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Test Eine Woche Pokémon-Jägerin

Es ist der Spieletrend im Sommer 2016: Pokémon Go. Unsere Autorin Susann Gebbert jagt als Susi-The-Pokémon eine Woche lang Kreaturen.

Von Susann Gebbert 14.09.2016, 12:00

Oschersleben l Mit hängenden Schultern, krummen Rücken und starren Blicken stellen sie sich mir konsequent in den Weg. Egal wo ich bin, sie sind schon da. Und ich? Ich komme nur noch über Umwege an mein Ziel. Sei es an der Promenade von Warnemünde, beim Joggen um den Ölper See in Braunschweig oder beim Mittagsbummel durch Oschersleben. Jetzt ist Schluss. Ich wechsele die Seite: Ich werde Pokémon-Go-Spieler.

Als Susi-The-Pokémon jage ich Bisasams, sammele Pokébälle und versuche mich in Arenenkämpfen. Doch der Weg dahin war steinig. Ich verschweige an dieser Stelle lieber, dass ich der Generation Y angehöre und somit laut Wikipedia ein Digital Native bin.

Schon die Installation stellte mich vor eine Herausforderung. Genervt tippe ich mich durch die Registrierungsprozedur, stimme allem zu und komme irgendwann an den Punkt, der Mädchen wie mir Spaß macht: Ich darf meinen Pokémon-Jäger stylen. Ich entscheide mich für eine gebräunte Dame, verpasse ihr schicke Radlerhosen und ein gelbes Top. Das i-Tüpfelchen sind die roten Hausschuhe, in denen ich meine Kämpferin losschicke. Der erste Schock, als das Spiel nach gefühlt endlosem Ladevorgang endlich startet: Das ist nicht meine Pokémon-Jägerin, die da auf der Landkarte etwas x-beinig hin und her läuft. Die neue Susi-The-Pokémon hat eine schwarze Leggings, einen blauen Bluson und ein rotes Basecap. Pah, so etwas würde ich nie anziehen. Mein Freund Markus treibt meinen Unmut weiter. Er schimpft, dass die App „Pokémon Go“ ein Spähprogramm ist. Die Daten auf meinem Handy seien jetzt nicht mehr sicher. Ich glaube, er ist nur neidisch. Sein Problem: Die App ist nur für die Betriebssysteme iOS und Android entwickelt worden. Er nutzt Microsoft.

Ich schmolle, bin dann aber doch neugierig. Susi-The-Pokémon und ich gehen auf den Balkon und erschrecken: Da sitzt ein blaues Ungeheuer, ein Bisasam. Wer kennt es nicht! Ich werfe einen Ball nach ihm und weg ist es. Hab ich es jetzt gefangen? Hm, egal, mit ein wenig Stolz erfüllt, lege ich mich ins Bett. Mal sehen, was der nächste Tag als Pokémon-Kämpferin bringt.

Der nächste Tag bringt Karpadoren, Rattfratze, Quaspel und Machollos. Ich laufe mit meinem Avatar Susi-The-Pokemon durch Oschersleben zu verschiedenen Pokéstops, sammle Pokébälle am Rathaus und der St. Nicolai Kirche. Hin und wieder finde ich Eier und Getränke. Außerdem ploppt immer mal wieder ein Pokémon auf, das ich mit meinen Pokébällen fange.

So langsam zieht mich das Spiel in seinen Bann. Mit krummem Rücken und starrem Blick auf mein Smartphone kämpfe ich mich durch Oschersleben und meinen Wohnort Braunschweig. Ich akzeptiere Umwege, um zu neuen Pokéstops zu gelangen und fiebere den Aufstiegen in höhere Level entgegen. Auf der virtuellen Landkarte sehe ich nicht nur die Pokéstops in meiner Umgebung, sondern auch große Gebilde mit Riesenpokémons, die sich Arenen nennen. Neugierig tippe ich auf die Symbole und werde vertröstet: Zugang zur Arena habe ich erst ab dem fünften Level. Also weiterlaufen, sammeln und fangen. Ein gewisser Druck entsteht. Nachts schleichen sich die drolligen Pokémons in meine Träume.

„Susi, würdest du bitte von der Straße kommen.“ Mein Freund Markus reißt mich aus meiner Pokémon-Welt. Mehr als ein Mal bleibe ich unbewusst mitten auf der Straße stehen, um meine Umgebung zu inspizieren. Außerdem stoße ich mit dem Handy in der Hand gegen zwei Türen, einen Laternenpfahl und kollidiere mit einigen Fußgängern. Es kommen erste Zweifel, ob Susi-The-Pokémon und ich wirklich Freunde werden können.

Am Wochenende bietet sich Markus aufopferungsvoll an, mal ein paar Flegmons und Pummeluffs für mich zu fangen. „Soll ich?“, fragt er mit gekonnt gequältem Gesichtsausdruck und ist schneller mit meinem Handy verschwunden als ich gucken kann.

Als ich endlich das fünfte Level erreiche, betrete ich auf dem Hof meiner Eltern eine Arena. Meine gesammelten Pokémons treten gegen irgendein anderes Wesen an. Wild wische ich auf meinem Display herum und ernte dafür die virtuelle Kritik „nicht sehr effektiv“. Am Ende habe ich den Kampf verloren und mit ihm auch die Motivation weiterzuspielen.

Mein Fazit nach einer Woche als Susi-The-Pokémon: Ich bin 14,5 Kilometer gelaufen, habe 45 Pokémons gefangen und 92 Pokéstops besucht. Meinen ständigen Begleiter Susi-The-Pokémon stoße ich heute Abend von der Bettkante. Endlich wieder ein Spaziergang, ohne das Display nach Pokémons abzusuchen. Endlich wieder süßen Typen hinterhergucken anstatt moppeligen Fantasiegestalten. Endlich wieder ein Gespräch führen, ohne dass ich es abwürgen muss: „Jetzt nicht! Ich muss das wilde Taubsi hinter dir fangen.“