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Ärzte Praxisnachfolge ist wie ein Sechser im Lotto

Zukunft gesichert: Die Frauenarztpraxis von Dr. Eberhard Müller in Havelberg wird von der jungen Fachärztin Dr. Denise Möwing weitergeführt.

Von Andrea Schröder 30.12.2017, 00:01

Havelberg l Fast 40 Jahre ist es her, dass Dr. Eberhard Müller als Gynäkologe nach Havelberg gekommen ist. Wie es damals so üblich war, mussten die jungen Ärzte nach ihrem Studium dahin gehen, wo es der Staat für richtig hielt. Der Quedlinburger hatte die Wahl zwischen Havelberg, Osterburg, Genthin und Staßfurt. Er schaute sich das Krankenhaus in Havelberg an. „Weil ich bei meinem ersten Besuch eine Weile warten musste, bekam ich die Empfehlung, mal zum Dom zu gucken, weil man von dort gut auf die Stadt schauen kann. Das war im Mai. Ich erblickte die Dächer der Altstadt, ringsum war alles im frischen Grün. Auf der Havel fuhren Schiffe. Ich fand das ganz idyllisch und sagte zu meiner Frau, dass wir diese fünf Pflichtjahre schon hinter uns bringen werden“, erinnert sich der heute 65-Jährige.

Aus diesen fünf wurden fast 40 Jahre, in denen der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Havelberg tätig war. Nun ist er in den Ruhestand gegangen und hat seine Praxis an seine Nachfolgerin Dr. Denise Möwing übergeben. Kurz vor Weihnachten hatten beide ihren letzten gemeinsamen Arbeitstag. Am 8. Januar schließt die Hohengöhrenerin dann die Praxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe als ihre eigene auf.

Eberhard Müller ist glücklich darüber, dass er eine Nachfolgerin gefunden hat. Er kann beruhigt in den Ruhestand gehen. Und auch für Denise Möwing, die nach dem Abitur in Havelberg sechs Jahre Medizin an der Berliner Charité studiert, ihre Doktorarbeit geschrieben und 2012 ihre Facharztausbildung an der Stendaler Frauenklinik begonnen hatte, ist es ein Glücksfall. Für sie stand immer fest, dass sie nach ihrem Studium zurückkehren will in ihre Heimat. „Das ist für uns beide wie ein Sechser im Lotto“, sagt die 31-Jährige. „Ich kann an einer Hand abzählen, wie viele aus meiner Abiklasse das Glück hatten, mit einem ordentlichen Arbeitsplatz hier zu Hause bleiben zu dürfen.“

Seit Oktober 2016 arbeitet sie bereits in der Havelberger Frauenarztpraxis mit. Eberhard Müller begleitete sie in ihrem letzten Jahr der Facharztausbildung. Dafür hatte er extra noch die Weiterbildungsermächtigung erworben. Die Prüfung hat sie bestanden, nun darf sie ihre eigene Praxis führen. „Ich finde es auch schön, dass die Patientinnen sich freuen, dass die Praxis weitergeführt wird. Wir haben viele positive Rückmeldungen aus Havelberg und Umgebung bekommen“, erzählt die Ärztin. Sie wird künftig auch eine Spätsprechstunde anbieten. Zugelegt hat sie sich einen neuen Gynäkologiestuhl und ein neues Ultraschallgerät. Mit Heidrun Wetter hat sie eine langjährige Arzthelferin von Dr. Müller an ihrer Seite. Zudem gehört Sabine Holderried seit 1. November als Arzthelferin zum Team. Für die Sauberkeit in der Praxis sorgt seit Jahren Silke Walter. Und, was heutzutage mancherorts schwierig ist: Die Praxis nimmt noch neue Pa­tientinnen an.

„Ich wurde nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern konnte mich hier über ein Jahr lang richtig gut einarbeiten, wir haben alles zusammengemacht, auch die Abrechnungen“, ist Denise Möwing Dr. Müller dankbar für ihren guten Start in die Selbstständigkeit.

„Ich gehe als glücklicher Mensch in den Ruhestand“, sagt Eberhard Müller. Drei Generationen Frauen hat er in den fast 40 Jahren medizinisch begleitet. „Ich habe diese Arbeit sehr gern gemacht und bin froh, dass mir die Frauen ihr Vertrauen geschenkt haben.“ Dass er sich selbstständig gemacht hat, war der politischen Wende in der DDR geschuldet. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er gern als Facharzt am Havelberger Krankenhaus geblieben.

