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Unglaublich Halbes Jahrhundert in einer Firma

Ohne Arbeitslosigkeit durch das Leben zu kommen, ist fast unmöglich. An ein Wunder grenzt, wenn jemand 50 Jahre in einer Firma arbeitete.

Von Siegmar Riedel 02.09.2016, 11:06

Klötze l Eigentlich wollte er nicht Landmaschinen- und Traktorenschlosser werden. Doch am gestrigen Donnerstag arbeitete Günter Lüdecke sage und schreibe 50 Jahre in diesem Beruf. Am 1. September 1966 begann der Klötzer seine Lehre. Wäre das nicht schon bemerkenswert genug, kommt bei ihm noch eine weitere Besonderheit hinzu: Günter Lüdecke arbeitete die folgenden 50 Jahre in einem einzigen Betrieb – der heutigen Milcherzeugergenossenschaft Klötze (MEG).

Ein solches Jubiläum ist auch in der MEG noch nie dagewesen. Deshalb bereitete die Geschäftsführung dem Jubilar am Donnerstag eine Feierstunde. Mit einer kleinen Notlüge hat Geschäftsführer Raimund Punke dafür gesorgt, dass Günter Lüdecke nicht frei genommen hat. „Ich sagte ihm, die Avacon ist heute im Haus, um sich die Biogasanlage anzusehen. Deshalb kann er keinen Urlaubstag nehmen“, lachte Punke. Denn die Biogasanlage ist gewissermaßen seit 15 Jahren das Kind von Günter Lüdecke. Doch der Reihe nach.

Günter Lüdecke gehörte seit 1966 zur damaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Einheit in Klötze, einem Vorgänger der MEG. „Die Lehre absolvierten wir alle bei der Pflanzenproduktion in Kunrau“, erinnerte Günter Lüdecke. Seit dieser Zeit arbeitet der heute 68-Jährige ununterbrochen in dem landwirtschaftlichen Betrieb in Klötze. „Fast ununterbrochen“, sagt er, denn Ende 1968 bis Frühjahr 1970 musste er zur damaligen Volksarmee.

Mit seinem 50-jährigen Jubiläum ist er selbstverständlich unangefochten der Dienstälteste in der Milcherzeugergenossenschaft. Während der Feierstunde bekam er dafür auch Scheck, Geschenk, Blumen und Präsentkorb. Doch viel wichtiger ist dem Jubilar offenbar das Menschliche in der Firma, die Pflichterfüllung, die Anerkennung.

„50 Jahre sind eine lange Zeit“, blickte Lüdecke zurück. „Ursprünglich wollte ich ja Kraftfahrzeugschlosser werden. Aber meine Brüder waren alle schon aus dem Haus, als letzter Sohn musste ich dann in die Landwirtschaft gehen. So war das damals auf dem Land.“

Bereut hat er es nicht. Im Gegenteil: „Ich habe mich reingelebt, das Metier hat mir Spaß gemacht. Dass es 50 Jahre werden, war aber nicht geplant“, betonte Günter Lüdecke.

Er arbeitete in der MEG auch als Lehrausbilder. Viele junge Menschen formte er mit. Er war Vorsitzender des Aufsichtsrates der Genossenschaft, dessen Mitglied ist er immer noch. Seit der Jahrtausendwende ist die Biogasanlage der MEG sein Aufgabenfeld. „Nur Schrauben anziehen, das war nie mein Ding. Ich wollte immer mehr.“

Die Biogasanlage war ein Experiment. Niemand kannte sich so richtig damit aus oder wusste, worauf es ankommt. „Günter hat sie mit aufgebaut“, berichtete Raimund Punke, der seit 1990 mit dem Jubilar zusammenarbeitet. Seither sorge Lüdecke dafür, dass die Anlage läuft. Zweimal am Tag muss dort nach dem Rechten geschaut werden. „Auch Heiligabend und Silvester“, betonte der Jubilar und verwies auf den schwierigen Anfang: „Wir haben viel Lehrgeld bezahlen müssen.“ Beispielsweise habe ihnen niemand gesagt, dass eine solche Anlage möglichst nicht im Winter hochgefahren werden soll, nennt Raimund Punke ein Beispiel. Bei Minusgraden draußen werde die nötige Betriebstemperatur in der Anlage kaum erreicht. Doch Günter Lüdecke bekam mit der Zeit auch das in den Griff.

„Zu Günter kann man immer kommen, auch wenn er keine Bereitschaft hat“, hob Raimund Punke hervor. „Wir haben zusammen gestritten und gekämpft.“ Der Geschäftsführer lässt Günter Lüdecke deshalb nur ungern gehen. Muss er derzeit auch nicht, noch nicht.

„Ich bin zwar mit meinen 68 Jahren Altersrentner, aber ich arbeite noch halbe Tage, mal am Vormittag, mal am Nachmittag“, erklärte er. „Wenn ich gesund bleibe und in der Familie alles stimmt, dann funktioniert das.“ Das sei in der Vergangenheit so gewesen, das sei auch heute noch so. Die Familie habe nicht selten zurückstecken müssen, wenn das Handy plötzlich klingelte.

„Bei Günter Lüdecke hat es nicht nur arbeitsmäßig, sondern auch menschlich gepasst“, hob Raimund Punke hervor. „Es hat funktioniert mit uns.“ Und das nicht nur, wenn es um die Arbeit ging. Denn Günter Lüdecke geht seit Jahren außerdem in seinem Sport auf. Der 68-Jährige ist Powerlifter und hat in dieser Sportart schon Weltmeistertitel erkämpft. Dafür brauchte er die Unterstützung der Firma, die ihm auch mal den Rücken für Wettkämpfe freihalten musste.

„Am 4. Oktober bin ich bei der Weltmeisterschaft in Tallinn wieder dabei“, stellte Lüdecke in Aussicht. Im Übrigen sei er nicht der Typ, der bei Schwierigkeiten gleich abhaut. Er sei eher der Sesshafte. „Ich lebe gern in Klötze“, sagte er. „Hier ist meine Heimat.“

In diesen Wochen arbeitet Lüdecke seinen Nachfolger an der Biogasanlage ein. Das braucht seine Zeit. Auf die Frage, wann er seinen letzten Tag haben wird, sehen sich Günter Lüdecke und Raimund Punke fast überrascht an. „Den letzten Tag haben wir noch nicht geplant“, sagt der Jubilar und drückt damit viel mehr aus, als die wenigen Worte eigentlich zu sagen vermögen.