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Flüchtlinge Am Anfang fehlt das Deutsch

Zwei junge Afghanen haben in Althaldensleben den Hauptschulabschluss geschafft. Und das, obwohl sie vor zwei Jahren noch kein Wort Deutsch konnten.

Von Jens Kusian 30.06.2018, 01:01

Hundisburg l Für den 18-jährigen Ali Reza Mohammadi und seinen ein Jahr älteren Freund Abdullah Sekandari ist der vergangene Mittwoch ein ganz großer Tag gewesen. Die beiden jungen Afghanen, die auf ihrer Flucht vor den Taliban vor zwei Jahren nach Deutschland kamen, haben an den Berufsbildenden Schulen (BBS) ihr Abschlusszeugnis für ihr Berufsvorbereitungsjahr und damit gleichzeitig den Hauptschulabschluss bekommen. Das besondere daran: Bei ihrer Ankunft in Deutschland Anfang 2016 konnten beide kein Wort Deutsch.

Ihre ersten Wörter im neuen Land haben die Jugendlichen bei Familie Harms in Hundisburg gelernt. Als sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind sie von Bärbel und Otto Harms für zwei Monate aufgenommen worden, bevor sie in einer Wohngruppe in Glüsig untergebracht wurden. „Dort gab es nur ein bisschen Deutschkurs, aber keine Schule“, erzählt Abdullah.

Ein halbes Jahr später haben sie mit anderen Geflüchteten dann die Sprachklasse an den BBS besuchen dürfen und dort die A1-Sprachprüfung abgelegt, also das niedrigste Level zur sogenannten Elementaren Sprachverwendung. Das war die Voraussetzung, um anschließend am Berufsvorbereitungsjahr teilnehmen zu können. Inzwischen haben Ali und Abdullah bereits die B1-Prüfung – die selbständige Sprachverwendung – bestanden.

Hilfe bei ihrem Neuanfang in Deutschland bekommen sie von Bärbel und Otto Harms. „Wir haben ihnen beim Lernen geholfen“, sagt Bärbel Harms. „Mein Mann hat sie mit Mathe regelrecht getriezt, Dreisatz, Prozentrechnung – das war alles nicht so einfach“, meint sie und die beiden jungen Männer nicken zustimmend. Denn neben Kenntnissen in Holz-, Metall- und Farbtechnik sowie Trockenbau ist ihnen im Berufsvorbereitungsjahr auch Allgemeinbildung vermittelt worden – Sozialkunde, Mathe, Informatik und Sport standen neben Deutsch auf dem Stundenplan. „Sport, Deutsch und Trockenbau“ hätten am meisten Spaß gemacht, sind sich Ali und Abdullah einig.

Mit ihrem Abschlusszeugnis in der Tasche beginnt für die beiden nun ein ganz neuer Lebensabschnitt. Abdullah Sekandari wird in den nächsten zwei Jahren bei IFA in Haldensleben zum Fachlageristen ausgebildet. Deshalb bezieht er in der Kreisstadt auch gerade seine neue Wohnung auf dem Süplinger Berg. Familie Harms hilft auch dabei. „970 Euro bekommt Abdullah für die Erstausstattung seiner Wohnung. Davon muss die ganze Einrichtung gekauft werden. Da bleibt nur Second Hand übrig“, sagt Bärbel Harms. Abdullah stört das nicht. „Es ist perfekt“, freut sich der 19-Jährige – auch wenn er zur Berufsschule künftig nach Oschersleben fahren muss. Nur dass er auch künftig früh aufstehen muss, daran muss er sich noch mehr gewöhnen. Um 7 Uhr muss er auf Arbeit sein, hat er Berufsschule, beginnt sein Tag noch früher. „Nicht so schön“, gesteht er.

Ausschlafen kann auch Ali Reza Mohammadi nicht. Er hat seinen Ausbildungsvertrag zum Bergbautechnologen für Tiefbautechnik bei K+S in Zielitz unterschrieben. Arbeitsbeginn: 6 Uhr. Deshalb zieht er nun nach Loitsche. Dass er darum nicht mehr beim SSV Samswegen Fußball spielen kann, weil der Weg dorthin zu weit werde, bedauere er schon, sagt er. Doch der 18-Jährige muss sein Hobby nicht an den Nagel hängen: Er wechselt zum SV Concordia Rogätz. „Die drei Kilometer kann ich mit dem Fahrrad fahren“, meint Ali. Nur nicht zur BBS nach Althaldensleben. Da ist für ihn wohl genauso Busfahren angesagt wie für Abdullah.

Ihre Zukunft sehen beide in Deutschland. „Die Ausbildung gut zu Ende bringen und hier ein besseres Leben führen zu können als in Afghanistan“, wünscht sich Abdullah. Eine Rückkehr in seine Heimat kann er sich nicht vorstellen. „Er muss dort um sein Leben fürchten“, erzählt Bärbel Harms.

Auch Ali sieht Deutschland als neue Heimat, wünscht sich eine gute Arbeit und vielleicht auch ein schönes Haus. „Zusammen wohnen mit der Familie, am liebsten mit den Eltern“, sagt er leise und mit Wehmut in der Stimme. Kontakt zu den Eltern, die in Afghanistan geblieben oder in den Iran geflohen sind, zu bekommen, sei für beide schwierig sehr schwierig.

Dass aber auch in Deutschland nicht alles nach Wunsch läuft, haben Ali und Abdullah schon erfahren müssen. Geträumt haben beide von einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker beziehungsweise zum Informatiker. Daraus ist noch nichts geworden. „Wir wollen erstmal klein anfangen und dann weitersehen“, spricht Bärbel Harms ihnen Mut zu. „Vielleicht ergibt sich später noch die Gelegenheit.“