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Literatur Wenn aus der Mutti die Oma wird

Ihr Buch „Sehnsucht, die bleibt“ stellte Meike Schulze-Wührl am Donnerstag in Klötze vor. Darin geht es um Trennungskinder.

Von Tobias Roitsch 20.02.2016, 02:00

Klötze l Ein einziger Satz, ausgesprochen zu einem unpassenden Zeitpunkt, kann manchmal das ganze Leben eines Menschen auf den Kopf stellen. „Unsere Mutti ist auch deine Mutti“ – diese Worte von den Kindern seiner Schwester zu hören, könnte einfach nur ein schlechter Scherz sein.

Doch für eine Frau, die die Klötzer Autorin und freie Journalistin Meike Schulze-Wührl für ihr Buch „Sehnsucht, die bleibt – Trennungskinder erzählen“ interviewt hat, offenbart dieser Satz die bittere Wahrheit. Als Mädchen erfährt sie: Ihre ältere Schwester ist eigentlich ihre leibliche Mutter. Und die Frau, die sie immer für ihre Mutter gehalten hat, entpuppt sich als ihre Oma. Für immer unbeantwortet bleibt jetzt für sie die Frage, wer eigentlich ihr Vater ist. Denn dieses Geheimnis nimmt ihre leibliche Mutter mit ins Grab.

Diese Lebensgeschichte, die so unglaublich klingt, ist ein Kapitel in dem Buch von Meike Schulze-Wührl. Aus diesem hat sie am Donnerstagabend in der Evangelischen Familienbildungsstätte in Klötze für leider nur acht interessierte Zuhörerinnen vorgelesen.

Insgesamt acht solcher Biografien von Trennungskindern finden sich in dem Buch. Die Autorin führte Interviews mit den Betroffenen, die sie mit dem Diktiergerät aufgenommen und anschließend zu Papier gebracht hat. „Im Laufe meines Lebens habe ich immer wieder Menschen kennengelernt, die Trennungskinder sind“, erklärte Meike Schulze-Wührl ihren Zuhörerinnen. Schließlich sei daraus die Idee entstanden, ein Buch über das Thema zu schreiben. Gesprochen hat sie dafür aber nur mit Erwachsenen. Zwischen Mitte 20 bis 50 Jahre waren ihre Interviewpartner alt. „Sie haben eine Rückschau und stellen sich die Frage, was nach der Trennung der Eltern eigentlich mit ihnen passiert ist. Manche finden es bis heute schlimm“, schildert Meike Schulze-Wührl ihre Erfahrungen. Aus ihrem ganz persönlichen Umfeld hat die Autorin aber niemanden interviewt, versichert sie. Die Namen der Betroffenen wurden verändert.

Mit 43 Jahren hat die Frau, deren Mutter plötzlich zur Oma wurde, ihre Geschichte erzählt. Als Mädchen hatte sie erfahren, dass ihre Großeltern sie als Säugling adoptiert hatten. Ihre Mutter, die Tochter der Großeltern, wollte sie nämlich nicht behalten. Schlagartig drängte sich mit den neuen Verhältnissen die Frage auf, wer nun eigentlich ihr Vater ist. Die Antwort darauf blieb die leibliche Mutter für immer schuldig, schwieg bis zu ihrem Tod. Doch die Ungewissheit beschäftigt die Frau noch heute, wie Meike Schulze-Wührl in ihrem Buch schreibt. Allerdings verlief die Suche bisher erfolglos.

Nachdem die Autorin das Kapitel vorgelesen hatte, kam sie mit ihren Zuhörerinnen ins Gespräch. Diese konnten nicht verstehen, wie man in einer Familie mit so einer Lüge leben kann. Diskutiert wurde in der kleinen Runde auch, wann man einem Kind am besten sagen sollte, dass es adoptiert ist. Offen gesprochen wurde ebenfalls darüber, ob eine Trennung der Eltern für Kinder nicht manchmal sogar besser ist.