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Baustart Sydower Kirche wird trockengelegt

Das Mauerwerk einer der ältesten Kirchen der Region wird trockengelegt. Das erfolgt auf verschiedene Weise, war in Sydow zu erfahren.

Von Ingo Freihorst 29.06.2020, 01:01

Sydow l Als man vor einigen Jahren den Putz im unteren Bereich der Sydower Kirche abschlug, lief das Wasser aus der Wand. Mystiker könnten meinen, es seien Tränen vom allessehenden Auge Gottes, was von der Decke des Altarraums auf seine Schäfchen herunterschaut. Tränen, welche es wegen des üblen Zustandes der spätromanischen Backsteinkirche vergoss. Jetzt wären es wohl eher Freudentränen, denn die Gebäudehülle soll nach langer Vorbereitungszeit endlich umfassend und nachhaltig trockengelegt werden.

Pfarrerin Rebekka Prozell aus Jerichow, welche auch für die evangelischen Christen im Kattewinkel zuständig ist, hatte zum offiziellen Baustart nach Sydow geladen. Also dorthin, wo sich eine der ältesten Kirchen ihres Bereiches befindet. Von außen wirkt sie unscheinbar, im Innern verbergen sich aber diverse Schätze, welche man hier auf dem platten Lande nie vermutet hätte.

Schon immer hatten die Sydower Probleme mit dem feuchten Mauerwerk. Weshalb bei der Sanierung um die Jahrtausendwende der zu hohe Erdboden an den Mauern zum Teil abgetragen wurde. – Mit dem fatalen Ergebnis, dass das Regenwasser nunmehr vom Kirchhof in Richtung Kirche lief. Auch der Putz wurde im unteren Bereich beiderseits des Gemäuers entfernt, um die Wände auszutrocknen.

Seit 2010 liefen die Vorarbeiten, jetzt folgt endlich die praktische Phase: die Trockenlegung der Gebäudehülle. Mit der Baubetreuung beauftragt wurde die Architektin Doreen Dalgahn aus Arend- see, welche zum Baustart über das Projekt informierte. Gefördert wird die Investition auch von Land und Bund, es ist quasi ein Pilotprojekt. Weshalb gleich mehrere Varianten zur Umsetzung gelangen.

Zum einen macht das Niederschlagswasser dem Gebäude zu schaffen. Weshalb es jetzt endlich eine Dachrinne erhalten wird – lange hatte der Denkmalschutz dies blockiert. Doch ohne Rinne geht es nicht, ergaben die Voruntersuchungen. Im Abschlussbericht des Instituts für Denkmalpflege und Diagnostik an Denkmalen aus Dresden (IDK) von 2018 heißt es dazu: „Zu den negativen Einflussfaktoren auf die Kirche gehört allerdings vor allem die bislang fehlende Dach-entwässerung. Das Regenwasser versickert einfach am Fuß der Außenwand und trägt so erheblich zur Durchfeuchtung des Mauerwerks bei.“

Empfohlen wird von den Experten darum Folgendes: „Neben dem Anbau einer Dachentwässerung mit entsprechender Versickerung (die Einleitung in die Kanalisation ist nicht möglich) wird hier eine Geländeregulierung mit Ausbildung eines Gefälles zur Wasserabführung notwendig.“

Was bedeutet, dass neben dem Anbau der Dachrinnen sowie dem Bau zweier umweltfreundlicher Sickermulden zur Wasserableitung und -speicherung auf dem Kirchhofgelände auch ein Teil dieses Kirchhofes profiliert wird. Hierbei werden zwecks Änderung des Gefälles zwischen 80 und 100 Zentimeter Erdboden abgetragen, um das Wasser vom Gotteshaus wegzuleiten. Weil sich hier einst der Friedhof befand, wird natürlich alles archäologisch begleitet.

Zum Trockenlegen der Wände empfehlen die Sanierungsexperten vier Varianten. Am Kirchenschiff wird an der Nord- und Südseite Stampflehm eingearbeitet, welcher die Nässe abhalten soll. Das erfolgt Schicht für Schicht, welche jeweils austrocknen muss, ehe die nächste folgt – ein sehr zeitaufwendiger Prozess. Die klassische Schwarzbeschichtung wird am Mauerfundament der Apsis erfolgen, an welcher keine Regenrinne befestigt wird. In dem Bereich wird das umlaufende Kiesbett zudem etwas tiefer angelegt, bis zu 1,2 Meter. Zudem wird die Mauer in dem Bereich hinterlüftet.

Zunächst wird erst einmal der aus den 1950er Jahren stammende unschöne graue Außenputz entfernt, wozu in den nächsten Tagen ein Baugerüst errichtet wird. Später wird die Fassade glatt angeputzt, wobei auch die Fenster neue – und nunmehr umlaufende – Faschen erhalten. Der Sockelputz wird dabei vom oberen Putz getrennt. Da dies alles aber noch keine endgültige Lösung ist, wird das IDK das Gebäude auch weiterhin kontrollieren.

