich sucht und will.

Die vierteljährige Probezeit ist nun abgelaufen. „Es hat sich herauskristallisiert, dass die Beschäftigung mit der Möglichkeit einer Anschlussförderung weitergehen wird“, blickt die Vermittlerin voraus und verkündet, dass sie den Bescheid für die Ausstattung des Arbeitsplatzes und für die mobile Rollstuhlrampe bekommen hat.

Die Rampe sei nur eine Übergangslösung. Später soll Temme selbst durch einen Knopfdruck eine Heberampe oder einen Lift bedienen, um selbständig zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Auch in den Räumlichkeiten muss so umgebaut werden, dass er die Sanitäranlage eigenständig benutzen kann.

„Vieles ist noch provisorisch, aber ich komme klar. Wichtig für mich ist, dass ich ohne Hilfe ins Büro komme“, sagt der junge Mann und betont, dass er wegen seiner Behinderung kein Mitleid haben möchte. „Mit dem Job bin ich wieder im Leben. Es ist schön, keine schlaflosen Nächte mehr zu haben, sondern dass ich morgens aufstehe und ein Teil vom großen Ganzen bin. Das gibt mir auch den Antrieb. Man fühlt sich wieder etwas wert“, beschreibt Temme.

Er denkt zurück: „Ich hatte zuvor den Druck. Zuerst kommt das Arbeitslosengeld. Aber ein Jahr geht so schnell um. Und dann rutscht man ins Hartz IV rein.“ Das wäre das Schlimmste gewesen, was ihm im Leben passiert sei. „Schlimmer als mein Unfall war dieser Moment, wo ich wusste, dass ich unten angekommen bin. Ich wusste, da gehöre ich nicht hin“, sagt der junge Mann. Mit 14 Jahren war der gebürtige Wolfsburger aus einem Hochbett gefallen und brach sich die Halswirbel.

„Oft fühlte ich mich bei der Arbeitssuche allein gelassen, aber Frau Bläß hat manchmal stundenlang mit Unternehmern telefoniert und mir immer wieder Mut gemacht“, denkt Temme voller Dankbarkeit zurück. Voller Optimismus schaut der Oebisfelder in die Zukunft: „Ich habe eine Freundin, eine eigene Wohnung, ein Auto und jetzt – wo ich auch wieder arbeiten kann – habe ich auch mein Leben wieder total im Griff.“