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Kirchsanierung Epitaphe kommen unter die Haube

Das Mauerwerk der Sydower Kirche wird trocken gelegt. Das erfolgt natürlich nicht nur von außen , sondern auch im Innern.

Von Ingo Freihorst 22.11.2020, 00:01

Sydow l Könnten die an der Sandstein-Kanzel angebrachten Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes sehen, würden sie jetzt wahrscheinlich blinzeln: Die sonst im Dämmerlicht liegende halbrunde Apsis der Sydower Kirche ist in gleißendes Licht getaucht. Ein Scheinwerfer sorgt dafür, dass die Restauratoren Valeria Mamczynski Guerizoli – sie wohnt in Barcelona – und Tom Zimmermann aus Potsdam jedes Detail bei ihrer Puzzle-Arbeit erkennen.

Denn das ist wichtig: Sie entfernen die neueren, hellblauen Farbschichten, um die darunter liegenden alten Bemalungen der Sydower Kirche freizulegen. Das erfolgt sorgfältig Millimeter für Millimeter mit dem Skalpell für die festeren Farbbestandteile, die pudrigen werden mit verschieden großen Glasfaser-Radierern beseitigt. Verdeckt sind die alten Zeichnungen durch Kalk- und Leimfarben, welche bei späteren Sanierungen aufgetragen wurden. So wurde die Kirche von 1880 bis 1890 im oberen Innenteil ausgemalt.

Tom Zimmermann hatte hier 2007 für eine faustdicke Überraschung gesorgt: Vom „Geschichtskreis und Marionettenbühne Wulkow-Wust“ (GuM) war er beauftragt worden, stichprobenartig Farbschichten abzutragen. Am mittleren Fenster in der Apsis entdeckte er daraufhin eine Bemalung, welche in Norddeutschland einzigartig ist: Eine dreidimensionale Imitation einer Natursteindekoration.

Genau dieses Fenster weist von außen ebenfalls eine seltsame Besonderheit auf: Das Mauerwerk ringsum scheint bei ihm aus dem Lot geraten zu sein. Man könnte meinen, der weltberühmte Architekt Friedensreich Hundertwasser hätte sich hier inspirieren lassen.

Auch am Aufgang zur Kanzel wurden alte Zeichnungen entdeckt, ein Fisch und Weihekreuz. Sie schätzt der Restaurator auf etwa 600 Jahre. Das muss noch vor dem Einbau des Fensters dort erfolgt sein, als sich hier noch eine Priesterpforte befand. Denn auch deren Fassung wurde bemalt.

Konserviert und gesichert werden die alten Bamalungen, weil der untere Putz im Kirchenschiff ringsum erneuert wird. Vor Jahren war der Zementputz abgeschlagen wurden, das Wasser lief aus den Wänden. Denn Zement lässt Feuchtigkeit nicht hindurch, erklärte der Restaurator. Jetzt werden die Mauersteine mit offenporigem Kalkmörtel verputzt, wodurch Feuchtigkeit auch verdunsten kann. Probeweise waren vor Jahren verschiedene Putzmischungen aufgetragen worden, die beste wurde nun auserkoren.

Die Kirche steht schon seit 2010 unter Beobachtung. Denn sie war nicht das einzige Gotteshaus mit Nässeschäden. Das Institut für Denkmalpflege und Diagnostik an Denkmalen aus Dresden (IDK) hatte die Kirche als Pilotprojekt auserkoren, um verschiedene Alternativen zur nachhaltigen Trockenlegung zu testen. Gefördert wird das Projekt deshalb auch von Bund und Land.

Die Fassade ist derzeit fast komplett neu verputzt, der etwa 70 Jahre alte graue Außenputz wurde durch Glattputz ersetzt, wobei der Sockelputz vom oberen Putz getrennt ist. Vorm Anputzen wurden etliche marode Ziegelsteine ausgewechselt. Die Faschen um die Fenster sind nun umlaufend.

Die Nordseite wird nun durch eine Dachrinne vor Nässeschäden geschützt, zudem wird neben dem Fundament auf der Nord- und Südseite Stampflehm als „Wasserzwischenspeicher“ eingebracht – das wird in Kürze beginnen. Die klassische Schwarzbeschichtung erfolgt am Fundament der Apsis. In dem Bereich wird das umlaufende Kiesbett etwas tiefer angelegt. Ferner wird die Mauer hier hinterlüftet. Die Entwicklung der Nässeschäden wird vom IDK natürlich weiter beobachtet, bei Bedarf wird korrigiert.

GuM-Vorsitzender Hans Schulz und die auch für Sydow zuständige Pfarrerin Rebekka Prozell aus Jerichow hatten sich in der Kirche eingefunden, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu informieren. Der GuM sorgt für den Unterhalt von sechs Kirchen im Kattewinkel, die Gum-ler hatten unter anderem das Baufeld vorbereitet, indem sie den Rosenstock ausgruben und das Spalier entfernten. Auch wurde die Rüstung zum Reinigen und Streichen der Fenster genutzt. In diesem Jahr wurden zudem drei neue Apsisfenster eingebaut, welche der GuM finanziert hatte. Übrigens wie schon die Kirchentür „Made in Sydow“ – hergestellt vom örtlichen Tischlermeister Dietmar Wiek.

Doch damit ist es hier noch nicht getan, wie Hans Schulz erklärte. Der GuM wird auch die Bedachungen für die beiden Epitaphe bezahlen, welche den Eingang zur Kirche säumen. Als es hieß, die Fassade werde neu verputzt, stellte sich die Frage, was mit den beiden mittealterlichen Gedenktafeln geschehen soll, berichtete der Vereinsvorsitzende. Denn ihr Zustand ist schon lange nicht mehr der beste, ein Dach über ihren teils schon unkenntlichen Köpfen würde den weiteren Zerfall stoppen.

Angenommen wird, dass die Gedenktafeln zuerst auf dem Boden im Kirchenschiff lagen und danach an der Kirchenwand aufgestellt wurden. Schon Pfarrer Nachtigall schrieb in seiner Sydower Chronik von 1892, dass die Grabsteine der Hopkorfschen Familie aus dem 16. und 17. Jahrhundert „zum Teil stark verdorben“ seien.

Die Epitaphien sollen nicht nur überdacht, sondern auch konserviert werden. Zu letzterem wird nun ein Angebot erstellt. Besonders die linke der lebensgroßen Figuren hat arg gelitten, der Sandstein ist regelrecht abgeplatzt, das Gesicht kaum noch vorhanden. Schuld daran ist die spezifische Zusammensetzung dieses Sandsteins, welcher Feuchtigkeit aufnimmt und wieder abgibt.

Vorher verdeckte der Altaraufsatz den Blick auf die Apsisfenster. Er wird künftig dort stehen, wo sich einst die Patronatsloge befand – auch die vier Evangelisten stehen dann nicht mehr im Halbdunkel.