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Blumenstrauß Klietzer vermittelt Grundwissen

Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, muss sich an den anderen Lebensstil anpassen. Ein Klietzer vermittelt ihnen wichtige Grundlagen.

Von Ingo Freihorst 09.07.2016, 01:01

Klietz l „Guten Morgen!“ – Mit diesem lauten und deutlichen Gruß betritt Werner Grabolle das Verpflegungszelt der Landesaufnahmeeinrichtung (LAE) in der Klietzer Bundeswehrkaserne. Hier bringt er derzeit Flüchtlingen aus Burkina Faso, Afghanistan, Eritrea, Benin, Syrien, dem Irak sowie Kurden die deutsche Sprache bei. Zwischen 10 und 12 Uhr wird hier täglich Deutschunterricht gegeben, der Klietzer hatte dies im Winter sogar schon bei Minusgraden erledigt.

„Werner Grabolle steht für die ehrenamtliche Arbeit in der LAE, stellvertretend für Ans, Maggi, Christiana, Elisabeth, Sandra, Martina, Ina und auch Flüchtlinge selbst“, begründete Grit Woywod vom DRK, welches das Lager betreibt, ihren Vorschlag für den Blumenstrauß des Monats. „Er ist einzigartig, eben ein Unikat und gehört zu den Pionieren der LAE.“

Werner Grabolle war vom Innnenmisterium bereits im Vorfeld zu Rate gezogen worden, als ehemaliger Kommandant kannte er sich in der Kaserne bestens aus und gab Hinweise zur Einrichtung der LAE. Wichtig war ihm, dass der militärische Teil erhalten bleibt. Eigentlich waren zwei Wochen Vorbereitungszeit zugesagt worden, doch drei Tage nach diesem Gespräch kamen die ersten Busse in Klietz an. Es musste also rasch improvisiert werden, der erste Unterricht fand im Freien statt, eine Hauswand diente als Tafelersatz, im Chor wurde das deutsche Alphabet gesprochen. Später wurde in einem unbeheizten und undichten Zelt unterrichtet – und eben auch bei Frost.

Dem Klietzer war vom Land auch ein Vertrag angeboten worden, doch er wollte ehrenamtlich und damit unabhängig bleiben. „So bleibe ich loyal und kann auch Missstände ansprechen“, begründete er. Zweimal in der Woche ist er derzeit in der Unterkunft.

Seine Unterrichtsmaterialien hat er sich im Internet alleine zusammengesucht, alles musste schließlich im Zuge der Flüchtlingswelle neu „erfunden“ werden. Inzwischen ist er mit Laptop und Beamer gut ausgestattet, die Technik hat das DRK gestiftet.

Werner Grabolle spricht lieber von „Orientierungsunterricht“, denn neben der Sprache werden vor allem wichtige Grundlagen des Lebens in der neuen Heimat vermittelt: Grundgesetz, Straßenverkehrsordnung und Verkehrsmittel, Gleichberechtigung der Geschlechter, Arbeitsmarkt, Geld, Respekt, Glaubensrichtungen, Schulwesen und Steuersystem sind nur einige Beispiele. Seine gesamten Unterrichtsmaterialien trägt er um den Hals: ein USB-Stick, auf dem alles gespeichert ist.

Allerdings: Die Teilnahme am Unterricht in der LAE ist für die Flüchtlinge freiwillig. Im Ramadan war der Unterricht so nur zum Ende hin von 40, 50 Campbewohnern besucht. Die gute Vorbereitung in Klietz hilft ihnen später bei der Eigenständigkeit nach dem Transfer: Sie können dann die Integrationspflichtkurse überspringen und somit gleich am Deutschunterricht teilnehmen. So absolviert beispielsweise der Syrer Motafem jetzt inHamburg bereits seine A2-Deutsch-Prüfung.

Um 12 Uhr fällt jedoch nicht der Hammer, viele schwere Lebensschicksale lernte der Klietzer so nebenbei ebenfalls kennen. Weil er im Ort gut vernetzt ist, besorgte er unter anderem Lehrmaterialien wie Hefte und Stifte über den Feuerwehr-Förderverein, wo er ebenfalls Mitglied ist. Denn da dieser Unterricht in der LAE keine Pflicht ist, gibt es dafür vom Staat auch kein Geld.

Als ehrenamtlicher Lehrer hilft es ihm bei den Flüchtlingen, dass er ein Mann ist, eine kräftige Stimme hat – und dass er älter ist. Denn das Alter wird in diesen Kulturkreisen noch respektiert, anders als in Deutschland, berichtet er. Zugute kommt ihm außerdem, dass er über Monate selbst mit der Bundeswehr in Afghanistan war und so die dortigen Mentalitäten bereits kennt.

Ferner mobilisiert Werner Grabolle andere Klietzer, um an Spenden wie Kinderwagen, Koffer oder Bekleidung zu gelangen. „Allein durch das Spenden von Nähmaschinen, Stoffen und Wolle konnten wir vielen Frauen eine große Freude bereiten“, berichtete Grit Woywod.

Seine jüngste Aktion war die Auftritte der Marionettenbühne vom GuM aus Briest, an zwei Tagen vermittelten die Marionettenspieler vor allem den jüngsten Flüchtlingen die deutsche Sprache. Die Kinder waren begeistert – damit hatte Werner Grabolle wieder das erreicht, was er wollte.