1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Havelberg
  6. >
  7. Klietzer See hat nun viele neue Bewohner

AalbesatzKlietzer See hat nun viele neue Bewohner

Obwohl die Art vom Aussterben bedroht ist, bleibt der Aal weiterhin ein beliebter Speisefisch. Jetzt wurden wieder Jungfische ausgesetzt.

Von Ingo Freihorst 21.06.2019, 18:30

Klietz l „Solch Gewimmel möcht ich sehn...“ – dieses Zitat aus Goethes „Faust“ könnte durchaus auch auf die Kiste zutreffen, in der sich hunderte junge Aale– der Fachmann sagt dazu „vorgestreckte Aale“ – winden. Die weiße Kiste steht vorm Fischermeister Gernot Quaschny aus Hohengöhren auf dem Steg am Ufer des Klietzer Sees. Einen Augenblick später wird deren Inhalt von ihm vorsichtig in das Gewässer gegossen – und die etwa sieben Gramm leichten dunklen Fischlein verschwinden zwischen Seerosen, Krebsscheren und Wasserpest.

Aale sind Allesfresser, die Jungen ernähren sich vorerst von Kleinstlebewesen. Nahrung gibt es im Klietzer See genug – ebenso wie Fressfeinde. Das sind nicht nur Raubfische. Die Gefahr kommt auch aus der Luft – in Form des Kormorans. Auch ein winziger Feind bedroht die Bestände: der Schwimmblasenwurm.

Geschätzt nicht einmal die Häfte der Glasaale wird ihre Geschlechtsreife erleben. Das dauert beim Männchen sechs bis neun Jahre, beim Weibchen sogar 12 bis 15 Jahre. Letztere sind es auch, die bis zu 1,5 Meter lang und bis zu sechs Kilogramm schwer werden können. Die Männer bringen es maximal auf 60 Zentimeter.

Gefangen werden darf ein Aal – der lateinische Name lautet Anguilla Anguilla – übrigens ab einer Länge von 52 Zentimetern. Dann ist der Fisch so etwa sieben, acht Jahre alt.

Insgesamt 2,85 Tonnen dieser jungen Aal wurden in dieser Woche im Bundesland in diversen Gewässern ausgesetzt. Voraussetzung ist, dass diese eine durchgehende Verbindung zum Meer aufweisen. Vom Klietzer See ist dies über Trübengraben, Havel und Elbe möglich.

Gernot Quaschny hat ausgerechnet, dass es etwa eine halbe Million Fische sein müssten, welche 2019 ausgesetzt wurden. Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr, dieses Jahr sind es zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der Transport der Tiere erfolgt in isolierten Behältern mit Sauerstoffzufuhr. Bezahlt wird die Aktion zu 80 Prozent vom Bundesland aus Mitteln der Fischereiabgabe. Den Rest zahlen Fischer und Angelvereine aus eigener Tasche. Wie viele Fische wo ausgesetzt werden, errechnet das Institut für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow anhand der jeweiligen Gewässergrößen.

Ausgesetzt wurden die Aale auch im Trübengraben und im Kamernschen See, was Quaschnys Kollege Sven Ahlendorf aus Warnau vornahm. Auch in der Elbe wurden Fische ausgesetzt. Der Besatz sei nötig, so der Hohengöhrener, weil die gesamten Bestände vom Aussterben bedroht sind und die Europäische Union darum einen Aal-Managementplan erstellt hat. Dieser fordert unter anderem den Besatz.

Laut Greenpeace gingen die Bestände seit den 1980er Jahren um 99 Prozent zurück. Dabei birgt die Lebensweise des Aales noch etliche Geheimnisse. Geboren werden alle europäischen Aale in der Sargassosee im Atlantik, in der Nähe der Bahamas. Die Larven ähneln einem Weidenblatt. Drei Jahre benötigen sie, um bis an die europäische Küste zu gelangen. Kurz vor deren Erreichen beginnt die Methamorphose zum Glasaal. Den Weg in die Binnengewässer nehmen ihnen nun oftmals die Menschen ab.

Auf Wanderschaft begeben sich die Aale regional unterschiedlich, berichtet der Fischer. Hauptwanderzeit der Aale in der Elbe ist von August bis September, an der Weser geht es erst später los.

Viele Aale auf Wanderschaft verenden auch in Wasserkraftwerken, wo sie von den Turbinen zerhäckselt werden. Deshalb hält man in einem Kraftwerk an der Weser Aale – werden diese unruhig, geht die Wanderung los und man kann Vorkehrungen treffen.

Auf ihrer letzten Reise legen die Fische um die 5000 Kilometer zurück – und das ohne Nahrungsaufnahme. Denn der Verdauungstrakt bildet sich komplett zurück und macht den Geschlechtsorganen Platz. Das Überleben während dieser Phase sichert dem Aal seine Fettschicht, von der er auf der anstrengenden Reise zehrt. Die Tiere wandern am Tage in Tiefen zwischen 200 und 1000 Meter, ergaben telemetrische Satelliten-Messungen. Nachts steigen sie hoch, dort ist das Wasser wärmer.

Nach der Paarung und dem Ablaichen in der Sargassosee sterben die Tiere. Hier wurden sie geboren und hier sterben sie – so sie denn vorher nicht gefressen, zerschreddert oder geangelt wurden.