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Wurstsingen In Etingen rasseln die Schweineblasen

Ausnahmezustand herrscht zum Frühlingsbeginn in Etingen. Dann ziehen gruselige Gestalten beim Wurstsingen von Haus zu Haus.

Von Anett Roisch 02.03.2017, 00:01

Etingen l Eine Bande gruseliger Gestalten zog mit ihrem Handwagen durch Etingen. Die Mission der Wurstsänger ist es, mit dem wilden Treiben, den Winter zu verjagen. Männer und junge Burschen haben traditionell beim Wurstsingen das Zepter in den Händen und damit die alleinige Herrschaft. „Ohne das Okay der Frauen würde auch das nicht funktionieren“, gestand ein Etinger mit Schlachterschürze, der das Treiben organisiert hat. Er erklärte: „Viele von uns sind verheiratet und haben Kinder. Wir bedanken uns bei den Frauen, die uns ziehen lassen, um den Brauch lebendig zu halten.“

Hingegen ist die Tradition der Freien Nacht zu Pfingsten in Etingen eingeschlafen. Im Drömling treiben Jugendliche in manchen Orten in dieser Nacht vom Sonnabend auf den Pfingstsonntag noch ihr Unwesen. Sie verstecken Geräte, Werkzeuge, Garten- und Hoftüren. Am anderen Tag können die Besitzer ihr Hab und Gut wieder einlösen. Birkengrün gibt es als Schmuck an den Haustüren.

Ursprünglich waren es beim Wurstsingen nur Junggesellen, die verkleidet und singend von Haus zu Haus zogen. Das Singen entstand 1924 aus der Not heraus. Vom Ursprung her zogen Knechte und Mägde einst durch das Dorf, um von den wohlhabenden Bauern Lebensmittel zu erbitten. Einer der Männer war schon damals der Fleischer, der seine Peitsche knallen ließ. Er wurde von Läufern begleitet. Mit dem Trommeln und Rasseln der Schweineblasen kündigte die wilde Bande ihr Kommen an. „Die Schweineblasen haben wir aufgepustet und getrocknet“, beschrieben die gruseligen Gestalten. Eindrucksvoll führten sie vor, wie sie die Blasen auf den Rücken derer tanzen lassen, die nichts für die Sänger übrig haben.

Lautstark wurde gesungen und getanzt. Dafür bedankten sich die Hausbewohner mit einem kräftigen Schluck aus einer Flasche. An einem mitgebrachten langen Stock befestigten sie die Würste wie eine Trophäe. Um die Sänger zufrieden zu stellen, holten die Etinger damals schnell Eier aus dem Hühnerstall.

So ähnlich funktioniert es immer noch. Es gibt auch heute noch Würste und Eier, außerdem noch Wein, Schnaps, Geld sowie Obst und Gemüse. Auf dem Hof der Familie Evers machten die Wurstsänger eine erste große Pause. Andy Evers hatte extra seinen Straßenkreuzer aus der Garage gefahren, damit alle Gäste einen Platz finden.

Es wird immer schwieriger, eine Truppe zusammen zu bekommen. Deshalb war der Schlachter mächtig stolz, dass 25 Herren mit von der Partie waren. Der jüngste Sänger war 17 Lenze. Nach oben scheint es keine Grenze zu geben. „Eine sehr gute Teilnehmerzahl – da können wir uns glücklich schätzen, dass so viele Zeit gefunden haben“, erklärte der Schlachter. Einer von ihnen könnte vom Alter schon der Vater der jüngeren Burschen sein. „Ich war in meiner Jugend auch schon mal Wurstsänger und bin vor 30 Jahren zum letzten Mal singend durch das Dorf gezogen. Jetzt haben die Jungs mich überredet, wieder dabei zu sein“, erklärte der Maskierte und gestand, dass er mächtig Spaß bei der Truppe hat. Respekt verschafften sich die Sänger mit ihrem Äußeren.

Als Verkleidungen dienten nicht nur die Sonntagsklamotten der Großeltern, sondern auch Zombie- und Clownmasken. Unter den Gestalten weilte auch Prominenz, wie Albert Einstein.

Auf der Tour überraschten die Männer ein Geburtstagskind. Renate Gerchel feierte ihr 57. Wiegenfest und bekam ein besonderes Ständchen. Zur Belohnung gab es Schnaps für alle Sänger.

Viele Bewohner von Etingen konnten scheinbar den Besuch kaum erwarten. Sie rückten - wie schon in den Jahren zuvor - freiwillig Speisen und Getränke heraus. Wer nicht zu Hause war, hatte zuvor meist blindlinks alles, was die Herzen der jungen Männer begehren, sichtbar an die Haustür gehangen. Denn schließlich möchte niemand im Dorf als Geizhals da stehen. In geselliger Runde verspeisten die Männer zum krönenden Abschluss Eierback und die anderen Köstlichkeiten.

Die nächste traditionelle Veranstaltung wird das Osterfeuer sein, das am Sonnabend, 15. April, bei Einbruch der Dunkelheit am Ortsrand angezündet wird.