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Sommerserie Lebensweg einer deutschen Polin

Sie leben hier- doch ihre Wiege steht oft weit entfernt. Heute in der Sommerserie: Die Klietzerin Liliana Wolny wuchs in Polen auf.

Von Ingo Freihorst 02.08.2019, 01:01

Klietz l Die spätere russische Monarchin Katharina die Große wuchs im polnischen Stettin auf – ebenso die Klietzerin Liliana Wolny, welche damals noch mit Familiennamen Zak hieß. Der Punkt über dem Z bedeutet, dass der Buchstabe wie das J bei Jaques gesprochen wird. Das ist eine von vielen Schwierigkeiten der polnischen Sprache, welche überdies sieben Fälle aufweist. Von wegen „deutsche Sprache, schwere Sprache“, Polnisch kann da mithalten. So wird das C wie ein deutsches Z gesprochen und das Z wie ein S. Stehen hingegen beide Buchstaben zusammen (cz), wird dies wie „tsch“ in Peitsche gesprochen.
Liliana Wolny ist nun schon seit zehn Jahren Klietzerin, sie besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft. Geboren wurde sie in Legnica in der Nähe von Wroclaw (Breslau) – das durchgestrichene L wird als W gehaucht. Aufgewachsen ist Liliana in Szczecin an der Oder. Die Stettiner Altstadt wurde im Krieg arg zerstört, alte und neue Gebäude fügen sich nun hier harmonisch zusammen. „Es gibt viele Angebote für Touristen, wie die neue Philharmonie mit toller Akustik, Schiffsausflüge, Museen oder schöne Restaurants“, schwärmt die Polin von ihrer alten Heimatstadt. Wie in Hamburg wurden auch an der polnischen Oder alte Speicher umfunktioniert.
Weil ihr Vater zur See fuhr, lag es nahe, dass sie Hochseefischerei studierte, das Studium beendete sie als Magister-Ingenieur. Während dieser Zeit beteiligte sie sich 1984 an einem Wettbewerb, welchen sie mit einem sehr guten Ergebnis abschloss. Der Gewinn war ein einmonatiger Aufenthalt in einem Land ihrer Wahl: Mit Studenten aus diversen Ländern betreute sie Ferienkinder in England. Die Zugfahrt dorthin führte über Westberlin, wo sie einen Zwischenstop einlegte – und ihren künftigen Mann kennenlernte, ebenfalls Pole.
In Polen herrschte damals zwar schon Reisefreiheit, man benötigte aber eine Einladung, um nach Westberlin zu gelangen. Diese erhielt sie von einem guten Bekannten ihres Freundes, dem mehrfachen Schwimmweltmeister Michael Groß. Die Reisefreiheit im sozialistischen Polen hatte allerdings auch ihre Grenzen: Zur Hochzeit durfte die Familie nicht mit nach Westberlin kommen.
1986 wurde ihre Tochter geboren, zur Entbindung unterbrach sie ihr Studium und fuhr nach Stettin. Nebenbei erwarb sie übrigens auch ein Diplom als Tanzlehrerin. Doch weil sie als solche keine Zeit für ihr Kind gehabt hätte, ging sie in die freie Wirtschaft. Sie spricht wie Deutsch auch fließend Englisch und besitzt Grundkenntnisse in Russisch. Die Ehe wurde 2001 geschieden, im April 2006 lernte sie den Klietzer Lothar Peyer kennen. Die erste Zeit pendelte sie immer ins Elb-Havel-Land, seit zehn Jahren wohnt sie dort.
In Berlin hatte sie unter anderem die Zweigstelle der privat geführten Europäischen Universität für Recht und Verwaltung aus Warschau (EWSPA) aufgebaut, zwei Jahre lang war sie dort tätig. Unterrichtet wird in Polnisch.