Doch war 1990 abzusehen, dass die Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus langfristig keine Zukunft hat. Als 1991 die Poliklinik geschlossen wurde, machte er sich mit einer eigenen Praxis selbstständig. „Wer damals das Krankenhaus verließ, galt als Verräter. Doch musste man auch schnell sein. Seit Jahren gibt es keine neuen Verträge für niedergelassene Frauenärzte durch die Kassenärztliche Vereinigung. Die Versorgung liegt bei 125 Prozent, der Landkreis ist gesperrt für unser Fachgebiet. Ich hätte damals auch das Nachsehen haben können, wenn ich zu lange gewartet hätte, denn etliche Kollegen ließen sich nieder.“

Die Arbeit im Krankenhaus hat ihm großen Spaß gemacht. Denn sie war sehr vielseitig. Als Facharzt war er im Kreißsaal, in der Poliklinik, auf Station und im OP gefragt. Er hatte eine Zusatzausbildung als Facharzt für Anästhesie absolviert, weil Anästhesisten im Krankenhaus fehlten. Und so übernahm er auch bei anderen Operationen die Narkosen. Auch nachdem er 1991 die eigene Praxis eröffnet hatte, nahm er weiterhin kleine Eingriffe im Krankenhaus vor, um seinen Patientinnen weite Wege zu ersparen. Nachdem Ende 2000 das letzte Baby im Krankenhaus das Licht der Welt erblickt hatte und die Entbindungsstation geschlossen wurde, bot er gemeinsam mit Hebamme Ute Knospe noch für einige Zeit ambulante Entbindungen an und er führte eine Belegabteilung für Gynäkologie.

Etliche hundert Operationen hat er im Krankenhaus und auch später vorgenommen und auch etliche hundert Kinder mit auf die Welt geholt. „Zu 99 Prozent war die Geburtshilfe erfreulich, nur ganz selten war ein totgeborenes oder fehlgebildetes Kind dabei. Und zum Glück ist nie eine Frau bei der Geburt gestorben“, sagt Eberhard Müller.

„Es ist ein sehr schöner Beruf. Ich habe gern mit Frauen gearbeitet und dabei oft auch erleben dürfen, wie gut sie eine Geburt meistern, wie diszi­pliniert sie sind. Die Vielseitigkeit meines Berufes war auch der Grund, weshalb ich dieses Fach gewählt habe. Ansonsten wäre ich Chirurg geworden.“ Zu Krankenhauszeiten ist er für Sprechstunden auch nach Klietz und Schollene gefahren. 30 Jahre lang war Eberhard Müller zudem als Notarzt im Rettungsdienst des Krankenhauses mit eingetaktet. In den heutigen Hausärztlichen Notdienst, der bundesweit unter 116 117 erreichbar ist, sind die Fachärzte ebenfalls integriert. Das obliegt künftig dann seiner Nachfolgerin.

Auch wenn er die Vielseitigkeit des Krankenhausdienstes vermisst hat, so hat ihm die Arbeit in der eigenen Praxis auch viel Spaß bereitet. Dort durfte er sich ebenfalls über Geburten freuen, auch wenn es in den gut 25 Jahren nur zwei, drei Kinder waren, die den Weg in eine Klinik nicht mehr abwarten wollten. Und auch unterwegs auf der Straße im Rettungswagen hat er mal ein Kind auf die Welt geholt.

Seine Praxis und seine Pa­tientinnen bei Denise Möwing in guten Händen wissend, freut er sich nun auf den Ruhestand. Seine Frau ist bereits seit zwei Jahren zu Hause. Mit ihr möchte er auf Reisen gehen. Zudem gibt es zu Hause in Toppel und auf dem Grundstück der Praxis in Havelberg immer was zu tun. Und er hat sich vorgenommen, seinem früheren Hobby, der Musik, wieder Zeit zu widmen. Einst hat er in einer Band gespielt. Gitarre und Keyboard. Nun denkt er an Musik für den Hausgebrauch und trifft sich dafür mit alten Freunden.