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Havelstau Polder-Landwirtschaft muss sich rechnen

Alle Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist beim Havelstau ein Ding der Unmöglichkeit. Die Stauziele sind immer ein Kompromiss.

Von Ingo Freihorst 16.04.2018, 01:01

Havelberg l Vor kurzem tagte – wie bereits berichtet – in der Hansestadt Havelberg der sogenannte „kleine Havel-Staubeirat“, welcher Vorschläge und Hinweise aus dem Havelwinkel für die nächste Sitzung des „großen“ Staubeirats sammelt, welcher in der Stadt Brandenburg tagen wird. Hierbei werden die Stauziele für die Untere Havel für dieses und das erste Halbjahr 2019 festgelegt.

Das Jahr 2017 war ein eher feuchtes Jahr gewesen, konstatierte zu Beginn der Sitzung Dr. Wilko Trapp vom Umweltamt des Landkreises. Das Frühjahr war relativ trocken, im Juni und Juli fielen jedoch Spitzenwerte von knapp 150 Liter (gemessen vom Garzer Landwirt), der Rekord wurde im Juli in Havelberg gemessen: Fast 160 Liter Niederschlag auf den Quadratmeter. Während der September und der Dezember unter dem langjährigen Mittelwert blieben, lagen Oktober und November darüber.

Seit 1961 werden die regionalen Niederschläge erfasst, der Mittelwert liegt bei 568 Millimetern pro Jahr. In Garz waren es im Vorjahr 725 und in Havelberg 674 Millimeter – hierbei fallen die regionalen Unterschiede ins Auge. Entsprechend gestaltete sich der Durchfluss der Havel, welcher im Sommer und zum Jahresende weit über Normal lag.

Vor allem auch zum Jahresende gab es auch von den Nebengewässern wie Rhin, Dosse und Jäglitz erhebliche Zuflüsse. Das Stauziel wurde verlassen und Sommerstau gefahren, um die landwirtschaftlichen Flächen zu entlasten. Trotz der hohen Niederschläge wurde erstaunlicherweise kein Anstieg des Grundwassers beobachtet.

Beim Stauregime für die Havel wird seit 2016 auf Antrag des mit der Renaturierung beauftragten Naturschutzbundes Nabu ein durchflussabhängiges Staukonzept gefahren. Dieser Probebetrieb soll wegen der besseren Bewertung drei Jahre in Folge geschehen, dann will der Nabu eine Auswertung vornehmen, erklärte Rocco Buchta, Nabu-Projektleiter für die Havelrenaturierung.

Ab der Staustufe Bahnitz wird die Havel nunmehr auf diese Weise reguliert: Für jede Staustufe wurde ein mittlerer Durchfluss aus den zwischen 1956 und 2010 erfassten Daten errechnet. Liegt der Durchfluss mehr als 20 Kubikmeter je Sekunde darüber, wird das Normalstauziel abgesenkt. Liegt der Durchfluss hingegen 20 Kubikmeter unter dem Mittelwert, wird das obere Stauziel angesteuert. Das erfolgt jedoch nicht umgehend, es wird immer der Mittelwert der letzten fünf Tage herangezogen. So blieb man zum Beispiel in der Haltung Havelberg im Herbst bis zu 45 Zentimeter unter dem vorgegebenen Stauziel.

Problematisch wurde es vor allem im Juli, als im Berliner Raum um die 150 Liter Regen auf einen Quadratmeter niederfielen, berichtete Joachim Karp vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rathenow. Der Pegel in Spandau stieg danach rasch um fast einen Meter.

Obwohl wegen der hohen Durchflüsse die unteren Stauziele angesteuert worden waren, hatten die Landwirte im Einzugsgebiet arge Probleme. Eine Mahd sei wegen der nassen Wiesen bei ihm im Vorjahr nicht möglich gewesen, erklärte der Wöplitzer Landwirt Hartmut Fritze. Bei der Stauhaltung würden die Interessen der Landwirte nicht berücksichtigt, ärgerte er sich.

Durch den Stau der Havel entstehe den Landwirten Schaden an ihrem Privateigentum, argumentierte Justitiar Edgar Grund vom Bauernverband des Landes Sachsen-Anhalt. Sie könnten von den Verantwortlichen als Konsequenz Schadenersatz verlangen.

Dass – wie Hartmut Fritze kritisierte – die Jäglitz nicht unterhalten werde, sei nicht der Fall, entgegnete Alexander Helm vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz LHW. Der Havelzufluss sei sogar mehr als in den Vorjahren gekrautet worden, vor allem der letzte Kilometer vor der Mündung. Auch wurden an beiden Ufern Durchstiche vorgenommen.

Dass die landwirtschaftlichen Flächen oft unter Wasser stehen, ist auch der Moordegradierung in der Region geschuldet. Bis weit in die Neuzeit war das Luchland an der Unteren Havel vermoort und stand oftmals oder stetig unter Wasser. Das Anlegen der Mühlenstaue und die Eindeichung der Elbe beförderten die Vermoorung.