Im Innern der Kirche wurden vom IDK vor zehn Jahren mehrere Versuchsfelder aus verschiedenen Putzen angelegt, welche unter Langzeitbeobachtung standen. Das Feld mit der Nummer 3 schnitt am besten ab. Empfohlen wurden von den IDK-Experten alkaliarme Baustoffe. Der Innenputz wird nunmehr also aus einem bestimmten Kalkgemisch bestehen, vermengt mit Sand aus der Kiesgrube bei Wischer auf der anderen Elbseite – wegen der historischen Farbgebung soll der Sand aus der näheren Umgebung stammen.

Der neue Putz im Gotteshaus wird übrigens etwas erhaben aufgetragen. Diese Putzarbeiten werden die Sanierung abschließen, sie sind für November geplant. Im September beginnen die Putzarbeiten am Sockel und die Trockenlegung, ab Oktober werden die Außenanlagen gestaltet und Bäume gepflanzt.

Damit die romanischen Wandmalereien im Innern – sie sind übrigens in Norddeutschland einzigartig – durch die Arbeiten nicht zu Schaden kommen, werden sie vorher konserviert. Und zwar mit Hilfe von Mullkompressen.

Dieser größte „Schatz“ der Sydower Kirche war erst vor kurzem entdeckt worden. Diese unter Putz versteckten und jetzt nur teilweise freigelegten Zeichnungen sind so alt wie das Gotteshaus – der einstige Pfarrer Karlheinz Stephan schätzt, dass die Kirche in der Zeit vor 1250 errichtet wurde, so etwa um 1200.

Um die drei Fenster in der Apsis, im Chorraum, dem Triumphbogen sowie dem Kirchenschiff wurden Wandmalereien im Zuge von Untersuchungen freigelegt. Entdeckt wurden Weihekreuze, Fenster- und Bogenrahmungen sowie Material-Imitationen zur Absetzung einzelner Bauglieder.

Vor allem die Fensterrahmungen sind äußerst farblich – das Ostfenster besticht sogar mit einer illusionistischen dreidimensionalen Imitation eines laufenden Bandes.

Anlass zu Spekulationen bieten auch andere entdeckte Malereien – wie das Weihekreuz am Aufgang zur recht eindrucksvollen Kanzel. Dieses Kreuz verwandte auch der Templerorden, hatte der Potsdamer Heimatforscher Detlef Voigt – sein Vater stammt aus Sydow – herausgefunden. Ein solches Kreuz entdeckte er nur noch in einer Kirche auf Mallorca. Er nimmt zudem an, dass hier ursprünglich statt der Kirche lediglich ein viereckiger Turm stand. Denn in dem Bereich befindet sich eine zugemauerte Tür.

Unter dem Kreuz ist ein Fisch gemalt – dieses Symbol steht für Jesus, informierte Superintendent Michael Kleemann aus Stendal. Übersetzt stehen die einzelnen Buchstaben des griechischen Wortes „Ichthys“ (Fisch) symbolisch für „Jesus Christus, Sohn Gottes und Retter“.

Das Sydower Gotteshaus birgt aber noch mehr Geheimnisse: Vorm Altar liegt ein großer Teppich, darunter sind etliche der Steine in umlaufender Form beschriftet. Hier könnte sich demnach eine Gruft befinden. Ist am Ende der Sanierung noch Geld über, sollen die Steine im Chor und in der Apsis dokumentiert und aufgenommen werden, berichtete die Architektin. Sie befürchtet, dass der Sand darunter nass ist, er müsste dann ausgetauscht werden. Das wird natürlich ein Restaurator begleiten.

Nicht nur dieser ist bei den Arbeiten, welche übrigens alle an regionale Firmen vergeben wurden, mit im Boot. Sondern auch der Geschichtskreis und Marionettenbühne GuM, welcher sich schon seit Jahren um den Erhalt der sechs Kirchen im Kattewinkel kümmert. Derzeit ist ein Heft in Arbeit, was sich ausnahmslos mit Sydow befassen wird, informierte Sabine Schönfeld vom GuM. Es wird in der nächsten Zeit erscheinen, enthalten sind neben aktuellen Texten auch Artikel aus dem Archiv.

Die GuM-Mitglieder wollen sich bei der Sanierung ebenfalls mit einbringen und Arbeiten erledigen, welche nicht gefördert werden. Wie die Sicherung der Rosenhecke am Eingang vorm Einrüsten des Gebäudes sowie weitere Baufeldvorbereitungen – unter anderem die Entfernung des Efeus. Im Zuge der Sanierung werden zudem die Fensterrahmen abgedichtet und mit Leinölfirnis imprägniert – dazu wollen die GuM-ler das Baugerüst nutzen. Mit Hilfe von Spenden sollen zudem die Apsisfenster saniert werden, Geld dafür ist bereits eingegangen.

Übrigens war nicht nur das Wasser von oben der Kirchenhülle abträglich, sondern auch jenes von unten. Der Grundwasserstand ist stark abhängig vom umliegenden Grabensystem. Weshalb die IDK-Experten raten, die Entwässerungsgräben unbedingt regelmäßig zu pflegen. Vor allem nach den Elbehochwassern von 2002 und 2013 war der Grundwasserpegel hier arg angestiegen. Weshalb denn vom Institut auch geraten wird, immer den Abfluss der Fluten zu gewährleisten.