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Sommerschule Flötenmusik auf höchstem Niveau

Mit zwei weiteren Abendveranstaltungen interessierte die Wuster Sommerschule ihre Gäste für Kunst und Musik.

Von Susanna Kramarz 29.07.2019, 13:13

Wust l Dieses Mal standen beim Vortrag und Konzert in Speicher und Kirche Hans Herrmann von Katte und Kronprinz Friedrich Wilhelm I. im Mittelpunkt.

Hilfe, der König kommt: „Katte ergriff Flöte und Noten und sprang mit Quantz beiseit, um sich zu verstecken“, beschreibt Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ eine brenzlige Situation am preußischen Hof. Was war passiert? Kronprinz Friedrich, sein enger Freund Hans Herrmann von Katte und sein vom Vater verbotener Flötenlehrer, der Komponist Johann Joachim Quantz, waren – es war um das Jahr 1729 – beim Musizieren von König Friedrich Wilhelm I. überrascht worden. Der entwickelte eine grenzenlose Wut, wenn er seinen Sohn beim Musizieren erwischte, weil er Musik und Literatur für völlig überflüssig hielt. Der König, der auch der „Soldatenkönig“ genannt wird, hatte unmittelbar nach der Begräbnisfeier für seinen Vater, Friedrich I., mit einer gnadenlosen Entrümpelung des höfischen Lebens begonnen, um stattdessen einen funktionierenden Staat mit einer schlagkräftigen Armee aufzubauen. Musizieren war für ihn geradezu ein staatsfeindlicher Akt, und er war zudem bereits von Kindesbeinen an jähzornig und gewalttätig gewesen. In dieser Situation hatten sich der 14-jährige Friedrich und der 20-jährige Hans Hermann beim Militär kennengelernt und teilten fortan ihre Leidenschaft für Literatur und Musik.

Kurz nach der von Fontane geschilderten Episode eskalierten die Spannungen zwischen dem Kronprinzen und seinem Vater; Friedrich plante seine Flucht, die bekanntermaßen in einem Desaster und mit dem Tod Hans Hermann Kattes endete.

Wie die Musik klang, die Kronprinz Friedrich (1712–1786) und Hans Herrmann von Katte (1704–1730) zusammen spielten, und welche Stücke das vielleicht gewesen sein könnten, das zeigten Anne-Kathrin Ludwig aus Leipzig mit Block- und Traversflöte und Dr. Harald Schäfer aus Dülmen am Cembalo bei ihrem Konzert in der Dorfkirche zu Wust mit Ins­trumenten, die denen zu Beginn des 18. Jahrhunderts sehr nahe kommen.

Bereits am Abend vor diesem Konzert hatte Harald Schäfer im Speicher einen Vortrag über „Hans Hermann von Katte und die Liebe zum Flötenspiel“ gehalten. Ausführliche wissenschaftliche Recherchen in Archiven und Bibliotheken steckten in diesem Vortrag und in dem Konzert, viele musikalische Entdeckungen, die Arbeit mit zahlreichen handschriftlichen Noten aus dem 18. Jahrhundert, die von Harald Schäfer zum Teil überhaupt erst les- und spielbar abgeschrieben und werkgetreu bearbeitet werden mussten: „Etwa 600 Seiten Noten habe ich für den Vortrag und das Konzert aus alten Quellen abgeschrieben und dadurch für heutige Musiker spielbar gemacht.“

So wurden drei der Stücke in Wust vielleicht erstmals seit 300 Jahren aufgeführt. Diese Noten sind inzwischen auf einem Musikportal (imslp.org) veröffentlicht und stehen damit frei zum Musizieren zur Verfügung.

Anfang des 18. Jahrhunderts war die Blockflöte weit verbreitet; das Konzert begann deshalb mit einem Blockflötenkonzert eines unbekannten Meisters aus der Zeit vor 1710, um mit dieser frischen Komposition auf die Kindheit und Jugend Hans Hermann von Kattes einzustimmen. Bekannt ist, so erläuterte Harald Schäfer, dass Hans Hermann im Alter von 13 bis 17 Jahren in Halle im angesehenen Pädagogium zur Schule ging, in das adlige Jugendliche von weither geschickt wurden. Hier erhielt er vermutlich Unterricht auf der Traversflöte, der Vorgängerin der heutigen Querflöten. Schon mit 16 Jahren soll er, so ist es in der Familie von Katte überliefert, Werke von Telemann und Händel virtuos gespielt haben, und später sollte ein Regimentskommandeur über ihn schreiben, er werde nicht recht klug aus ihm, ohne Tadel „scheint er mir nur zu Pferd oder auf der Flûte traversière“, der Traversflöte.