In der DDR hingegen wurde in den Poldern immer bei Bedarf gepumpt, so dass die Degradierung – also das Schrumpfen der Moorflächen – wegen des Wassermangels rasch fortschritt. Einige Flächen liegen heute bis zu anderthalb Meter tiefer als früher, so dass in den Gräben das Wasser nicht mehr in die Havel abfließen kann.

Der Landkreis hat eine entsprechende Untersuchung in Auftrag gegeben, welche in der nächsten Zeit auf einer Veranstaltung ausgewertet wird, informierte Wilko Trapp. Zum Beispiel ist der Sommerstau heute fast 30 Zentimeter niedriger als 1923. Erschwerend hinzu kommt, dass das Wasser durch die ausgetrockneten Moorschichten („Aschehorizont“) auch nicht mehr nach unten abfließen kann.

Um die Auswirkungen der Stauhaltung auf die Landwirtschaft besser beurteilen zu können, wurden an einigen Stellen – wie dem Kleinen Werder bei Garz, dem Polder Warnau, bei Vehlgast, Jederitz und Schollene – Referenzflächen ausgewählt. Diese wurden regelmäßig aufgesucht und der Bearbeitungszustand protokolliert. In Schollene konnte die Mahd erst im September erfolgen, in Warnau und Garz war am 30. Mai hingegen alles gemäht. Im Polder bei Vehlgast war das Phänomen zu sehen, dass die tiefsten Flächen trotz nur halbvoller Gräben vernässt waren – hier floss einst die Elbe entlang.

Derzeit stehen bei ihm um die 200 Hektar unter Wasser, berichtete der Damerower Landwirt Bernd Flader. Die alten Elbläufe waren einst bis in den Sommer nass, weshalb in der DDR oftmals gepumpt wurde, erklärte Rocco Buchta dazu.

Moore waren für den Landwirt am besten, wenn man diese in Ruhe ließ, informierte Arno Isecke aus Warnau. Damals erwirtschaftete man auf Moorböden gute Erträge, heute sind die auf den vernässten Flächen wachsenden Pflanzen unbrauchbar.

Wenn die gesamte Oberfläche wegen der Moordegradierung absackt, kann das Wasser durch die Gräben mangels Gefälle nicht mehr wegfließen. Man müsste die Gräben um einen Meter vertiefen, was aber nicht möglich ist, erklärte Peter Haase vom Naturpark Westhavelland. Mit der Entwässerung sackte die Oberfläche um etwa 30 Zentimeter ab, ein Ende ist nicht in Sicht.

Deutlicher wurde der Garzer Landwirt Jens Köpke: Die Zuschüsse fürs Grünland wurden gestrichen, ab 2021 werden die Beihilfen halbiert. Wenn ein Landwirt in den Poldern keine Erträge mehr erwirtschaftet, wird es dort keine Landwirtschaft mehr geben. Wegen der Stauhaltung sterben die guten Gräser ab – da bleibe wohl nur der Klageweg, ergänzte Hubert Aselmeyer.

Ob man denn den Winterstau nicht schon vor dem 15. Juni beenden könne, wollte Jens Köpke wissen. Das sei für die Landwirte sehr spät.

Dazu gab es Untersuchungen, antwortet Peter Haase. Dieser Termin wurde vor langer Zeit mit den Landwirten abgestimmt – schon damals als Kompromiss. Auch in alten Chroniken wurde der 16. Juni erwähnt. Die Vorgabe berücksichtigt nicht nur die Vogel- sondern auch die Fischbrut sowie das komplette Ökosystem der Flussaue. Insekten widerum seien als Bestäuber auch für den Landwirt wichtig.

Diesen Termin geben auch die Fördermittelgeber der Landwirtschaft vor, informierte Wilko Trapp. Als Naturschützer hätte er mit einem frei fließenden Fluss kein Problem. Die dynamische Stauregulierung sei schon mal ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Vorgaben seien sehr starr.

Im Prinzip entsprechen die beantragten Stauziele denen aus den vergangenen Jahren. Vom 31. August bis 24. September soll der Wasserstand etwas höher bleiben, da der Elbe-Havel-Kanal gesperrt ist und die Havel als Umleitung dient. Der flexible Probestaubetrieb soll auf Antrag des Nabu fortgeführt werden, der Warnauer Fischer Sven Ahlendorf bat um einen Wasserstand von 1,5 Metern am Polder Warnau.

Für die Landwirte war der Ausgang der Sitzung unbefriedigend. „Warum sitzen wir überhaupt hier?“ fragte Jens Köpke in die Runde. „Wir dürfen gar nichts mehr, obwohl es unser Eigentum ist“, meinte Arno Isecke. „Diese Stauregelung nimmt auf die Landwirtschaft keine Rücksicht“, konstatierte Edgar Grund.

Bernd Flader beantragte am Ende sogar eigene Stauziele. Statt erst ab Mitte Juni verlangte er schon ab Mitte März einen Wasserstand von 1,4 Metern. – „So etwas ergibt wasserwirtschaftlich keinen Sinn!“ konterte Joachim Karp umgehend. Allen Ansprüchen gerecht zu werden, sei wie die Quadratur des Kreises – es ist einfach nicht möglich.