1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Klötze
  6. >
  7. Jecken tricksten die DDR-Zensur aus

EIL

Karneval Jecken tricksten die DDR-Zensur aus

Mit 330 Mitgliedern ist der Immekather Carnevals Club eine feste Größe im Ort. Seine Anfänge liegen im Jahr 1988.

Von Tobias Roitsch 28.01.2018, 02:00

Immekath l Ein Zuschauer konnte es nicht abwarten: Schon vor der ersten Sitzung des Immekather Carnevals Clubs (ICC) wollte er bei der Generalprobe mit eigenen Augen sehen, was sich die Jecken ausgedacht haben. Und natürlich hören, was so alles gesagt wird. Zum Besuch hatte sich allerdings kein Karneval-Fan angekündigt, sondern ein Mitarbeiter der Abteilung Kultur in der SED-Kreisleitung. Ende der 1980er Jahre wollte in der DDR eben der Staat mitbestimmen, worüber das Volk lacht.

An diese Anekdote aus den Anfangstagen des ICC erinnert sich Rolf Weber. Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Vereins blickt er gemeinsam mit den beiden Mitgliedern des aktuellen Vorstands, Christine Weber und Andrea Wesch, sowie Heidi Randau und Marion Wachtel, die dem Club schon seit vielen Jahren die Treue halten, im Gespräch mit der Volksstimme auf die Geschichte zurück.

So erzählt Rolf Weber über den Kontrolleur weiter: „Er wollte sich angucken, ob auch alles koscher ist, politisch gesehen.“ Weber ist seit Anfang an Mitglied im ICC und führte bis 2008 als Moderator durch das Programm der Sitzungen. So auch bei der ersten Ausgabe vor bald 30 Jahren. Ihr Programm wollten sich die Immekather von staatlicher Seite aber nicht zensieren lassen. Rolf Weber griff deshalb zu einem Trick: „Ich habe noch nicht gesagt, was in meiner Moderation vorkommen wird.“ Gezeigt wurden bei der Generalprobe unter Aufsicht nur die einzelnen Nummern. Zensiert wurde am Ende nichts. Die Sitzung ging über die Bühne: Männer tanzten als Schneeflocken und Spanierinnen verkleidet durch den Saal, lustige Bienchen sangen mit dem Imker.

Sucht man nach dem Startpunkt der ICC-Geschichte, muss man ins Frühjahr 1988 zurückreisen: Damals wurde eine Wette geschlossen, die alles in Gang brachte.

Bei einem Geburtstag, die damalige Bürgermeisterin kam zum Gratulieren, wurde in Erinnerungen geschwelgt. Zur Sprache kam dabei, dass es früher einen Karnevalsverein in Immekath gab. Die Bürgermeisterin soll gesagt haben, dass es einen solchen wohl nicht mehr geben wird. Einer, Uwe Schröder, war anderer Meinung. Eine Wette wurde geschlossen, die Schröder gewinnen sollte. Schon einige Monate später, im Herbst 1988, wurde der ICC gegründet. Zuvor hatte Schröder das ganze Dorf mobilisiert. „Uwe ist von Haus zu Haus gegangen und hat Stoffballen verteilt. Jedem hat er Anweisungen gegeben, was er für Kostüme machen soll“, blickte Heidi Randau zurück.

Im Laufe des Rückblick-Gesprächs sollte Uwe Schröders Name sehr oft fallen. An dem Termin konnte er nicht teilnehmen. Doch als Ideengeber und kreativer Kopf, der den ICC über Jahre geprägt hat, wurde er von seinen Mitstreitern gelobt. Für ihn hätte alles perfekt sein müssen, hieß es. Bis heute wirke Schröder noch indirekt mit.

Das Thema der ersten Sitzung im Februar 1989 lautete „So wie es früher war“. Es bezog sich auf die alte Karnevalstradition in Immekath, die es bis 1960 gab. Zur Auflösung der damaligen Gesellschaft kam es, weil das bunte Treiben über die Jugendorganisation FDJ gesteuert werden sollte, erinnerte sich Rolf Weber. Das wollten aber die Immekather nicht und machten Schluss. Ersatzweise feierte man den Lumpenball.

Die erste Prinzessin der Neuauflage Ende der 1980er Jahre, Karen Lütkemüller, war übrigens die Tochter der letzten Prinzessin der alten Generation. An ihrer Seite saß Fred Paasche. „Die Prinzenpaare mussten damals noch verheiratet sein. Aber nicht miteinander“, wurde im Gespräch erklärt. Neun Nummern wurden einstudiert, der Saal war proppenvoll, wie es hieß. Eine einmalige Geschichte sollte es nicht bleiben.

Schon im Herbst 1989 ging es weiter. Aufhalten ließen sich die Immekather auch nicht vom Lauf der Geschichte. Die Generalprobe für die Feier zur Prinzeneinweihung fiel auf den 9. November 1989, den Tag, als die Mauer fiel. Einige Jecken saßen aber nicht vor dem Fernseher und verfolgten die Nachrichten, sondern bereiteten sich auf die Auftritte vor. „Wir haben von nichts gewusst“, so Heidi Randau über den Abend.

Von Jahr zu Jahr wurden es mehr Auftritte. Erstmals zu fünf Sitzungen wurde 1996 eingeladen. Dazu kamen noch die Prinzeneinführung und ein Umzug. Das hielten die Karnevalisten fünf Jahre lang durch. Dann wurde das Pensum zurückgeschraubt.

In diesem Jahr werden es im Februar drei Sitzungen sein. Aktuell zählt der Club 330 Mitglieder, rund 50 Kinder wirken beim aktuellen Programm mit, weiß Christine Weber. Dass bald Schluss sein könnte, davon sei im Dorf nichts zu spüren. „Einen Generationswechsel haben wir schon gut hingekriegt“, sagt Rolf Weber. „Der Verein bringt die Menschen zusammen“, meint Christine Weber. Die Altersspanne reicht von drei bis 80 Jahren.

Der Verein setzt sich aus verschiedenen Gruppen wie dem Männerballett, den Funken oder den Cheerleadern zusammen. „Es zeigen sich Talente, die man ohne Karneval nicht kennen würde“, sagt Christine Weber. Mit den Planungen für das Programm werde am Gründonnerstag begonnen. Eine Gruppe denkt sich im Vorfeld zwei bis drei Themen aus, über die abgestimmt wird. Die Gruppen entscheiden selbst, wann sie proben. Gegen Weihnachten wird der Stand besprochen.