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Heimatgeschichte Professor Keil war bekannter Wissenschaftler

Am Sonntag jährte sich zum 100. Mal der Todestag von Professor Keil. Der gebürtige Havelberger lehrte in der „Klassischen Philologie“.

Von Helmut K. J. Knopf 28.03.2016, 06:00

Havelberg l In der offiziellen Liste der Gedenktage bedeutender Persönlichkeiten des Jahres 2016 für das Land Sachsen-Anhalt steht auch der 100. Todestag eines gebürtigen Havelbergers: Professor Dr. phil. Bruno Keil. Dieser Name ist in Havelberg jedoch nicht bekannt. Befasst man sich allerdings eingehender mit der Havelberger Geschichte, ist es unvermeidlich, dass man beim Lesen alter Dokumente des Öfteren auf den Namen Keil stößt.

Immer aber handelt es sich um den Apotheker der Rats und Adler-Apotheke Gustav Keil (1830-1908). Dieser genoss zu seinen Lebenszeiten sowohl als renommierter Apotheker als auch als Stadtverordnetenvorsteher und Vorsitzender der Liberalen Partei eine hervorgehobene gesellschaftliche Stellung in der Stadt.

Der Name Bruno Keil aber erscheint weder in der Zoellner Chronik von 1894 und auch sonst nirgendwo in Havelberger Schriften. Erst eine beim Rathausumbau 1937 gefundene und gut erhaltene Blechbüchse im Giebel der alten denkmalgeschützten Apotheke brachte den Nachweis. Hier hatte im Jahre 1864 der Apotheker Gustav Keil unter anderem aufgeschrieben, wer von seiner Familie mit ihm zusammen im Haus wohnt.

Neben seiner Frau Anna führt er eine Stieftochter und zwei Söhne auf. Einer davon war Bruno. Obwohl dieser später als Universitätsprofessor berühmt wurde und einen hohen Bekanntheitsgrad hatte, muss er wohl in seiner Geburtsstadt irgendwie in Vergessenheit geraten sein. Erst sein früher Tod und die besonderen Begleitumstände seiner Beisetzung auf dem Havelberger Domfriedhof brachten ihn wieder in das Gedächtnis der Stadt zurück.

Am 30. März 1916 erscheint im „Havelberger Tageblatt“ eine auffällig große Todesanzeige, die den Tod des Universitätsprofessors Dr. Bruno Keil anzeigt. Gleichzeitig wird angekündigt, dass die Beerdigung auf dem Domfriedhof stattfindet. Todesanzeigen gefallener Söhne unserer Stadt sind zu der Zeit an der Tagesordnung. Das Leid der betroffenen Familien war unermesslich. Bekanntlich fanden aber die Bestattungen der Soldaten in Massengräbern auf dem Schlachtfeld und nicht in der Heimat statt.

Von den einst 806 Havelbergern, die in den Krieg gezogen waren, wird die Stadt Havelberg am Ende des Krieges um 246 gefallene Söhne trauern. Im Jahre 1922 sammeln die Bürger der Stadt Havelberg Geld und errichten ihren „teuren Söhnen“, so wörtlich war es ursprünglich eingemeißelt, ein Erinnerungsdenkmal auf dem Camps. Leider wurde dieses Denkmal 1948 ideologisch umgewidmet und massiv in seiner Substanz verändert. Erst seit der Buga 2015 erinnert wieder eine kleine Tafel an den ursprünglichen Sinn dieses Denkmals.

Deutschland befindet sich 1916 im zweiten Jahr des Ersten Weltkrieges und in fast jedem Ort machen sich die Auswirkungen des Krieges bemerkbar. Besonders aber in Havelberg ist man stark betroffen. Im Domgebiet werden mehrere Reservelazarette eingerichtet, wo verwundete Soldaten medizinisch versorgt werden. Des weiteren kommen schon seit längerer Zeit auf dem Bahnhof unzählige Transporte mit Tausenden Gefangenen und Internierten aus vielen Nationen an, die in Lagern bei Fleckengarten oder der Ziegelei untergebracht wurden. Diese Bilder der Massenankunft so vieler Menschen waren den Havelbergern zu dieser Zeit allgegenwärtig. Sogar Postkarten wurden davon angefertigt.

Am Freitag, 31. März 1916, ist das gewohnte Bild auf dem Havelberger Bahnhof ein ganz anderes. Direkt auf dem Bahnsteig steht ein feierlich geschmückter schwarzer Bestattungswagen mit davor gespannten vier Rappen. Es sah schon ein wenig beklemmend aus, zumal eine kleine Gruppe schwarz gekleideter Menschen dicht gedrängt am Bahnhofsgebäude wartete. Soeben fuhr der direkt aus Berlin kommende Mittagszug ein. Zu der Zeit hatte Havelberg noch einen Breitspuranschluss und man konnte, ohne in Glöwen umzusteigen, direkt in Richtung Berlin oder Hamburg fahren. Der Mittagszug aus Berlin fuhr mit seiner schnaufenden Dampflokomotive pünktlich in den Bahnhof ein. Schnell wurde ein Sarg vom Gepäckwagen des Zuges auf den bereitstehenden Bestattungswagen umgeladen.