Vor sechs Jahren orientierte sie sich beruflich neu: Von der Wirtschaft wechselte sie in den sozialen Bereich. Sie nahm eine Tätigkeit im Asylbewerberheim im brandenburgischen Rathenow auf, wo sie jetzt Heimleiterin ist. Eine elfmonatige Ausbildung zur Migrationsberaterin hat sie bereits absolviert, seit zwei Jahren drückt sie erneut die Schulbank – berufsbegleitend und zumeist online am Rechner: An der Theologischen Hochschule Friedensau studiert sie Sozial- und Gesundheitsmanagement, zwei von insgesamt sechs Semestern hat sie noch vor sich.
Überhaupt ist Liliana Wolny überzeugt, dass die Ressourcen in der Arbeitswelt neu ausgerichtet werden. Lebenslanges Lernen und ein aktives Leben sind auf lange Sicht gesehen der einzige Weg: „Man lernt halt nie aus!“
Zu ihrem aktiven Leben gehört, dass sie möglichst täglich eine Stunde Yoga betreibt. Vor dem Studium hatte sie in Klietz auch eine Frauensportgruppe ins Leben gerufen, doch lässt das Studium dazu aktuell keine Zeit. Wenn sie den „Master of Art“ dann in der Tasche hat, soll auch die Sportgruppe wiederbelebt werden – es gab schließlich schon Nachfragen.
Soziale Kontakte möchte sie trotz der geringen Freizeit nicht missen: Mit anderen Frauen versorgt sie im Wechsel seit einigen Jahren in der Kantine auf dem Klietzer Fußballplatz. Natürlich ist sie wie ihr Freund auch Mitglied im Sportverein Germania. „Beim Sport sind alle sozialen Schichten vertreten, es ist eine schöne Atmosphäre des Beisammenseins“, hat sie erfahren.
Auf dem Land, wo sich fast alle kennen, fühlt man sich nicht so allein wie in der Großstadt. Jetzt fährt sie auf dem Weg zur Arbeit durch die Natur – welche sich im Wechsel der Jahreszeiten verschieden präsentiert – und nicht mehr durch Häuserschluchten. Die herrliche Natur ringsum hat es ihr auch in Klietz angetan, denn sie sammelt gerne Pilze und Kräuter. Auf dem Tisch steht denn auch Wasser mit Holunderblütengeschmack – natürlich selbst hergestellt.
Einen großen Unterschied zwischen Deutschen und Polen kann sie nicht feststellen. Man hat schließlich mit dem Sozialismus eine ähnliche Vergangenheit: Der Zusammenhalt war stark ausgeprägt, man war zufrieden mit dem, was man hatte – und auf Bekanntschaften angewiesen. Die Polen stellen nach den 1,5 Millionen Türken übrigens den zweitgrößten Anteil der Ausländer in Deutschland: Im Vorjahr lebten 860?000 Menschen mit polnischem Pass in Deutschland.
Polen kaufen nicht nur in den Grenzgebieten Häuser – auch in Havelberg wurden schon einige Häuser von Polen saniert. Viele polnische Kinder lernen in deutschen Schulen, es gibt sogar schon polnische Bürgermeister in Deutschland, berichtet die Klietzerin. Städte wie Schwerin werben in Polen offen um Zuzügler.
Polen ist seit 2004 in der Europäischen Union – an vielen größeren Infrastrukturprojekten prangt die blaue Tafel mit den gelben Sternen. Ein gutes soziales Netz wie in Deutschland existiert bei dem östlichen Nachbarn allerdings nicht. Es gibt nur ein geringes Arbeitslosengeld – und das auch nur für wenige Monate. Die einzige polnische Krankenkasse deckt längt nicht alles ab, das Gesundheitswesen ist wie in Deutschland zum Wirtschaftsbetrieb verkommen. Weil die Einkommen in Polen recht bescheiden sind, fällt auch die Rente oft sehr gering aus. Vielleicht auch deshalb arbeiten viele Polen im Ausland.
Wenn das Studium in einem Jahr beendet ist, hat Liliana Wolny auch wieder mehr Zeit für ihre Hobbys: Sie zeichnet gern, beschäftigt sich mit Anthroposophie, Psychologie und Philosophie, liest Werke von Steven Hawkins, Hannah Ahrens und Erich Fromm und tanzt gerne.
„Aber jetzt geht erst einmal das Studium vor!“