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Lesung Bülow öffnet Giftschrank der Quick

Johann von Bülow hält die Erinnerung an Loriot wach. Das hat er bei einer Lesung zu den Haldensleber Stadtliteraturtagen bewiesen.

Von Anett Roisch 05.10.2017, 01:01

Haldensleben l Auf der Leinwand im Obergeschoss der Kulturfabrik ist eine Figur mit dicker Nase nicht zu übersehen. Obwohl Fritz Bruhnke, Vorsitzender vom Verein Kultur-Heimat, keinerlei Ähnlichkeit mit diesem kleinen Mann, aber dafür eine gute Nase für Literatur hat, begrüßt der ehemalige Schulrat über 200 Zuschauer.

Der Vereinsvorsitzende erklärt: „Ich habe mir erlaubt, mal durchzuzählen, wie viele Tage bisher im Rahmen der Stadtliteraturtage vergangen sind. Wir haben 61 Veranstaltungen hinter uns gebracht. Dafür gebührt der Stadt Haldensleben ein großes Dankeschön. Diese 62. Veranstaltung heute erleben zu dürfen, ist vor allem ein Verdienst Janina Ottos, der Leiterin des Alsteinklubs, die aufmerksam wurde auf einen Herrn namens Johann von Bülow. Bei dem Namen von Bülow ergab sich die Assoziation zu einem gewissen Loriot – den weltbekannten deutschen Cartoonisten, Schriftsteller, Film- und Fernsehautor Bernhard Vicco von Bülow.“

Licht aus, Spot an! Johann von Bülow betritt die Bühne und kommt gleich zum Wesentlichen: „Sehr geehrte Quick!“ Der Schauspieler liest aus den Kolumnen, die sein Verwandter Vicco von Bülow als Leserbriefe zwischen den Jahren 1957 und 1961 im Zwei-Wochen-Rhythmus in der Illustrierten Quick publizierte. Von Bülow liest von Bülow. Die Texte mit den dazugehörigen Zeichnungen, mehr als hundert insgesamt, gaben Loriots Tochter Susanne von Bülow, Peter Geyer und Oa Krimmel unter dem Titel „Loriot. Der ganz offene Brief“ heraus.

Mit meist ernster Miene und auf Hochdeutsch präsentiert der Neffe die Texte seines Verwandten. In Text und Bild zeichnete Loriot ein Sittengemälde der jungen Bundesrepublik zwischen Wirtschaftswunder, Verordnungsdschungel und Moralinsäure. Von Hosenkauf und Geschlechterkampf über die Methoden der Werbewirtschaft, den Massentourismus und Fragen der Innen- wie der Außenpolitik bis hin zum deutsch-deutschen Verhältnis von Herr und Hund.

Obwohl die Briefe schon über ein halbes Jahrhundert alt sind, erkennen sich auch heute noch viele im Publikum wieder. „Loriot war ein Meister seines Fachs. Unvergessen bleibt die Nudel im Gesicht beim verpatzten Rendezvous oder der missglückte Auftritt des Lottogewinners Erwin Lindemann. Die Loriot-Sketche sind legendär“, schwärmt Ines Schulz aus Gardelegen in der Pause. „Als Kinder haben wir immer die Zeichentrickfiguren Wim und Wendelin von Loriot geliebt“, ergänzt ihre Schwester Meike Schwarz. „Mein Mann Walter und ich – wir mögen Loriots Geschichten und auch den Schauspieler Johann von Bülow. Wir haben ihn oft im Fernsehen bei ,Mord mit Aussicht‘ gesehen und wollten ihn einfach mal kennenlernen“, verrät Petra Puritz aus Süplingen.

Loriot sah die Komik im Alltäglichen, kitzelte die Zuschauer mit ihren eigenen, kleinen Macken. Es gibt Spitzen gegen Hemdenhersteller, die ihre Hemden mit Nadeln spicken, so dass man unweigerlich gepiekst wird, zieht man eines von ihnen an.

Zu drei Zugaben lässt sich Johann von Bülow überreden. „Sie zwingen mich, den Giftschrank der Quick zu öffnen und vorzulesen, was damals niemand lesen sollte“, sagt er mit einem düsteren Lächeln. Im fiktiven Leserbrief Nummer 111 beschreibt Loriot, wie er unter einer Frau leidet, die einen öffentlichen Fernsprecher durch ein langes Gespräch blockiert. Loriot schreibt, dass er zu ahnen beginne, warum immer wieder gerade Damen Opfer heimtückischer Überfälle werden und dass man die Täter nicht belohnen, ihnen aber Straffreiheit gewähren solle. Außerdem schildert er, wie er nach einem Besuch eines Lichtspielhauses eine Anhalterin mitnahm und ihn die Atmosphäre des Films dazu inspirierte, die Dame zu knebeln. „Meinen Sie, ich wurde ein Opfer der Filmindustrie?“, fragt Loriot, der sich selbst als freundlich und zurückhaltend beschrieb.

Das Publikum amüsiert sich prächtig über die Kolumnen, die Loriots präzise Beobachtungsgabe zeigen, ganz gleich ob es um Autos, Waschmittel, das Verhältnis von Männern und Frauen oder um die Menge der chemikalischen Zutaten im Wein geht. Eine Flasche Heidelbeerwein überreicht Janina Otto dem Schauspieler als Dankeschön und fragt nach der Verbindung zum berühmten Onkel. „Es ist so weit weg. Wir sind ja eine zahlenmäßig recht große Familie von 800 Bülows. Ich hab ihn als Erwachsener nur zwei Mal gesehen“, erinnert sich der Schauspieler.

Geduldig signiert er seine Bücher und schreibt Widmungen. „Es war ein tolles Publikum. Die Stimmung war super. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber leider habe ich von der Stadt nicht viel gesehen. Aber ich komme wieder“, verspricht er und lässt sich dabei die Vornamen seiner Fans buchstabieren.