Jugendweihe Feier in süß-sauer

Ihre private Jugendweihe feierte am Sonnabend die 15-jährige Nelly Ochmann. Die Kuseyerin lebt mit ihrer Familie in Schanghai.

Von Markus Schulze 18.07.2017, 03:00

Kusey l Dutzende Jugendliche haben am 20. Mai im Klötzer Altmarksaal ihre Jugendweihe gefeiert. Gerne wäre auch Nelly Ochmann dabei gewesen. Doch die 15-Jährige, deren Heimat Kusey ist, konnte nicht. Denn ihr Zuhause ist momentan Schanghai. 2015 zog sie mit ihren Eltern Ines und Enrico und der kleinen Schwester Pira (10) in die chinesische Metropole. Ihr Vater arbeitet dort als Ingenieur. Und im Mai standen für Nelly noch Prüfungen auf dem Stundenplan. In Schanghai besucht sie eine internationale Privatschule. Dennoch bekam sie das Versprechen, auf ihre Jugendweihe nicht verzichten zu müssen. Jetzt hat Nelly endlich Ferien. Und so fand am Sonnabendnachmittag im heimischen Garten in Kusey eine Jugendweihe statt. Ganz für sie allein, aber im Beisein von vielen Verwandten und Freunden.

„So etwas hatten wir noch nie. Das ist eine Premiere“, sagt Kerstin Hilbig von der Interessenvereinigung Jugendweihe aus Klötze, die Nelly Ochmann eine Zeremonie im Miniaturformat beschert. Dazu gehört natürlich auch eine standesgemäße Rede. Darin beschreibt Kerstin Hilbig das Leben mit einer Zugreise, inklusive Weichen und verschiedenen Abteilen. „So holprig die Fahrt auch wird, ob du umsteigst oder nicht, es gibt immer wieder Haltegriffe“, verweist die Laudatorin auf die stete Hilfsbereitschaft der Eltern. Im Weiteren spricht Kerstin Hilbig von Passagieren, denen Nelly begegnen werde, und wünscht ihr eine gute Ankunft. Wohin der Zug auch fahren möge. Und natürlich überreicht sie Nelly ein Geschenk samt Blümchen. Genau so, wie es sich für eine echte Jugendweihe gehört.

Nelly war glücklich. Nicht ganz so euphorisch war sie, als der Umzug nach Schanghai im Raum stand. „Im ersten Moment war das ein Schock“, gibt Nelly im Gespräch mit der Volksstimme zu. Immerhin sei sie hier gerade erst auf eine Realschule im Wolfsburger Stadtteil Vorsfelde gewechselt. Und Kusey habe nun mal nur 800 Einwohner. In Schanghai seien es hingegen mehr als 20 Millionen. Ein Landei in der Großstadt? Dieser Gedanke schien zunächst abwegig. Doch Ochmanns haben damals viel miteinander gesprochen, das Für und Wider genau abgewogen. Ein schlagendes Argument sei gewesen, dass der Ortswechsel für den Vater eine große berufliche Chance bedeutete.

Und mittlerweile hat sich Nelly, deren Hobbys das Zeichnen und Gitarrespielen sind, in Schanghai auch bestens eingewöhnt. Ein anderes Leben kann sie sich kaum noch vorstellen. Wenngleich es natürlich gewaltige Unterschiede zu Deutschland und der Altmark gebe. Viele seien ziemlich vorteilhaft, meint Nelly und berichtet, dass in Schanghai schon Teenager in Diskos gehen dürften. Gravierend seien die Differenzen beim Essen. „In Schanghai gibt es viel Reis und Nudeln“, berichtet Nelly, während es ihren Vater besonders freut, dass er sich dort um seine Kinder keinerlei Sorgen machen müsse. So hätten Kinder in China eine hohe Bedeutung. Niemand würde ihnen etwas zuleide tun. Negativ sei hingegen, dass man im Straßenverkehr immens aufpassen müsse. „Klar, da gibt es auch Regeln, aber keiner hält sich daran“, erklärt Enrico Ochmann. Praktisch sei für die Kinder, dass der Schulweg mit einem Shuttle-Bus bewältigt werden könne. Und die Klassenfahrten hätten auf der Privatschule eine ganz andere Qualität, führten auch mal Tausende Kilometer weit weg. Positiv sei des Weiteren, dass man von Schanghai, einem Drehkreuz des weltweiten Flugverkehrs, ruckzuck überall hinkäme, etwa auf die Philippinen oder nach Thailand.

Bemerkenswert sei zudem, dass Nelly ihre Sprachkenntnisse in Schanghai enorm verbessert habe. „Ich denke nur noch auf Englisch. Wenn ich mich auf Deutsch unterhalte, muss ich fast nach den Wörtern suchen“, sagt sie.

In Schanghai bewohnt Familie Ochmann übrigens ein 180-Quadratmeter-Appartement in einem Wolkenkratzer. Darin befinden sich auch Restaurants, ein Schwimmbad und viele weitere Annehmlichkeiten. Die Nachbarschaft besteht vor allem aus Franzosen, Japanern und Koreanern. „Und zwischen den Hochhäusern ist ganz viel Grün. Wie ein Park“, beschreibt Enrico Ochmann das separate Viertel.

Er selbst muss übrigens am 3. August wieder zurück. Seine Frau, die schon gut chinesisch kann und sogar den chinesischen Führerschein gemacht hat, bleibt mit den beiden Kinder noch zweieinhalb Wochen länger in Kusey. Und sind darüber eigentlich auch ganz froh. Denn in Schanghai, wo es monatelang tropisch warm sei, herrsche derzeit „eine Bullenhitze“, wie Enrico Ochmann lächelnd anmerkt.