Bis 1935 war es üblich, die Toten mit dem Fuhrwerk direkt zum Grab zu bringen. Zur schwarzen Dienstkleidung der Fuhrleute – das linke Pferd wurde auf dem Weg zum Begräbnis am Zaum geführt – gehörte selbstverständlich der Zylinder. So war es auch an diesem Tag. Der Trauerzug führte die Bahnhofstraße entlang, ging vorbei an der Sankt Annen-Kapelle den Krugtorhohlweg hinauf und über den Kaiser-Otto-Platz mit der Oberförsterei durch die Domherrnstraße. Die letzte Wegstrecke führte zwischen dem Pagel‘schen Bauerngehöft und Wasserturm direkt zum Domfriedhof. Dort angekommen, hielt der Superintendent Hörnlein die Grabrede.

Für alle überraschend, traten danach hintereinander drei vornehm wirkende Herren ans Grab und nahmen in bewegenden Worten Abschied von dem Heimgegangenen. Die einfühlsamen Worte galten zuerst dem außergewöhnlich erfolgreichen beruflichen Werdegang, aber auch die persönliche Wertschätzung für den Entschlafenen wurde zum Ausdruck gebracht.

Es stellte sich später heraus, dass es sich bei den drei Herren um Universitätsprofessoren aus Leipzig, Göttingen und Straßburg im Elsass handelte. Diese hatten jeweils eine längere berufliche Wegstrecke mit Bruno Keil zusammen zurückgelegt. Die Grabreden der drei Professoren wurden unter dem Titel „Worte des Abschieds“ in einem kleinen Heftchen in Leipzig abgedruckt.

Dieses, mir schon seit einiger Zeit vorliegende Schriftwerk, gab den Anstoß, über diesen Sohn unserer Stadt nachzuforschen. Es muss doch einen Grund gehabt haben, dass er hier in seiner Vaterstadt beigesetzt werden wollte, obwohl niemand mehr aus seiner Familie in Havelberg wohnte. Der altgriechische Spruch auf dem Deckblatt des Schriftwerkes machte zudem neugierig, wo hier der Zusammenhang mit dem Leben von Bruno Keil herzustellen ist.

Es war ein kleiner Hinweis, in welche Richtung die Recherchen gehen müssen. Die Universitäten und Fakultäten der drei Grabredner gaben den ersten Hinweis. Alle drei Professoren entstammten der philosophischen Fakultät. Da es noch heute diese drei Universitäten und Fakultäten gibt, war ein Kontakt zu diesen unvermeidbar. Dadurch wurde die Dimension dieses hervorragenden und zu seiner Zeit berühmten Wissenschaftlers erkennbar. Erst durch diesen Kontakt war es möglich, etwas über sein Leben zu erfahren.

Es war sehr schwer, sich in die unbekannte Thematik einzuarbeiten, denn wer hat sich schon einmal mit „Klassischer Altphilologie“ beschäftigt (befasst sich mit Latein und Altgriechisch sowie römischer und griechischer Antike vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis 600 n. Chr.). Bruno Keil hatte dieses exotische Lehrfach zu seinem Lebensinhalt gemacht.

Alles begann aber in einer Apotheke in Havelberg. Hier wurde Bruno Keil am 8. Juli 1859 als Sohn des Apothekers der Königlich privilegierten Rats-Apotheke „Zum goldenen Adler“, Gustav Keil, geboren. Seine Mutter Anna, geb. Baevenroth, entstammte ebenfalls einer Apothekerfamilie. Mit einem Bruder und einer Stiefschwester wuchs er wohlbehütet direkt im Herzen der Stadt auf. Es war ein herrliches Leben in der seit 1668 existierenden Apotheke. Neben dieser befand sich noch eine Mineralwasserfabrik im Hause. Es war ein ständiges Kommen und Gehen und es war immer interessant für den kleinen Bruno. Er ging in Havelberg zur Schule und war schon dort ein wissbegieriger Schüler. Mit zehn Jahren erlebte er 1870 den großen Havelberger Stadtbrand ganz unmittelbar mit, da sein Elternhaus direkt mitten im Feuer lag. Rundherum brannte es und wie ein Wunder blieb das Rathaus und mit diesem die Apotheke weitestgehend unberührt. Sein ganzes Leben lang hat er dieses Erlebnis nicht vergessen.

Von seinem 14. Lebensjahr an besuchte er das Joachims­thalsche Gymnasium in Berlin. Hier erfuhr er die für seinen Lebensweg entscheidenden Eindrücke. Nach anfänglich guter finanzieller Ausstattung durch das Elternhaus, kam es zu wirtschaftlichen Verwerfungen in der Apotheke seines Vaters. Als Folge kämpfte Bruno Keil um die Weiterführung seiner anspruchsvollen Ausbildung und war dadurch in seinen Möglichkeiten äußerst eingeschränkt. Seit 1878 studierte er trotzdem nacheinander an der Universität Berlin und Bonn. Hier drängte sich zeitweilig die Germanistik in den Vordergrund, obwohl in der Klassischen Philologie und Archäologie sein Hauptinteresse lag.

