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Coronavirus Ein neues Reisebüro in Haldensleben

Die Reisebranche ist von der Corona-Krise besonders hart getroffen. In Haldensleben hat nun trotzdem ein neues Reisebüro eröffnet.

03.06.2020, 23:01

Haldensleben l Reiseveranstalter sind plötzliche Krisen gewohnt. „Etwa alle fünf Jahre kommt ein größeres Ding“, sagt Pascal Hampel, so sei die Risikoeinschätzung unter Kollegen in der Branche vor Corona gewesen. Im Jahr 2004 war es ein verheerendes Seebeben im indischen Ozean, 2010 ein isländischer Vulkan, der den Flugverkehr in Europa lahmlegte. Und nun Corona.

Für viele in der Branche ist es eine der schwersten Krisen seit Jahrzehnten. Der weltgrößte Tourismuskonzern Tui hat angekündigt, 8000 Stellen zu streichen. Von der staatlichen Förderbank KfW bekommt das Unternehmen zur Überbrückung der Krise einen Kredit von 1,8 Milliarden Euro. Auch kleinere Reiseunternehmer mussten staatliche Soforthilfe beantragen und ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken.

Hampel hat sich mitten in dieser Krise selbständig gemacht und ein Reisebüro in Haldensleben eröffnet. Seit Dienstag können Kunden zu ihm in die Geschäftsräumen an der Hagenstraße kommen und eine Reise buchen. „House of Travel“ heißt das junge Unternehmen des 24-jährigen Haldenslebers. Fokussieren will er sich auf Fern- und Spezialreisen, besonders nachhaltiges Reisen etwa oder „Glamping“ (glamouröses Camping). Kunden können bei ihm allerdings auch klassisch eine Pauschalreise ins Elbsandsteingebirge buchen.

Um zu verstehen, wieso der Reiseunternehmer gerade jetzt den Schritt in die Selbständigkeit wagt, muss man wissen: Die Eröffnung war eigentlich am 1. März geplant. Als sich jedoch bereits im Februar gravierende Beeinträchtigungen des Reiseverkehrs andeuteten, entschied sich Pascal Hampel, die Eröffnung um zwei Wochen zu verschieben. Mitte März kam dann der Lockdown, der junge Unternehmer musste die Büroeröffnung noch einmal absagen. Im vergangenen Monat, als immer mehr Lockerungen angekündigt wurden, hat Pascal Hampel dann entschieden: „Ich möchte nicht länger warten.“

Noch etwas ist wichtig, um diese Entscheidung zu verstehen: Reiseveranstalter bekommen ihre Provision für die Organisation einer Reise üblicherweise erst, nachdem der Kunde die Reise angetreten hat. Weil in den vergangenen drei Monaten viele ihre Reisen nicht angetreten haben, gingen den Veranstaltern also Einnahmen verloren, für die sie in den Monaten zuvor gearbeitet hatten. Wenn Hampel nun mit der Kundenarbeit beginnt, geht es um Reisen in den kommenden Monaten und im kommenden Jahr.

Für Pascal Hampel bleibt allerdings das Risiko eines erneuten Lockdowns durch eine mögliche zweite Corona-Welle. Er selbst berichtet, dass die Eröffnung seines Reisebüros zu diesem Zeitpunkt durchaus für Verwunderung sorge bei anderen Reiseveranstaltern, mit denen er geschäftlich zu tun habe. Hampel selbst geht von einer bevorstehenden „Pleitewelle“ in seiner Branche aus. Deswegen suche er sich seine Geschäftspartner in diesen Tagen mit Vorsicht aus, sagt er.

Bleibt die Frage, woher der 24-Jährige den Optimismus nimmt, dass die drohende Pleitewelle sein junges Reiseunternehmen nicht hinfort spült. „Ich sage mir, schlechter kann es ja kaum noch werden“, betont Hampel.

Tatsächlich ist der junge Unternehmer schon krisenerprobt. Bis zum vergangenen Herbst leitete er das Büro des Reisekonzerns Thomas Cook in Magdeburg. Das Unternehmen musste Ende September Insolvenz anmelden.

Hampels neues Büro befindet sich nun nicht weit von dem seiner Eltern, die ebenfalls ein Reiseunternehmen leiten. Sein Vater, Dennis Hampel, musste aufgrund der Corona-Krise zuletzt mehr als ein Dutzend Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und staatliche Soforthilfe beantragen.

Ob alle Reisebüros in der Börde die Krise am Ende überleben, ist fraglich. Auch Reiseunternehmerin Kristin Vetter rechnet damit, dass in ihrer Branche einige Veranstalter verschwinden. Vetter ist Geschäftsführerin des mittelständischen Familienunternehmens Vetter-Touristik mit Sitz in Zörbig (Landkreis Anhalt-Bitterfeld). Das Unternehmen unterhält insgesamt 35 Reisebüros, die Mehrzahl davon in Sachsen-Anhalt, eins davon in Haldensleben.

Zwei Reisebüros hat Vetter-Touristik bereits mit Beginn der Corona-Krise geschlossen, eins in Merseburg und eins in Magdeburg. Wie die Geschäftsführerin berichtet, hätten dadurch drei Mitarbeiter ihren Job verloren. Von den insgesamt rund 150 Beschäftigten seien noch viele in Kurzarbeit. Weitere Büroschließungen seien derzeit aber nicht geplant, betont Vetter.

Wie es in den kommenden Monaten weitergehen wird? Vetter berichtete zuletzt von Umsatzeinbußen um die 75 Prozent. Für die kommenden Wochen rechnet sie mit einer leichten Verbesserung, auch durch den stärkeren Inlandstourismus. Ab September hofft sie, dass sich die Umsatzeinbußen auf nur noch etwa 40 Prozent reduzieren. „Es wird noch lange dauern, bis die Normalität wiederkehrt“, sagt Kristin Vetter.