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Havelberger Friedhof Ein Streifzug in die Stadtgeschichte

Wer sich für die lokale Historie interessiert, wird oftmals auf Friedhöfen fündig. Ein Eldorado ist der alte Stadtfriedhof.

Von Ingo Freihorst 25.09.2015, 01:01

Havelberg l Deutschlandweit wurde am 19. und 20. September der „Tag des Friedhofs“ begangen, in diesem Jahr unter dem Motto „Gemeinsam statt einsam“. In vielen Orten fanden dazu Aktionen statt – so auch in Havelberg. Holger Schulz und Ulrich Gruber, die sich seit Jahren aufopferungsvoll um den alten Stadtfriedhof kümmern, hatten dazu am Sonntagnachmittag zu einem Rundgang eingeladen.

Schon am Eingang fällt der imposante riesige Pavillon auf. Holger Schulz informierte über dessen Zweck: Früher wurden die Verstorbenen auf einer Pferdekutsche zum Friedhof gefahren, die Pferde waren dabei komplett in schwarze Umhänge mit Puscheln gehüllt. Hier am Friedhofseingang befand sich somit der Unterstand für Kutsche und Zugtiere.

Holger Schulz hatte auch einen städtischen Lageplan aus dem Jahre 1854 mitgebracht, auf dem die Friedhöfe verzeichnet waren. Jener in der Pritzwalker Straße hieß darauf „neuer Stadt-Kirchhof“. Der alte Kirchhof befand sich laut Karte neben dem „sogenannten Jungfern-Kirchhof“.

Auf dem Kirchhof konnte sich damals nicht jeder beerdigen lassen, nur das Bürgertum. Außen vor blieben Mägde, Knechte, Gesinde, Tagelöhner und Einlieger – letzteres war jemand, der zur Miete wohnte. Selbstmörder oder Kriminelle landeten vor den städtischen Toren auf dem Schindanger – für sie war in der christlichen Erde kein Platz. Eine Beerdigung auf dem Stadtfriedhof kostete damals einen Taler für eine große Leiche, Kinder wurden für 13 Silbergroschen beerdigt. Damals war die Kindersterblichkeit noch recht hoch.

Rechts neben dem Pavillon stehen mehrere Gedenksteine, auf denen sich allerhand Schrift befindet. Anfertigen ließ diese Olga Oehlke – den Havelbergern besser als „Zicken-Olga“ bekannt. Die alte Dame, die noch im hohen Alter immer in Gummistiefeln und mit einem Handwagen unterwegs war, hatte keine Erben und ihr Geld halt in die teuren Steine invesiert.

In alten Urkunden hatte Holger Schulz erfahren, dass die hier ebenfalls bestattete Elise Hartmann einst an „Lungenerweichen“ verstorben war – er nimmt an, dass diese Krankheit die Schwindsucht gewesen war.

Ein großes schwarzes Grabmal erinnert an Otto Hollefreund, welcher von 1834 bis 1894 lebte. Er war der erste Wehrleiter in der Domstadt, hatte sich nach einem Aufruf der Stadt im Mai 1877 an die Spitze der Turnerfeuerwehr gestellt. 70 Männer – hauptsächlich Handwerker und Gewerbetreibende – schlossen sich der freiwilligen Truppe an.

Beerdigt ist auf diesem Friedhof auch ein Havelberger, der es zu Lebzeiten sogar zu einiger Berühmtheit gebracht hatte: Der Maler Christian Wilberg. Darüber informierte Heimatforscher Helmut Knopf. Wilberg wurde in der Domstadt 1839 geboren und war bis 1861 als Stubenmaler tätig. In Berlin widmete er sich dem Studium der Perspektive und Architektur und wurde Architektur- und Landschaftsmaler. Bekannt wurden vor allem seine ­italienischen Landschaftsporträts oder Reproduktionen antiker Denkmäler. Er starb auf einer Reise nach Paris im Jahre 1882.

Dass auf dem Friedhof noch so viele alte Grabmale erhalten blieben, sei wohl der Nachlässigkeit der damaligen kirchlichen Friedhofsverwaltung zu verdanken, erklärte Holger Schulz. So sind jetzt interessante Streifzüge in die Stadtgeschichte möglich. Auch wurden beim Säubern des Areals einige Gruften gefunden, sie waren lediglich mit Stahlplatten abgedeckt.

Dank einer Spende des Ex-Havelbergers Karl-Friedrich Block konnten Trauerhalle und die angrenzende Mauer angeputzt werden – letztere wurde dabei mit Grabsteinen verziert. Oftmals ist darauf auch die Berufsbezeichnung zu lesen – wie beim 1945 verstorbenen Fleischermeister Richard Leue.