Im Konzert in der Wuster Kirche folgte eine Sonate für Traversflöte, die der italie­nische Komponist Arcangelo Corelli (1654–1713) in Rom komponiert und seiner Gönnerin Sophie-Charlotte von Brandenburg gewidmet hatte, der späteren ersten Königin von Preußen und Großmutter Friedrichs. Die Folge von vier Tänzen setzte hohes Können der Musizierenden voraus. Sophie-Charlotte spielte Cembalo, und es ist gut denkbar, dass diese anspruchsvolle Folge barocker Tänze auch in ihrem Haus gespielt wurde. Es folgte eine Sonate des italienisch-englischen Komponisten Roberto Valentino (1674–1747), die er einem Baron Christoph Bernhard von Katte gewidmet hat, Hof- und Kammergerichtsrat in Berlin und ein entfernter Verwandter Hans Hermanns, und die ebenfalls im Stil der Zeit zwei Tänze enthielt.

Auch die sehr melodische „Hallenser Sonate“ von Georg Friedrich Händel (1685–1759) und eine weitere virtuose Sonate von Georg Philipp Telemann (1681–1767) hatten direkten Bezug zu der Wuster Katte-Familie, wie Harald Schäfer ausführte. So soll Hans Hermann von Katte im Haus der Mutter von Händel ein- und ausgegangen sein. Zudem ist überliefert, dass am Hallenser Pädagogium, der Schule, die Hans Hermann als Jugendlicher besuchte, Telemann und Händel in regelmäßigen Konzerten gespielt wurden.

Es schloss sich eine Sonate von eben dem Johann Joachim Quantz (1697–1773) an, der, kaum 30-jährig, den Kronprinzen Friedrich unterrichtete, und der von dem geistesgegenwärtigen Katte vor königlichem Zorn gerettet wurde.

Anne-Katrin Ludwig und Harald Schäfer schlossen mit einem ganz besonderen Komponisten: Die letzte Flötensonate war von Friedrich II. selbst komponiert. Der hatte ganz kurz nach seinem Amtsantritt als König – und damit nach dem Tod seines Vaters – die Berliner Staatsoper Unter den Linden bauen lassen, holte seinen früheren Flötenlehrer Quantz und andere angesehene Komponisten an seinen Hof und machte Berlin und Potsdam zu Zentren des Musiklebens in Mitteleuropa. Neben seinen Regierungsgeschäften fand er die Zeit, 121 Sonaten für Flöte, vier Flötenkonzerte, eine Sinfonie und mehrere Arien zu komponieren und selbst über Jahrzehnte virtuos Querflöte zu spielen.

Jede einzelne der Kompositionen, die Anne-Kathrin Ludwig und Harald Schäfer in Wust aufführten, hatten damit einen engen, direkten Bezug zur Adelsfamilie derer von Katte und ihrer Geschichte, speziell zu Hans Hermann von Katte.

Das Konzert zeigte auch auf, mit welcher Begabung und auf welchem hohen virtuosen Niveau die Adligen und der preußische König ihre Instrumente gespielt haben. „Musik und das Musizieren hatten zu jener Zeit einen sehr hohen Stellenwert“, so Anne-Kathrin Ludwig. „Wir freuen uns, dass wir auf Einladung der Sommerschule und mit Unterstützung des Geschichts- und Marionettenkreises des Kirchspiels Wust-Wulkow die Gelegenheit hatten, diese wunderbaren und teilweise unbekannten Stücke mit ihrem Wuster Bezug hier präsentieren zu können.“ Das Publikum bedankte sich für das überwältigende Konzert und die reichhaltigen Informationen mit begeistertem und anhaltendem Applaus.