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Tradition Quempas: Sandauer singen ihre Weihnacht ein

Eine Tradition, welche nur noch im Norden Sachsen-Anhalts zu finden ist, wird in Sandau seit Jahrhunderten gepflegt: der Quempas.

Von Ingo Freihorst 26.12.2016, 14:00

Sandau l In diesem Jahr waren die Sandauer mit ihrem lateinisch-deutschen Wechselgesang sogar im MDR-Fernsehen zu sehen: Ein Team um Redakteur Stefan Bernschein und Kameramann Patrick Dudka war bei der Generalprobe am Freitagabend zugegen gewesen.

Pfarrer Hartwig Janus betätigte sich als Dirigent – schließlich mussten die Gesänge der Chöre zum richtigen Zeitpunkt einsetzen. Das war nicht so einfach, denn der Männerchor singt seit einigen Jahren wieder wie einst oben auf der Empore. Mit dabei war auch Friedrich Leue, welcher an diesem Tage seinen 70. Geburtstag feierte. An der Orgel spielte der aus Wulkau stammende Sebastian Schulz.

Nicht fehlen durfte beim Dreh das Urgestein Ernst Busse. Der 84-jährige Senior hatte die Proben immerhin 43 Jahre lang geleitet. „Geerbt“ hatte er das Vermächtnis von seiner Tante Emmi Giese, sie war damals krank geworden und so musste Ernst Busse einspringen. Weil sie später starb, blieb das für Sandau so wichtige Ehrenamt an ihm hängen.

In der DDR, wo man ja mit der Kirche nicht viel am Hut hatte, war es mit der Unterstützung nicht weit her. Ernst Busse erinnerte sich, dass es vor allem Probleme gab, wenn Proben an einem 13. Dezember angesetzt waren: Dann war nämlich Pioniergeburtstag – und der ging vor. Auch erinnerte er sich, dass so manch strammer Genosse klammheimlich plötzlich beim Quempas erschien, natürlich ohne Parteiabzeichen. Diese uralte Tradition war ihnen denn wohl doch irgendwie heilig.

Weil er anfangs ausschließlich lateinisch gesungen wurde, muss der Wechselgesang aus vorreformatorischer Zeit stammen. Ernst Busse hatte gehört, dass die Ursprünge sogar bis 1300 zurückreichen.

Ein Havelberger Domdekan – hier wurde der Quempas bis vor etwa 200 Jahren auch aufgeführt – sorgte im 16. Jahrhundert dafür, dass die Quempas-Liturgie für alle Ewigkeit erhalten bleibt: Es war der am 21. September 1517 in Wilsnack geborene Matthäus Ludecus, der 1573 vom Domkapitel zum Domdekan gewählt wurde. Er verband den Gesang aus vorreformatorischer Zeit mit den von Martin Luther eingeleiteten Reformen, die am Havelberger Domstift erst 1561 zu greifen begannen und bis 1581 andauerten. Sein Beitrag war, dass beim Quempas seitdem sowohl lateinische als auch deutsche Strophen gesungen wurden.

Im Jahre 1589 brachte er zwei Bücher über die Liturgie am Havelberger Dom heraus – über das Missale, das Vesperale und das Matutinale. Im Missale enthalten war auch der Text des Quempas, ein Wechselgesang mehrerer Chöre. Der Beginn „Quem pastores laudavere“ (den die Hirten lobten) gab dem frühneuzeitlichen Werk – einer Zusammenstellung zweier Weihnachtslieder – seinen Namen. In Sandau wurde er früher auch „Quampas“ genannt.

König Friedrich II., der „alte Fritz“, hatte im 18. Jahrhundert die Aufführung lateinischer Gesänge verboten. Die Havelberger hielten sich daran, die Sandauer anscheinend nicht. Die Quempas-Aufführungen gestalteten sich regional recht unterschiedlich. In Schlesien sangen vier Knabenchöre den „wenig erbaulichen Text“, wie es damals hieß.

In der „Havelberger Zeitung“ von 1929 ist dokumentiert, wie der Quempas damals in Sandau ablief: Die „allberühmte Quempasfeier“ begann am ersten Weihnachtsfeiertag früh um sechs Uhr, die älteren Jahrgänge der Stadtschule sammelten sich vor dem Eingang. In der Kirche teilten sich die Massen: Diejenigen Jungen, welche bereits den Stimmbruch hinter sich hatten, stiegen auf die Empore, die anderen Mädchen und Jungen schwenkten nach rechts oder links, einen Mittelgang gab es damals nicht. Erst nach dem Quempas fand in den meisten Sandauer Familien die Bescherung statt.

Damals war es Brauch, dass die Liedhefte in der Schule selbst geschrieben wurden, oft waren sie mit Zeichnungen versehen und wurden an die Kinder vererbt. Durch das häufige Abschreiben war im Laufe der Jahre ein „barbarisches Latein“ entstanden, weshalb der Sandauer Oberpfarrer Lobitz erst wieder einen brauchbaren Text erstellen musste.

In der Kriegszeit wurde der Aufführungstag gewechselt: Weil es früh um sechs Uhr noch dunkel war, hätte die erleuchtete Kirche zur Quempas-Aufführung wegen der Fliegerangriffe verdunkelt werden müssen. Doch das ließ sich bei den großen Fenstern schlecht bewerkstelligen, zumal es an Material mangelte. So wurde der Wechselgesang um einen Tag vorverlegt, auf den Heiligen Abend um 15.30 Uhr, da war es noch hell. Und dabei blieb es bis in die heutige Zeit, nur dass jetzt wieder im Dunkeln bei Kerzenschein gesungen wird. Neu ist, dass seit einigen Jahren am Ende „O du fröhliche“ erklingt.