Unter den schwankenden Eindrücken der Bonner Studienzeit hatte er sich zunächst einmal entschlossen, sein Studium zu unterbrechen. Er hatte als echter Preuße seiner militärischen Dienstpflicht beim 3. GardeRegiment zu Fuß genüge getan, obwohl er noch in Berlin immatrikuliert war. Vorlesungen besuchte er kaum, aber durch eifrige Lektüre, hat er an der Vervollständigung seiner Kenntnisse gearbeitet. Mit diesen ausgerüstet, ging er im Herbst 1881 zum Studium nach Greifswald.

Nach kleineren Schwankungen verfestigte sich nun sein beruflicher Wunsch, sich dem Studium der Klassischen Philologie, Archäologie und Germanistik zu widmen. Hier in Greifswald promovierte er 1884 zum Dr. phil. in Klassischer Philologie. Seine Doktorarbeit erregte großes Aufsehen unter Fachkollegen.

Sein Doktorvater, Prof. Dr. phil. Ulrich von Willamowitz-Moellendorf, die bedeutendste wissenschaftliche Kapazität auf dem Gebiet der Altphilologie, hat diese Doktorarbeit überschwänglich gelobt. Er sagte, es war in mancher Hinsicht die beste, die er je gesehen hat. Keils Arbeit befasste sich mit bahnbrechenden Forschungen zur Textgeschichte des Redners Isokrates (436 v.Chr. bis 338 v.Chr.).

Im Jahre 1884/85 praktizierte er am Humboldt­gymnasium in Berlin. Seine Tätigkeit als Lehrer unterbrachen Studienreisen nach Italien, Spanien und Frankreich. Seit Herbst 1888 wirkte er am Sophiengymnasium zu Berlin.

In Berlin heiratete Bruno Keil auch 1889 seine Jugendliebe, die hochbegabte Anna Illies aus Havelberg. Sie war die Tochter des dortigen Rechtsanwalts und Notars Friedrich Illies und der Karoline, geb. Haupt. Diese war nach dem frühen Tode ihres Mannes zusammen mit ihrer Tochter nach Berlin übergesiedelt. Anna blieb aber immer in Kontakt mit ihrem Bruno. Nachdem es die wirtschaftlichen Verhältnisse zuließen, haben sie sofort geheiratet. In der Folge bekamen sie zwei Söhne und eine Tochter, wobei einer ebenfalls Wissenschaftler wurde.

Im Dezember 1890 wurde Keil als außerordentlicher Professor nach Straßburg berufen und im März 1901 dort zum Ordinarius (Lehrstuhlinhaber) ernannt. An der Universität Straßburg lehrte Bruno Keil 23 Jahre „Klassische Philologie“. Rufe nach Halle und Göttingen lehnte er ab.

Vom Herbst 1913 bis zu seinem Tode wirkte der Professor, der ein hervorragender akademischer Lehrer war, in Leipzig. Keils wissenschaftliche Studien nahmen ihren Ausgang von der Textgeschichte der griechischen Rhetorik des 4. Jahrhunderts vor Christus. Er erwarb sich eine umfassende Handschriftenkenntnis. In späteren Jahren galt sein Interesse insbesondere der antiken griechischen Epigraphik (Inschriftenkunde).

Keil lieferte bedeutende Neuerkenntnisse durch scharfsinnige Interpretationen überlieferter Inschriftenfragmente. Nicht weniger ertragreich waren seine Forschungen zu Aristoteles „Staat der Athener“, zur griechischen Epigrammdichtung (Aufschrift, Sinngedicht), griechischen Metrologie und Numismatik. Er schrieb viele Bücher sowie Aufsätze in verschiedenen Fachzeitschriften. Von einigen Büchern gibt es noch heute Neuauflagen.

Seine letzte Professur in Leipzig war geprägt von seiner Krankheit, Trauer um nahe Angehörige und Sorge um die Söhne draußen im Felde. Die Einweisung in ein Berliner Sanatorium konnte seinen frühen Tod mit 57 Jahren nicht mehr aufhalten. Seinen letzten Wunsch, in seiner geliebten Vaterstadt an der Seite seiner Eltern zur letzten Ruhe gebettet zu werden, konnte er noch mit seiner geliebten Frau und Jugendliebe aus Kindertagen besprechen.

Dieses Vermächtnis erfüllte sie, ohne zu wissen, dass sie ihm noch im selben Jahr im Tode nachfolgen wird. Treffend waren die letzten Worte seines Freundes am Grabe: „... viel zu kurz hat er gelebt für die Seinen, für die Freunde, für die Wissenschaft, aber gelebt hat er, ein reiches, schaffendes Leben, er ruhe in Frieden.“