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Bürgermeister Vergessen, die Basis mitzunehmen

Was sagen Kommunalpolitiker an Elbe und Havel zum Ergebnis der Landtagswahl und was erwarten sie von einer neuen Landesregierung?

Von Andrea Schröder 15.03.2016, 00:01

Havelberg l „Dieses Wahlergebnis muss jedem Demokraten ernsthaft zu denken geben, insbesondere wegen des hohen Wahlergebnisses für die AfD, aber auch angesichts dessen, was die anderen Parteien verloren haben“, sagt Havelbergs Bürgermeister Bernd Poloski. Aus seiner Sicht sind drei Dinge entscheidend für dieses Ergebnis.

„Das war ganz offensichtlich eine Protestwahl, die zum allergrößten Teil in der Flüchtlingsproblematik und der Uneinigkeit in der Regierungskoalition begründet liegt. Den zweiten Grund sehe ich in der Situation in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Ich denke, das Wahlergebnis wäre kein anderes gewesen, wenn dort überall Landtagswahlen gewesen wären. Die Länder sind wirtschaftlich abgehängt und haben nach wie vor Strukturschwächen.

Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung sind es immer noch Nehmerländer, was den Menschen das Gefühl gibt, alimentierte Nehmer zu sein. Dabei würden sie selbst lieber geben. Das Selbstwertgefühl leidet darunter, Dinge nicht aus eigener wirtschaftlicher Kraft finanzieren zu können. Damit sind Zukunftsängste verbunden. Die Menschen fragen sich, wie geht das weiter, wird es ein Dauerzustand bleiben. Das macht sie unzufrieden.“ Dritter Grund ist nach Ansicht des Bürgermeisters der demografische Wandel, der in den fünf ländlich strukturierten Bundesländern besonders zu spüren ist. „Da schlägt er richtig zu. Die junge Generation ist abgewandert und macht es noch heute.“

Er habe sich die Wahlergebnisse in den Kommunen des Landkreises genau angeschaut. Dort, wo letzte Anker wie Grundschulen und/oder Bankfilialen wegfallen, sind die Ergebnisse der AfD besonders hoch, wie zum Beispiel in Klietz, Schollene, Werben und Arneburg.

Seine Erwartungen an die neue Landesregierung: „Die Leute möchten Kontinuität und klare Aussagen sehen. Das beweisen auch die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Von einer Koalition erwarte ich, dass sie nicht immer wieder Dinge in Frage stellt, wie zum Beispiel beim Kinderförderungsgesetz geschehen. Wir Kommunalpolitiker müssen das Landesrecht vor Ort vertreten. Es kann nicht sein, dass kurz vor den Wahlen plötzlich alles auf den Prüfstand soll. Ziele, die formuliert sind und in Gesetze und Verordnungen fußen, müssen eine mittelfristige Kontinuität haben.“

Außerdem fordert Havelbergs Bürgermeister, dass die angekündigte Überarbeitung des Finanzausgleichsgesetzes recht schnell geschieht. „Die Attraktivität eines Wohnortes wird daran gemessen, wie sich der öffentliche Raum darstellt. Dazu gehören Jugendbetreuung, Kinderspielplätze, Kultur und Pflege von Grünanlagen – die freiwilligen Aufgaben einer Kommune. Hier müssen wir aufpassen. Wenn diese Dinge noch mehr gemindert werden, dann wird das Gefühl, abgehängt zu sein, noch größer. Das Leben erfolgt vor Ort und nicht im Landtag.“

Die Elb-Havel-Region wird künftig mit nur noch einem Abgeordneten im Landtag vertreten sein: der Sandauer Chris Schulenburg (CDU) gewann das Direktmandat mit 40,1 Prozent der Stimmen. Mit Listenplatz 31 zieht Jenny Schulz (Die Linke) nicht in den Landtag ein, obwohl sie mit 27,3 Prozent das zweitbeste Ergebnis im Wahlkreis Havelberg/Osterburg eingefahren hat. Ralf Bergmann (SPD), der zwei Legislaturperioden im Landtag arbeitete, verlor sein Mandat. Er erreichte 16,4 Prozent. Auch David Elsholz (Bündnis 90/Die Grünen, 6,2 Prozent) bekommt keinen Platz im neuen Landtag. Ebenso Klaus-Dieter Liebsch (FDP), der 10,1 Prozent der Stimmen erhielt. Er hatte keinen Listenplatz.

„Es ist immer bedenklich, wenn die Zahl der Abgeordneten im Wahlkreis weniger wird“, sagt Bürgermeister Bernd Poloski. Um so mehr müsse der Landtag mit den Problemen vertraut gemacht werden, damit die Interessen des Raumes bekannt sind. „Da liegt eine Menge Arbeit vor Chris Schulenburg. Sicher werden sich auch Leute aus den anderen Wahllagern an ihn wenden.“

Für den Verbandsbürgermeister des Elbe-Havel-Landes, Bernd Witt, ist das „eine Wahl zum Nachdenken, aus der man nun die richtigen Schlüsse ziehen und umdenken muss“. Die Landesregierung habe die falschen Prioritäten gesetzt. „Einige Politiker haben versagt. Man hat einfach vergessen, in allen wichtigen Entscheidungen die Basis mitzunehmen, die Meinung der Bürger wurde ignoriert.“

Ganz speziell spricht er die Schulpolitik und die daraus resultierende Schließung von Grundschulen auch im Elbe-Havel-Land an. „Kein einziges Mal war trotz wiederholter Einladung ein Vertreter des dafür zuständigen Kultusministeriums vor Ort, um sich mit der Situation der Wuster Grundschule vertraut zu machen.“ Auch mit der Asylpolitik kann man nicht einverstanden sein.

„Gerade am Anfang, als die Klietzer Kaserne zur Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge geworden ist, wurden die Klietzer und auch wir als Verwaltung nur spärlich informiert. Das Land hat einfach gesagt, ,wir sind dafür zuständig‘ und damit war die Sache erledigt. Die Ängste der Bevölkerung die Flüchtlingssituation betreffend spiegeln sich in dem hohen Wahlergebnis für die AfD wieder.“ Diese Partei müsse sich nun beweisen, „meckern kann jeder. Konstruktive Vorschläge, die sich auch wirklich umsetzen lassen, müssen her!“

Schönhausens Bürgermeister Holger Borowski spricht von einer Frustwahl, das Ergebnis der AfD zeigt, „dass die Menschen nicht begeistert sind von der Gesamtsituation im Land“. Er hofft, dass Landesvater Reiner Haseloff vernünftige Koalitionspartner findet, um die neue Regierung auf gesunde Füße stellen zu können. Erfreulich sei, dass die Wahlbeteiligung so hoch war. Er dankt allen Helfern in den drei Lokalen seiner Gemeinde, die einen reibungslosen Ablauf der Wahl gesichert haben.

So ein hohes Wahlergebnis für die AfD, nämlich 32,7 Prozent, hatte der Klietzer Bürgermeister Hermann Paschke beinahe befürchtet. „Reine Protestwahl! Gerade hier in Klietz mit der Erstaufnahme für Flüchtlinge hat man uns als Gemeinde und die Einwohner doch gar nicht mitgenommen, die Informationspolitik stimmt einfach nicht! Es gibt kein Miteinander. Und die CDU ist sich doch auf Landes- und Bundesebene noch nicht mal einig. Im Wahlprogramm der AfD stehen ja noch mehr Dinge als zur Flüchtlingspolitik, die aus meiner Sicht anzuzweifeln sind. Ich bin gespannt, wie sich die Regierung zusammensetzen wird. Hoffentlich lernt man aus den Fehlern!“