1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Haldensleben
  6. >
  7. Künstler erwecken Literatur zum Leben

Festival Künstler erwecken Literatur zum Leben

Zum Grenzgängerfestival in Wieglitz gehörte nicht nur ein literarischer Klavierabend. Märchenhaft ging es beim Puppentheater zu.

Von Anett Roisch 22.08.2017, 01:01

Wieglitz l Alle wollten den Wettlauf der ungleichen Konkurrenten, Hase und Igel, sehen. Puppenspieler Meike Kreim entführte das Publikum im Rahmen des Grenzgängerfestivals in der voll besetzten Kirche in die Märchenwelt. „Ich komme immer wieder gern in die kleine Kirche. Es ist eine Gemeinschaft, in der man sich aufgenommen fühlt“, beschrieb Meike Kreim, die zum zehnten Mal ihre Puppen in Wieglitz Abenteuer bestehen ließ. Die Leipzigerin versprach, im nächsten Jahr mit der Geschichte vom Krümelchen in Wieglitz wieder dabei zu sein.

Nach dem Puppenspiel folgte ein literarischer Klavierabend, der die Zuhörer nach Paris in die Mitte des 19. Jahrhunderts entführte, das damals das musikalische und geistige Zentrum Europas war. „Die edle Tonkunst überschwemmt unser ganzes Leben“, schrieb damals der scharfzüngige Heine, „wie Heuschrecken kommen die Klaviervirtuosen jeden Winter nach Paris.“

Die Texte von Heine las Burkhard Engel, Rezitator aus Erbach im Odenwald. Als Gründer des „Cantaton Theaters“ war Engel schon mehrmals in Wieglitz. So nahm er auch dieses Mal sechs Stunden Fahrt und Stau in Kauf. „Es ist eine Sache der Ehre, wieder in Wieglitz zu spielen“, betonte Engel der nun mit seinem Sohn Martin angereist war. Engel wechselte sich ab mit seinem Sohn, der Klavierkompositionen von Frédéric Chopin und Franz Liszt spielte. Dazu gesellten sich Werke des Chopin-Schülers und Liszt-Bewunderers Claude Debussy. Martin Engel ließ so die große Zeit dieser Künstler am Klavier wieder lebendig werden. Während Burkhard Engel einige Gedanken von Heine über Liszt einfließen ließ, griffen die Finger von Sohn Martin in die Tasten und webten einen klanggewaltigen Teppich. Heine habe über Liszt gesagt: „…dass er kein stiller Klavierspieler für ruhige Staatsbürger und gemütliche Schlafmützen sein kann. Wenn er am Fortepiano sitzt und sich mehrmals das Haar über die Stirne zurückgestrichen hat und zu improvisieren beginnt, dann stürmt er nicht selten allzu toll über die elfenbeinernen Tasten – und es erklingt eine Wildnis von himmelhohen Gedanken…“, rezitierte der 65-jährige Burkhard Engel.

Das Publikum staunte über Martin Engel. Der 1986 geborene Künstler ist von Geburt an blind und erhielt seinen ersten Klavierunterricht im Alter von neun Jahren. Von 2007 bis 2011 studierte er an der Musikhochschule Karlsruhe und errang beim Abschluss eine „Eins mit Auszeichnung“. „Gern spielt er mit dem Vater zusammen. Ich glaube, wir ergänzen uns gut. Es ist eine schöne künstlerische Zusammenarbeit“, beschrieb der 31-Jährige in der Pause und ergänzte: „Meine Eltern haben mir als Kind damals den Anstoß gegeben. Als ich 16 war, stand für mich fest, dass ich Pianist werden will. Die Musik ist für mich Lebensinhalt.“ So war es für den jungen Musiker auch kein Problem, auf dem alten Klavier der Schifferkirche zu spielen. „Ich versuche, das Beste aus dem Instrument herauszuholen“, sagte der Pianist schmunzelnd und lobte die Akustik der Kirche. Draußen machten es sich die Gäste in der Pause im Partyzelt bei Wein und Häppchen gemütlich. Ein Tablett mit liebevoll geschmierten Schnittchen reichte Günter Redlich und verriet: „Das Brot hat mein Sohn Klaus selbst gebacken.“ Lobende Worte gab es für die Köstlichkeiten. „Erst wenn alles aufgegessen ist, geht das Programm weiter“, verkündete Helmut Huchel schmunzelnd.

„Ich habe mal in Bülstringen gewohnt und besuche gerade meine Freundinnen. Da haben wir die Gelegenheit genutzt, um dieses Konzert zu besuchen. Die Musik ist Gänsehaut pur“, beschrieb Bärbel Markgraf, die gemeinsam mit Helga Huchel und Annett Bachmann aus Bülstringen im Partyzelt die Köstlichkeiten genoss. Alle samt waren sie mit dem gemeindeeigenen Kulturshuttle, das Klaus-Dieter Garitz und seine Frau Marlis lenkten, angereist. Ebenfalls in Bülstringen zu Gast ist Renate Mann aus Berlin. „Ich stamme aus Bülstringen und besuche gerade meine Mutter. Ich bin zum ersten Mal in der renovierten Kirche und staune, wie das Gotteshaus mit Leben erfüllt wird“, erzählte die Berlinerin.

Während Burkhard Engel auch im zweiten Teil Gedanken Heinrich Heines, aber auch Geschichtliches vortrug, begeisterte Martin Engel weiter mit seiner sprühenden Spielfreude. Sanft gleiten seine Finger über die Tasten des Klaviers, sein Kopf bewegt sich im Takt der Musik. Nach dem lang anhaltenden Beifall für beiden Künstler durfte die Zugabe nicht fehlen. „Vater, wie sieht es aus, haben wir noch was?“, fragte der Pianist. Mit Heines amüsierendem Gedicht vom „literarischen Katerverein” endete der beeindruckende Abend.

„Die Harmonie zwischen Rezitation und Klavierspiel war so herausragend, dass es mir fast den Atem verschlagen hat“, schwärmte Astrid Leischwitz, stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes und bedankte sich bei den Künstlern, während Angelika Huchel, Vorsitzende des Kirchenrates, Gastgeschenke verteilte. Lobende Worte gingen an alle fleißigen Helfer, an die Unterstützer der kommunalen Gemeinde und an das treue Publikum.