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Kabarett Wo sich nur die Rentner vermehren

Die Dresdner Herkuleskeule hat der Kulturfabrik Haldensleben einen Besuch abgestattet. Der verlief jedoch anders als geplant.

Von Marita Bullmann 13.02.2018, 00:01

Haldensleben l Lachsalven schallten durch den vollbesetzten Saal in der Kulturfabrik. Zwar blieb die erwartete „Ballastrevue“ aus, weil ein Kabarettist der „Herkuleskeule“ erkrankt war, dafür aber probten Senioren den Aufstand. Mit dem Ersatzprogramm des Dresdner Kabaretts „Leise flehen meine Glieder“ konnten die Zuhörer in die Zukunft blicken.

Oma Slibowitz, Sven-Otto und Josef alias Brigitte Heinrich, Michael Rümmler und Detlef Nier quälten sich mit Rollator und Stock auf die Bühne und malten alkoholselig eine rabenschwarze Zukunft. Allerdings trugen sie es mit (schwarzem) Humor. „Was ist aus Deutschland geworden?“, fragten sie und zögerten nicht mit der Antwort: „Ein Altenheim. Was erwartet man von uns? Altersgerechtes Ableben.“

Damit allerdings wollten sie sich doch noch Zeit lassen: „Wir haben alles hinter uns – Sozialismus, Kapitalismus und mit dem bisschen Rheumatismus werden wir auch noch fertig!“ Das Publikum musste sich jedoch einiges anhören: „Was Sie noch vor sich haben, möchte ich nicht mal hinter mir haben.“ Sie müssten mit 85 in den Vorruhestand gehen, kündigten die Kabarettisten den Zuhörern an.

„Alle über 67 Hände hoch“, forderten sie auf und schlossen die Frage an: „Wann müssen Sie denn wieder im Heim sein?“ Für den Ernstfall kam Herr Krematowski mit Urne und warb schon einmal für die alljährliche große Erdmöbelaktionswoche, nachdem er zuvor gebeten hatte: „Bitte lachen Sie sich heute Abend tot!“

Heute gäbe es jeden Tag neue Horrormeldungen, war sich das Trio einig. Und mit Blick nach oben schlussfolgerten sie: „Die wollen, dass wir Angst haben, dann können sie uns besser regieren.“ Doch Oma Slibowitz, Sven-Otto und Josef zeigten keine Angst. „Eines kann uns keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben“, versicherten sie mit umgedichtetem Lied und ebenso: „Wir haben noch Vater und Mutter geehrt, freitags gebadet und uns danach vermehrt.“ Heute aber wären die einzigen, die sich noch vermehren, die Rentner.

Und wenn die drei am Anfang noch erklärt hatten, „es wird Zeit zu gehen“, hatten sie nach zwei Stunden ihre Meinung geändert: „Wir springen dem Sozialstaat nochmal von der Schippe. Wir sind 20 Millionen, wir ziehen selber in den Bundestag ein mit dem Geist von Johannes Heesters an der Spitze!“

Unabhängig von der „Rentnerschwemme“ nahmen die Kabarettisten noch andere Themen aufs Korn – von Erfahrungen aus der DDR und der Wendezeit, Szenen einer Ehe, bis zu einem fehlenden Eierlöffel am Frühstückstisch, um den Brigitte Heinrich und Detlef Nier einen herrlichen Sketch spannen. Nier schlüpfte übrigens in besonders viele verschiedene Identitäten, bestach als Bestatter Krematowski genauso wie als Udo Lindenberg.

Das Publikum erlebte alle drei Kabarettisten wunderbar skurril und applaudierte begeistert, bis noch eine Zugabe, ein umfunktioniertes Lied, raussprang. Die Gäste aus Dresden setzten bei den lebendig gewordenen Erinnerungen damit noch eins drauf: „Wir sind die alte Garde des neuen deutschen Staats...“